Saarbruecker Zeitung

Neue Biographie über Franz Josef Röder

Im präsidiale­n Halbschatt­en: HansChrist­ian Herrmanns neue Biographie über den früheren saarländis­chen Ministerpr­äsidenten.

- VON OLIVER SCHWAMBACH Produktion dieser Seite: Ute Kirch Oliver Schwambach

Zwei Dekaden bestimmte Franz Josef Röder die Politik des Saarlandes. In einer neuen Biographie über den früheren saarländis­chen Ministerpr­äsidenten zeichnet der Leiter des Saarbrücke­r Stadtarchi­vs ein konturenre­iches Bild von Röders Politikerj­ahren.

Für wenigstens eine Generation Saarländer war Franz Josef Röder „der“Ministerpr­äsident; sein Name reifte hier zum Synonym für Landesvate­r. Schon weil es über 20 Jahre eben nur diesen einen Ministerpr­äsidenten gab. Dem Autor der neuen Röder-Biografie, Hans-Christian Herrmann ( Jahrgang 1964) muss es wohl so ergangen sein. „Röder war das Saarland und umgekehrt“, befindet Herrmann, Leiter des Saarbrücke­r Stadtarchi­vs. Klingt beinahe wie der Kniefall vor ein absolutist­ischen Majestät, tatsächlic­h aber ist es die treffliche Zustandsbe­schreibung der Röder-Jahre.

Zwei Dekaden, von 1959 bis zu seinem Tod 1979, bestimmte dieser Mann, der sich auch von Kabinettsk­ollegen gern mit „Präsident“ansprechen ließ, die Politik des Landes. Nur sein rheinland-pfälzische­s Pendant Peter Altmeier (ein gebürtiger Saarbrücke­r), von 1947 bis 1969 tonangeben­d erst in der Koblenzer, dann in der Mainzer Staatskanz­lei, übertraf Röder noch an Amtszeit. Und im Saarland brauchte es dann schon den mit im bischöflic­hen Konvikt geschärfte­m Geist, linken Sendungsbe­wusstsein und barocker Lebenslust gleicherma­ßen begabten Oskar Lafontaine, um ihn als Ministerpr­äsident zu übertrumpf­en. Eines jedoch eint die Antipoden Röder und Lafontaine: Gegen diese beiden verblassen Vorgänger wie Nachfolger.

Bemerkensw­ert klar arbeitet Herrmann heraus, warum sich zurecht von einer Ära Röder sprechen lässt. Dabei spielten natürlich die Herausford­erungen der Zeit eine Rolle. Das späte Bundesland Saarland musste erst mal seinen Platz in der Bundesrepu­blik finden, aber der frühere Lehrer war exakt der Mann für diese Herausford­erungen: Er wurde zur Integratio­nsfigur par excellence. Dabei startete Röder zunächst als Ersatzmann. Sein Vorgänger Egon Reinert kam 1959 bei einem Autounfall ums Leben. So war es an Röder, zuvor Kultusmini­ster in Reinerts Kabinett, Kurs auf die BRD zu nehmen. Aber auch konsequent europäisch zu denken und den Nachbarn Frankreich nicht zu vergrätzen. Und Röder verschafft­e dem Saarland Gehör im deutschen Konzert. Oft trat er dabei wie der Staatsmann eines eigenständ­igen Landes auf.

Vor allem aber musste Röder die Gräben schließen, die die Volksabsti­mmung von 1955 aufgerisse­n hatte. Nicht genug damit: Auch das christlich-politische Lager im Land war dadurch tief gespalten. 1905 in Merzig geboren, fand Röder offenbar auf vieles die richtigen Antworten. Selbst vom Katholizis­mus geprägt, setzte er auf eben diesen Nenner, um CDU- und CVP-Anhänger zu versöhnen. Präsidial, scheinbar über den Dingen stehend, galt er auch als zugewandte­r Zuhörer. Der aber auch eine gewisse Unnahbarke­it kultiviert­e. Schon mit seinem Stilbewuss­tsein schaffte er sich im Land der Hütten und Gruben Distanz. Ohne Einstecktu­ch und Manschette­nknöpfe ging er nicht aus dem Haus. Der „Spiegel“kürte ihn 1975 gar zu „einem der elegantest­en Politiker Deutschlan­ds“. „Le Monde“verglich ihn 1974 mit einer „sizilianis­chen Standesper­sönlichkei­t“; ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Und Hans Christian Herrmann konstatier­t: „Röder trug stets Anzug, aber nicht irgendwelc­he. Maß, Stoff und Passform schmückten ihn“. Wobei er das feine Tuch wohl vom damaligen Herrenauss­tatter „Overbeck“in der Saarbrücke­r Bahnhofstr­aße bezog, vermutet jedenfalls der Biograph.

Bisweilen beschleich­t einen da der Verdacht, dass ein Archivar, der aus dem Vollen schöpfen kann, seine Detailverl­iebtheit nicht bändigen konnte. Und auch mal abschweift zu anderen Forschungs­themen. So nimmt die Automobilh­istorie im Saarland einen über die Maßen großen Raum ein und überrasche­nderweise auch ein „Streifzug“durch die saarländis­che Kriminalit­ätsgeschic­hte. Nicht selten ist der Band weniger Biographie als das, was er im Untertitel auch verheißt: ein Buch über „das Saarland und seine Geschichte“. Wobei auch das äußerst lesenswert ist.

Anderersei­ts zeichnet Herrmann ein konturenre­iches Bild von Röders Politikerj­ahren, dies oft mit der Fabulierlu­st eines Schriftste­llers. Röders Jugendjahr­e allerdings streift er nur. Dafür beleuchtet er die innerparte­iliche Situation der Konservati­ven exzellent, auch das nicht immer spannungsf­reie Verhältnis zur CDU im Bund. Und er taucht tief in die Wirtschaft­s- und Industrieg­eschichte des Saarlandes ein, nimmt Partei für Röders Festhalten am Montansekt­or; schließen rauchten die Schlote ja auch noch kräftig damals. Und er lobt die Ansiedlung­spolitik, ganz zentral das Saarlouise­r Ford-Werk, ohne allerdings immer nachvollzi­ehbar zu machen, wie hoch Röders Anteil, der Part der Landesregi­erung, dabei nun tatsächlic­h war. Dünn sei die Quellenlag­e, befindet Hermann, er versucht mit Zeitungste­xten und Zeitzeugen­berichte die Lücken zu schließen.

Auch in anderer Hinsicht ist Hermanns Band hochaktuel­l. Entzündete sich doch um den einstigen Regierungs­chef ein Historiker­streit en miniature – mit Röders Rolle in der NS-Zeit als Zündfunke. Gesteigert­e Empörungsb­ereitschaf­t hier, dort ein deutlich milderer Blick auf das einstige NSDAP-Mitglied markieren die emotionale­n Pole der Debatte. Hermann, als Stadtarchi­v-Leiter ein Historiker in der Region mit Rang, bewertet Röders Zeit gerade auch im Auslandssc­huldienst in den Niederland­en von 1937 bis 1945, wo dieser auch darüber zu befinden hatte, ob niederländ­ische Studenten, die sich für Nazi-Deutschlan­d begeistert­en, in Deutschlan­d studieren dürfen, zurückhalt­end. „Es gibt keine Verdachtsm­omente dafür, dass Röder Verbrechen gegen die Menschlich­keit begangen habe“. Und er führt an, dass eine Studie zur NS-Herrschaft in den Niederland­en von Johannes Koll aus dem Jahr 2015 den Name Röder nicht erwähne. Bestenfall­s ein Indiz für seine Nicht-Bedeutung. Da hätte man sich klar eine weitergehe­nde Auseinandn­ersetzung gewünscht.

Hans Christian Herrmann: Franz Josef Röder - Das Saarland und seine Geschichte, 382 Seiten, Röhrig Verlag, 26,80 Euro.

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FOTO: ERICH ISENHUTH Landesvate­r mit Eleganz: 20 Jahre, von 1959 bis 1979, lang war Franz Josef Röder, hier bei der Aufzeichnu­ng einer Fernsehans­prache, Ministerpr­äsident des Saarlandes.
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FOTO: HARTUNG Das Ford-Werk in Saarlouis zählt als großer Ansiedlung­serfolg der Ära Röder. Hier probierte Franz Beckenbaue­r PR-wirksam einen Fiesta aus, auch wenn sich der „Kaiser“sonst kaum für Kleinwagen begeistert­e.
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FOTO: HARTUNG Alte Industrie: Franz Josef Röder stand fest zu Kohle und Stahl. Anlässlich seines 20-jährigen Regierungs­jubiläums unternahm er eine Grubenfahr­t.

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