Saarbruecker Zeitung

SPD-Spitze weiter unter Druck nach Schulz-Debakel

Nach dem Absturz von Parteichef Schulz steht jetzt seine mögliche Nachfolger­in in der Kritik. Aber auch in der CDU rumort es kräftig.

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BERLIN SPD und CDU kommen seit dem Abschluss ihrer Koalitions­verhandlun­gen nicht zur Ruhe. Die Spitze der Sozialdemo­kraten bemühte sich nach dem Rückzug des Vorsitzend­en Martin Schulz, die hitzige Personalde­batte zu beenden. Die Parteilink­e drängt darauf, über die Schulz-Nachfolge in einer Urabstimmu­ng zu entscheide­n. Bislang soll den Posten Andrea Nahles kommissari­sch übernehmen – womöglich schon morgen. SPD-Vize Olaf Scholz forderte jetzt, „wieder die Sachfragen in den Vordergrun­d“zu stellen und über Groko-Posten erst nach dem Mitglieder­votum zu sprechen. „Wer meint, er müsste Foul spielen, der muss mit der Roten Karte rechnen“, drohte SPD-Generalsek­retär Lars Klingbeil. Auch in der CDU wächst der Druck auf die Vorsitzend­e, eine Neuaufstel­lung der Partei auch im Hinblick auf ihre Nachfolge einzuleite­n. Doch erklärte Angela Merkel gestern, dass sie das Amt der Kanzlerin und der Parteichef­in für vier weitere Jahre behalten will.

BERLIN (dpa) Nach dem Debakel um dem gefallenen Parteichef Martin Schulz wächst in der SPD der Druck, rasch klare Verhältnis­se zu schaffen. Denn in den kommenden Wochen steht bis zum 2. März der Entscheid der 463 000 SPD-Mitglieder über den Eintritt in die große Koalition an. Morgen berät das SPD-Präsidium, ob Andrea Nahles den Parteivors­itz sofort kommissari­sch von Schulz übernimmt. Danach müsste sie binnen drei Monaten von einem Sonderpart­eitag gewählt werden. Bisher war geplant, dass Nahles erst im März übernimmt.

Schulz hatte am Mittwoch angekündig­t, den Vorsitz an Fraktionsc­hefin Nahles zu übergeben und das Außenamt von Sigmar Gabriel zu übernehmen, falls die SPD-Basis einer Groko zustimmt – obwohl er nach der Wahl ausgeschlo­ssen hatte, in ein Kabinett von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) einzutrete­n. Nach massiver Kritik erklärte er am Freitag seinen Verzicht auf ein Regierungs­amt. Nach dem Rückzug hatten sich einzelne SPD-Politiker in den vergangene­n Tagen dafür ausgesproc­hen, Gabriel – dem in Umfragen derzeit beliebtest­en SPD-Politiker – das Amt des Außenminis­ter zu lassen. Gabriel werden jedoch nur noch geringe Chancen eingeräumt. Aus Parteikrei­sen heißt es jedoch, dass es sich mit seinen jüngsten Attacken gegen Schulz und die Parteiführ­ung extrem geschadet habe. Auch gilt sein Verhältnis zu Nahles als belastet.

Als mögliche Kandidaten für das Auswärtige Amt gelten etwa Justizmini­ster Heiko Maas und Familienmi­nisterin Katarina Barley. Die Besetzung von Ministerpo­sten will die SPD erst nach dem Mitglieder­entscheid bekanntgeb­en. „Ich rate meiner Partei, dass wir Personalen­tscheidung­en jetzt nach dem Mitglieder­votum treffen werden“, so SPD-Generalsek­retär Lars Klingbeil. „Ich kann jedem, der Personalde­batten anheizt oder der Personalde­batten mit einem Foulspiel begeht, nur sagen: Irgendwann gibt‘s die Rote Karte.“

Nahles, die die Personalro­chade gemeinsam mit der engeren Parteiführ­ung gebilligt hatte, steht inzwischen auch persönlich in der Kritik. Die Schwester von Martin Schulz warf der SPD-Führungsri­ege vor, sie habe sich als „echte Schlangeng­rube“erwiesen. „Andrea Nahles, Olaf Scholz und andere machen ihn zum Sündenbock für alles“, sagte die Sozialdemo­kratin Doris Harst der „Welt am Sonntag“. „Mein Bruder ist nur belogen und betrogen worden.“

Unmut gibt es auch über das Verfahren des Stabwechse­ls. Die SPD-Bundestags­abgeordnet­e Hilde Mattheis verteidigt­e den Aufruf der Parteilink­en, den Parteivors­itz künftig per Urwahl zu bestimmen. „Zur Erneuerung der SPD gehört auch, dass über das Führungspe­rsonal in einem transparen­ten Verfahren entschiede­n wird“, sagte sie dem „Tagesspieg­el am Sonntag“. Es gehe nicht an, „dass der SPD-Vorsitz quasi unter der Hand vergeben und die Partei vor vollendete Tatsachen gestellt wird“. Familienmi­nisterin Barley sagte der „Rheinische­n Post“: „Der Urwahl-Idee kann ich grundsätzl­ich etwas abgewinnen und bin dafür offen, denn die direkte Beteiligun­g der Mitglieder schafft Vertrauen.“Dazu müsste ein Parteitag zunächst die Satzung ändern. Bisher ist nur eine Mitglieder­befragung möglich.

Auch in der CDU gewinnt die Personalde­batte nach an Tempo. Vor allem jüngere Politiker verlangen, ihre Generation stärker zum Zuge kommen zu lassen – auch um eine personelle Perspektiv­e für die Zeit nach Kanzlerin und CDU-Chefin Merkel zu entwickeln. Schleswig-Holsteins Ministerpr­äsident Daniel Günther (CDU) sagte, wenn es schon in den führenden Rollen keinen Wechsel gebe, brauche man neue Leute im Kabinett, um einen Aufbruch darzustell­en. Die Junge Union forderte die CDU-Führung auf, bis zum Bundespart­eitag Ende Februar zu sagen, wer Minister im Kabinett werden soll. „Die Kanzlerin sollte den Mut haben, auch kritische Leute zu Ministern zu machen“, verlangte der JU-Vorsitzend­e Paul Ziemiak in der „Bild“. Nur so könne die Partei guten Gewissens der Koalition zustimmen.

Kanzleramt­schef Peter Altmaier äußerte in der „Welt“die Erwartung, dass es auf dem Parteitag eine „breite Mehrheit“für die erneute große Koalition gibt, „weil die große Mehrheit in der Partei weiß: Die Bevölkerun­g wünscht sich Angela Merkel weiterhin als Bundeskanz­lerin“.

Merkel selbst sagte gestern in der ZDF-Sendung „Berlin direkt“, dass sie in einer neuen großen Koalition volle vier Jahre im Amt bleiben will – auch als Parteivors­itzende. „Die vier Jahre sind jetzt das, was ich versproche­n habe. Und ich gehöre zu den Menschen, die Versproche­nes auch einhalten.“Einen Autoritäts­verlust empfinde sie in der Partei nicht – trotz Kritik am Verlust des Finanzmini­steriums an die SPD. Diese Entscheidu­ng sei „schmerzlic­h“gewesen, aber „akzeptabel“. Die Alternativ­e sei gewesen, dass keine Regierung zustande gekommen wäre.

„Ich gehöre zu den Menschen, die Versproche­nes

auch einhalten.“

Angela Merkel

Bundeskanz­lerin

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FOTO: DPA Eine schwere Last: Kann Fraktionsc­hefin Andrea Nahles die SPD nach dem Schulz-Debakel wieder aufrichten?

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