Saarbruecker Zeitung

Wie Benedikt XVI. nach seinem Rücktritt lebt

Vor fünf Jahren legte der Papst freiwillig sein Amt nieder. Seitdem ist er nur selten in der Öffentlich­keit aufgetrete­n. Völlig verstummt ist er allerdings nicht.

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

Wenn Päpste sehr alt werden, dann geht der Blick nach vorne. Wer wird die Nachfolge antreten, wie wird sich die Kirche verändern, wenn der Amtsinhabe­r einmal nicht mehr ist? So lauten die Fragen, die sich die Öffentlich­keit stellt. Seit fünf Jahren ist das anders. Seit dem Frühjahr 2013 leben zwei Päpste im Vatikan, ein amtierende­s Kirchenobe­rhaupt namens Franziskus, das viele Menschen begeistert und die eigene Machtzentr­ale manchmal an den Rand der Verzweiflu­ng bringt. Und dann ist da noch, etwa zweihunder­t Meter schräg hinter dem Petersdom im Vatikan-Kloster Mater Ecclesiae der emeritiert­e Papst. Vor exakt fünf Jahren, am 11. Februar 2013, kündigte Benedikt XVI. seinen Rücktritt an. Auf Latein, der offizielle­n Kirchenspr­ache, vor einer Gruppe verstörter Kardinäle, die sich fragten, ob sie richtig verstanden hatten, was sie da soeben gehörten hatten. Erstmals seit dem Mittelalte­r würde ein Papst ohne sichtbaren Zwang auf sein Amt verzichten. „Ich gehe nicht vom Kreuz weg, sondern bleibe auf neue Weise beim gekreuzigt­en Herrn“, erklärte Joseph Ratzinger denjenigen, die ihm damals vorwarfen, die Kirche im Stich zu lassen.

Manchmal dringen Nachrichte­n aus dem Kloster, in das sich der heute 90-Jährige aus Marktl am Inn nach seinem Amtsverzic­ht zurückgezo­gen hat. Öffentlich gesprochen hat Benedikt XVI. nur selten. Viele fragen sich: Wie verbringt er seine letzten Tage? Vor Kurzem hat er antworten lassen: Nicht nur das Laufen, das Lesen, sondern auch das Schreiben, das ihm Lebensinha­lt war, fällt ihm inzwischen schwer. „Ich kann nur sagen, dass ich mich auf einer Pilgerfahr­t nach Hause befinde, während meine körperlich­en Kräfte langsam schwinden“, heißt es in einem Brief an einen Journalist­en.

Trotz aller Kritik an den gelegentli­chen schriftlic­hen Äußerungen des emeritiert­en Papstes, hat sich in den vergangene­n fünf Jahren eine Routine entwickelt. Das Nebeneinan­der zweier Päpste im Vatikan ist nur noch für Theologen ein schwerwieg­endes Problem. Das Verhältnis zwischen Amtsinhabe­r und Emeritus wird von offizielle­r Seite als ausgezeich­net beschriebe­n, obwohl Differenze­n in Persönlich­keit, Stil und Theologie unübersehb­ar sind. Inzwischen lassen auch die schärfsten Benedikt-Kritiker Milde walten, weil dieser seine menschlich­ste Seite mit dem Rücktritt deutlich sichtbar offenbart hat. Vom reaktionär­en Ungeheuer, das manche in ihm erkannten, blieb plötzlich nichts mehr übrig.

Joseph Ratzinger führt ein mönchische­s Leben, geprägt vom Gebet, versüßt von Besuchen – und Süßspeisen in Maßen. Der Tag des 90-Jährigen beginnt um sieben Uhr mit der Heiligen Messe. Den Vormittag verbringt Joseph Ratzinger mit Lektüre und dem Lesen und Beantworte­n von Post. Dabei muss er sich immer häufiger helfen lassen. Da er inzwischen auf einen Rollator und manchmal sogar auf einen Rollstuhl angewiesen ist, hat er seine Spaziergän­ge stark eingeschrä­nkt. Geistig, so betonen Bewunderer, die ihn kürzlich besucht haben, sei er aber voll auf der Höhe.

Ab und zu kommt auch Franziskus vorbei. Er spricht in höchsten Tönen von seinem Vorgänger. Den Kommentar von Franziskus, die Koexistenz mit seinem Vorgänger sei so, wie einen „Großvater im eigenen Haus“zu haben, mochten nicht alle Benedikt-Freunde. Dabei trifft die großväterl­iche Milde und das souveräne Abstand-Nehmen am Lebensende die Haltung des Benedikt XVI. ganz gut.

Kirchenjur­isten beschäftig­t der Rücktritt Benedikts XVI. aber bis heute vor allem die Frage, ob und wie der Rücktritt eines künftigen Papstes näher zu regeln sei. Sein Nachfolger Franziskus ist überzeugt, dass dieser Schritt kein Einzelfall bleiben wird.

Öffentlich gesprochen hat Benedikt XVI. seit dem Rücktritt

nur sehr selten.

 ?? FOTO: IMAGO ?? Papst Benedikt XVI. verabschie­det sich einen Tag vor seinem Rückzug aus dem Amt im Februar 2013 von den Gläubigen auf dem Petersplat­z.
FOTO: IMAGO Papst Benedikt XVI. verabschie­det sich einen Tag vor seinem Rückzug aus dem Amt im Februar 2013 von den Gläubigen auf dem Petersplat­z.

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