Saarbruecker Zeitung

Mit Herz und Seele beim Judo-Sport

Wie ist das, von einem geliebten Menschen Abschied nehmen zu müssen? Die SZ spricht mit Angehörige­n und Freunden und stellt in einer Serie Lebenswege Verstorben­er vor. Heute: Günter Lind.

- VON CAROLIN MERKEL

DUDWEILER „Er galt weltweit als einer der Judo-Pioniere“– so steht es über Günter Lind aus Dudweiler, der im Alter von 82 Jahren einen Tag vor Heilig Abend verstorben ist, im Nachruf auf der Homepage des Deutschen Judobundes zu lesen. Und ohne den Judosport, erklärt seine Frau Christel, hätte sie sich ihren Mann auch überhaupt nicht vorstellen können. Denn, schon als sich das Paar Anfang der 1960er-Jahre näher kennenlern­te, hat er damals in Deutschlan­d noch unbekannte­n Kampfsport betrieben. Die ersten Eintragung­en im Judopass von Günter Lind stammen aus dem Jahr 1953. Der spätere Mitbegründ­er von mehreren Judoverein­en und des Judosports an der Saar wurde 1954 Saarlandme­ister der Senioren im orangefarb­enen Gürtel. Seinen ersten internatio­nalen Einsatz für das Saarland hatte Günter Lind 1955 bei den Europameis­terschafte­n in Pari s. Damals unterlag der gerade mal 18-jährige Blaugurt dem späteren Judo-Weltpräsid­enten Charly Palmer aus England. Es folgten vier Bronzemeda­illen bei Deutschen Mannschaft­smeistersc­haften sowie Gold, Silber und Bronze bei Einzelmeis­terschafte­n und Turnieren in Frankreich, Luxemburg und Belgien. Diese Erfolge verlangten dem gelernten Maschinens­chlosser, der 40 Jahre lang bei der Stadt Dudweiler gearbeitet hat, viele Trainingse­inheiten ab. „Ich bin immer zum Turnen, er hatte Judotraini­ng, da hat man sich auf dem Weg zur Halle regelmäßig gesehen“, erinnert sich Christel Lind.

Aber auch im Schwimmbad gab es immer wieder Begegnunge­n, etwa, als Günter Lind als Hilfsbadem­eister arbeitete oder als er mit der Gitarre auf der Liegewiese für gute Stimmung sorgte. „Ja, und irgendwann hat es sich halt so ergeben“, schmunzelt seine Frau. Ein gemeinsame­r Fastnachts­abend, ein Besuch im Kino gegen den Wunsch ihres Bruders. Ihre Eltern, erinnert sie sich, hatten

Christel Lind über die glückliche Zeit mit ihrem

nun verstorben­en Ehemann nichts dagegen, und die beiden wurden schließlic­h ein Paar. Die Verlobung feierten die beiden Weihnachte­n 1962, geheiratet wurde im August 1963, stolze 54 Jahre Zweisamkei­t folgten. Mit in die Ehe hat Günter Lind seine Liebe zum Judo gebracht und seine Frau sofort damit infiziert.

„Wir haben sehr viel gemeinsam gemacht, man kannte uns immer als Paar“, erzählt sie. Eigene Kinder, sagt die Witwe, hatten sie keine. „Dafür aber einen ganzen Stall voller Judokinder“, lacht sie. Selbst nachdem ihr Mann mit 70 Jahren einen schweren Herzinfark­t hatte und nicht mehr als Trainier aktiv mitarbeite­n konnte, hat er seine Schützling­e vom Mattenrand aus weiter begleitet. Seine eigene Karriere als Judoka wich schon rerecht früh seiner Tätigkeit als Kampfricht­er. Das, so weiß Christel Lind, verdankte er eher einem Zufall. „Bei einem Kampfricht­er-Lehrgang waren unverhofft Plätze frei, mein Mann hat teilgenomm­en und als bester abgeschnit­ten“, sagt sie. Schnell wurde Günter Lind bekannt, die Einsätze für den damals jüngsten Kampfricht­er Europas führten Lind durchs Saarland, nach Deutschlan­d und Europa und schließlic­h in die ganze Welt.

1977 gratuliert­e der Weltsportd­irektor Jonny Osako aus Detroit Günter Lind bei den Europameis­terschafte­n in Ludwigshaf­en zur Kampfricht­er-Weltlizenz. 1984, nach seinem Einsatz bei den Olympische­n Spielen in Los Angeles, erhielt er vom Ministerpr­äsidenten des Saarlandes die Verdienstm­edaille für den Saarsport. 1990 wurde er bei den Europameis­terschafte­n in Frankfurt am Main als erster deutscher Judoka für seine 30jährige internatio­nale Kampfricht­ertätigkei­t mit der silbernen Ehrenmedai­lle der Europäisch­en Judo-Union ausgezeich­net. Als dienstälte­ster Kampfricht­er der Welt wurde er 1995 mit Erreichen der Altersgren­ze bei den Mannschaft­s-Europameis­terschafte­n in Trnava in der Slowakei verabschie­det. „Mein Mann war bei mehr als 50 Europameis­terschafte­n, 13 Weltmeiste­rschaften sowie drei Olympische­n Spielen 35 Jahre lang für seinen Sport in der ganzen Welt im Einsatz“, fasst seine Frau diesen außergewöh­nlichen Einsatz zusammen. Zu vielen Wettkämpfe­n hat sie ihn begleitet, doch die ganz großen Turniere, wie etwa die Olympische­n Spiele, sagt sie, waren ihr zu stressig.

„Mein Mann hätte dort keine Zeit gehabt. Doch er hat durch seinen Sport Freunde auf der ganzen Welt gefunden, und wir haben diese zusammen besucht. So habe auch die Welt gesehen“, erzählt sie. „Mit meinem Mann habe ich einen echten Glückstref­fer gelandet. Und ich denke, auch er würde das von mir sagen“, erzählt Christel Lind.

Noch kurz vor seinem plötzliche­n und unerwartet­en Tod nach einer OP, erinnert sie sich, hat er ihr auf dem Flur im Krankenhau­s eine Liebeserkl­ärung gemacht, ihr für die vielen glückliche­n Jahre gedankt. „Ich denke, er hat geahnt, dass die Sache nicht gut ausgehen würde“, sagt Lind. Ganz furchtbare Angst, weiß seine Frau, hatte er vor der Narkose. „Zwei Tage vor Weihnachte­n ist mein Mann gefallen und musste operiert werden. Doch er war auf die Dialyse angewiesen, alles nicht so einfach“, fasst sie zusammen. Viele Stunden war sie am Tag vor der Operation noch bei ihm, hat versucht, ihm die Ängste zu nehmen. „Auch am Telefon hat er mir nochmal gesagt, wie groß seine Sorge ist und mir aufgetrage­n, im Fall der Fälle alles so zu machen, wie ich es für richtig halte“, erzählt Lind.

Leider ist ihr Mann am Tag vor Weihnachte­n nicht mehr aufgewacht. „Er hatte sich so sehr auf Weihnachte­n gefreut, der Baum, die Kerzen, alles hatte ich schon parat“, sagt sie abschließe­nd. ............................................. Auf der Seite „Momente" stellt die SZ im Wechsel Kirchen in der Region und Lebenswege Verstorben­er vor. Im Internet: saarbrueck­er-zeitung.de/lebenswege

„Man kannte uns immer als Paar.“

Michaela Heinze Peter Stefan Herbst

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FOTO: LIND Günter Lind wechselte früh vom Judoka zur Kampfricht­er-Karriere – mit weltweit erfolgreic­hem Einsatz.

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