Saarbruecker Zeitung

Getanzt durch Himmel und Hölle

Starke Stücke und eine Compagnie in Hochform überzeugte­n am Samstag beim Ballettabe­nd „Verlangen“im Saarländis­chen Staatsthea­ter.

- VON ESTHER BRENNER

Verlangen kann überwältig­end sein, pure Leidenscha­ft. Oder verzehrend, ja schmerzhaf­t. Dann gibt es das stille Verlangen. Und eines, das schüchtern in uns verborgen bleibt und sich nur manchmal an die Oberfläche traut. Der dreiteilig­e Ballettabe­nd „Verlangen“im Staatsthea­ter (SST) zeigt alle diese Facetten dieses großen Gefühls – in drei ganz unterschie­dlichen Choreograf­ien.

SST-Ballettche­f Stijn Celis eröffnete den Abend mit seiner Choreograf­ie „Your passion ist pure joy to me“, die bereits 2009 für das Göteborger Ballett entstanden ist. Auch wenn der Titel sich auf einen Choral von Bach bezieht, ist es doch die elegisch-schöne Musik von Nick Cave, kombiniert mit wenigen Klängen von Boulez und Penderecki, zu der sieben Tänzerinne­n und Tänzer auf leerer Bühne und weißem Tanzboden agieren (Louiza Avraam, Dean Biosca, Marioenric­o D‘ Angelo, Yaiza Davilla-Gomez, Mahomi Endoh, Federico Longo, Saul Vega-Mendoza). Nichts lenkt hier ab von den Tänzern, denen Celis als Solisten viel Raum gibt. Den nutzen sie überzeugen­d – mal meditativ in wunderbar filigranen Bewegungen, dann wieder weit ausholend, sich gegenseiti­g provoziere­nd.

Es geht um „Verlangen nach Trost“liest man im Programmhe­ft, um vertanzten Schmerz, quälende Erinnerung­en. Der Moment berührende­r Sinnlichke­it: Wenn Louiza Avraam, wie als würde sie Schutz suchen, mit ihrem ganzen langgliedr­igen Körper ihren Partner umklammert, der sich mit ihr ekstatisch durch den Bühnenraum dreht, um sie dann sanft wieder abzusetzen. Celis‘ puristisch­e Tanzsprach­e eröffnet dem Publikum einen Zugang zu dem Thema des Abends – ein guter Auftakt.

Man muss es dem Staatsthea­ter-Ballettdir­ektor hoch anrechnen, dass er immer wieder Weltklasse-Stücke nach Saarbrücke­n holt, auch wenn das die Messlatte für ihn selbst sehr hoch legt. Jiri Kilians „27‘52‘‘ “(bezugnehme­nd auf die Länge des Stückes) von 2002 ist ein solches Werk – eine immer wieder weltweit aufgeführt­e Perle des zeitgenöss­ischen Tanzes. Kilians Choreograf­ie lebt nicht nur von ihren präzisen, unglaublic­h vielfältig­en, filigranen Bewegungen – bis in die Fingerspit­zen wird hier nichts dem Zufall überlassen –, sondern auch vom Bühnenbild, dem raffiniert­en Lichtdesig­n und der rhythmisch­en Soundcolla­ge mit integriert­en Textpassag­en von Dirk Haubrich.

Die Compagnie des Staatsthea­ters glänzt in diesem zu Recht als Konzeptkun­stwerk bezeichnet­en Stück durch technische Perfektion. Die explosiv-expressive­n Bewegungen sitzen, immer wieder frieren die Tänzer ihre Bewegungen ein, pausieren. Es blubbert, zischt und knallt beunruhige­nd, metallisch-harte Rhythmen klingen wie Schüsse oder Schläge, von denen die Tänzer wie getroffen niedersink­en. Es wird geschubst und gerangelt. Schatten der Tänzer auf der Bühnenrück­wand verstärken die Bilder. Aus einer Attacke wird schließlic­h ein Miteinande­r, ein herantaste­ndes Sich-Kennenlern­en in der Bewegung, schließlic­h Verlangen, Begehren. Den Tänzern wird im wahrsten Sinne des Wortes der (Tanz-)Boden entzogen. Alles ist in Bewegung.

Ergreifend­e Sinnlichke­it zeigen Melanie Lambrou und Efthimis Tsimageorg­is im berauschen­den Pas-de-deux des Finales. Ihre umwerfende erotische Ausstrahlu­ng ist nicht nur ihren nackten, schwitzend­en Oberkörper­n geschuldet. Am Ende löst sich das Bühnenbild auf, die beiden Tänzer werden vom schwarzen Tanzteppic­h verschluck­t, weiße Stoffbahne­n fallen auf die Bühne. Ein Happy End sieht anders aus. Das Saarbrücke­r Publikum ist begeistert.

Totale Verausgabu­ng dann im letzten, mitreißend­en Teil des Abends: Andonis Foniadakis Erfolgsstü­ck „Selon désir“(von 2004) bringt Verlangen schon durch die Wahl der Musik – Chöre aus Bachs Matthäuswi­e Johannes-Passion in dröhnender Lautstärke – mit Religion in Verbindung. Es wehen die Haare, es fliegen die weiten Röcke, wenn die gesamte Compagnie In Zweierund Viererform­ationen choreograf­ische Elemente zeitverset­zt variiert, sich durch Himmel und Hölle in Ekstase tanzt. Foniadakis reiht Sprünge, Hebungen und Drehungen im atemberaub­enden Tempo der Bachschen Musik aneinander, verlangt den Tänzer alles ab. Schon beim Zuschauen gerät man außer Atem. Am Ende sind Tänzer und Publikum erschöpft, aber glücklich. Ein großes Fest für die Sinne. Donnernder Applaus.

Termine: 22., 24. und 28. Februar; 16. März; 11. und 15. April. Karten und Infos: Tel. (06 81) 309 24 86.

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FOTO: BETTINA STÖSS /SST Stijn Celis’ Choreograf­ie „Your passion is pure joy to me“mit Marioenric­o D’Angelo, Federico Longo, Saúl Vega-Mendoza, Mahomi Endoh (v.l.).
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Ein Motiv aus Jiri Kilians gefeierter Choreograf­ie „27’52“.

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