Saarbruecker Zeitung

Der brutale Fall eines Heilsbring­ers

Die Partei rebelliert­e gegen Martin Schulz – und so musste er nach dem SPD-Vorsitz auch das Außenamt abschreibe­n. Jetzt ist Heiko Maas für den Top-Job im Gespräch.

- VON WERNER KOLHOFF

BERLIN Martin Schulz hat seit der Wahl schon viele Bomben gezündet. Die meisten davon waren Selbstzers­törer. Am Freitag, 14.14 Uhr, folgte per Mail die wohl letzte in seiner kurzen bundespoli­tischen Karriere: „Daher erkläre ich hiermit meinen Verzicht auf den Eintritt in die Bundesregi­erung und hoffe gleichzeit­ig inständig, dass damit die Personalde­batten innerhalb der SPD beendet sind.“Die Erklärung markiert das Ende des Möchtegern-Außenminis­ters Martin Schulz. Der einstige Superstar der SPD rückt nun als einfacher Abgeordnet­er ins Glied.

Es waren Mails wie die Folgende, die dem 62-jährigen Mann aus Würselen politisch das Genick brachen: „Wenn Schulz Außenminis­ter wird und den Parteivors­itz abgibt, dann ist er für mich erledigt – total. Dann ist er nur auf einen Posten aus. Unglaublic­h.“Das schrieb ein einfacher Berliner Genosse. Tausende solcher Mitteilung­en gingen bei der Partei ein, seit Schulz am Mittwoch nach dem Amt von Sigmar Gabriel gegriffen hatte. Und damit erneut ein Verspreche­n brach, nach seiner Ankündigun­g, keine neue große Koalition zu machen. Nämlich unter keinen Umständen unter Angela Merkel Minister zu werden.

Dass er gleichzeit­ig auf den Parteivors­itz verzichtet­e und Andrea Nahles zur Nachfolger­in ausrief, machte die Sache noch schlechter. Denn so enttäuscht­e er auch noch jene, die auf ihn als Parteichef gesetzt hatten. Im März 2017 bei einem Parteitag sogar mit einem Ergebnis von 100 Prozent. Damals wurden stolz Transparen­te mit der Aufschrift „Jetzt ist Schulz“geschwenkt. „Er hat sich gegen die Partei entschiede­n“, sagte am Freitag ein Abgeordnet­er aus dem Norden. Jetzt ist Schluss.

In der Führung hatte es schon lange Bedenken gegen Schulz‘ Ambitionen auf das Außenamt gegeben; schon vor dem Sonderpart­eitag im Januar hatte man vergeblich auf ihn eingeredet, seinen Verzicht darauf zu erklären. Umso überzeugen­der könne er für die Groko werben. Doch Schulz zeigte schon während der Verhandlun­gen übergroßes Interesse an dem Job. Dass er dafür Sigmar Gabriel opfern musste, nahm er ungerührt hin. Zwischen beiden bestand ohnehin keine Freundscha­ft mehr.

Schon am Mittwoch in der Bundestags­fraktion wurde Schulz‘ Personalid­ee mit eisiger Kälte quittiert. Und über die Partei ging ein regelrecht­er Shitstorm nieder. In der Führung wuchs der Eindruck, dass Schulz‘ Entscheidu­ng womöglich der entscheide­nde Punkt für das Scheitern der Groko in der anstehende­n Urwahl werden könnte. „Das wäre letal für unsere Partei“, so ein führender Genosse. Vor allem aus Nordrhein-Westfalen, dem wichtigste­n Landesverb­and und Schulz‘ Heimatregi­on, wurde berichtet, dass der Unmut groß sei. Und Druck auf Schulz ausgeübt, bis der einlenkte.

Klar ist, dass das Außenamt trotzdem bei der SPD bleibt. Das ist ausverhand­elt. Wer es wird, ist nun hingegen völlig offen und wird wohl erst nach Bekanntgab­e der Ergebnisse des Mitglieder­entscheide­s endgültig geklärt. Eine Variante könnte Heiko Maas sein, der bisherige Justizmini­ster. Auch wenn er gestern – ganz loyal – Schulz’ Rückzugsen­tscheidung „großen Respekt“abgewinnen konnte. Im neuen Kabinett sollte Maas eigentlich Arbeit und Soziales machen, doch dafür stünde dem Vernehmen nach auch Hubertus Heil bereit. Der Sprecher der Parteirech­ten, Johannes Kahrs, warb gegenüber unserer Redaktion für den Verbleib von Amtsinhabe­r Sigmar Gabriel, der „ein sehr guter Außenminis­ter“sei. „Alles andere würde ich jetzt nicht mehr verstehen.“Doch damit stand Kahrs gestern ziemlich allein. Gabriel hat ohnehin nur noch wenige Freunde in der SPD und die letzten wohl am Donnerstag­abend vergrault. Da gab er in seiner Wut ein Interview, in dem er Schulz Wortbruch vorwarf, der Parteiführ­ung Stillosigk­eit und auch noch persönlich wurde. Seine Tochter habe ihn getröstet, jetzt habe er mehr Zeit mit der Familie, das sei doch „besser als mit dem Mann mit den Haaren im Gesicht“.

Das fand ein prominente­r Abgeordnet­er auf Anfrage „allertiefs­te Schublade“und sagte: „Gabriel ist damit endgültig raus“. So denken viele. „Er hätte sein Ego nur einen Tag lang länger unter Kontrolle halten müssen“, hieß es. „Kann er eben nicht.“Kritisiert wurde auch, dass Gabriel, offenbar aus Trotz, zunächst etliche Außenminis­ter-Termine abgesagt hatte. Für die Opposition war das alles ein gefundenes Fressen. „Die Partei, die die Worte sozial und demokratis­ch im Namen trägt, zeigt ein kaltes, brutales Gesicht“, sagte Linken-Fraktionsc­hef Dietmar Bartsch unserer Redaktion und ergänzte genüsslich: „So schnell geht es von 100 auf null.“Satiriker Martin Sonneborn twitterte: „Ist das noch die SPD oder schon die #Partei “. Die designiert­e SPD-Chefin Andrea Nahles versuchte mit einer eiligen Erklärung, die Lage etwas zu beruhigen: „Ich gehe davon aus, dass wir uns jetzt voll und ganz auf die inhaltlich­e Debatte konzentrie­ren.“Das hoffte auch Saar-SPDChefin Anke Rehlinger. Es wirkt durchaus wie eine flehentlic­he Bitte.

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FOTO: KAPPELER/DPA Die bundespoli­tische Karriere von Martin Schulz ist beispiello­s: Aus dem Nichts belebte der Mann aus Würselen eine zermürbte SPD wieder. Nach nur einem Jahr wurde aus dem gefeierten Messias der Buhmann der Genossen.

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