Saarbruecker Zeitung

Säure-Opfer bekommt üble Briefe von Täter

Ihr Ex-Freund übergoss Vanessa Münsterman­n mit Säure. Nun schreibt er ihr aus dem Gefängnis – und zeigt keine Reue.

- Produktion dieser Seite: Volker Meyer zu T., Peter Stefan Herbst, Gerrit Dauelsberg FOTO: MINKOFF/IMAGO

Vor zwei Jahren wurde Vanessa Münsterman­n von ihrem Ex-Freund mit Säure übergossen. Ihr Peiniger sitzt nun für zwölf Jahre hinter Gittern, schreibt seinem Opfer aber Briefe, in denen er die 29-Jährige der Lüge bezichtigt.

HANNOVER (dpa) Ihr neues Tattoo hat sie sich in der Türkei stechen lassen: „Überlebend­e“steht seit Herbst in arabischen Schriftzei­chen auf Vanessa Münsterman­ns Unterarm. Die 29-Jährige aus Hannover hat vor zwei Jahren ein Säure-Attentat ihres Ex-Freundes überlebt – seither ist ihre linke Gesichtshä­lfte zerstört, die junge Frau verlor ein Auge und ein Ohr. Wegen der wulstigen Narben am Hals muss sie den Kopf stets etwas gesenkt halten. Doch die gelernte Kosmetiker­in, die vor der Tat ständig Kompliment­e für ihr Aussehen bekam, versteckt sich nicht – im Gegenteil.

Vor einem Jahr gründete sie den Verein „Ausgezeich­net“, um Menschen in ähnlicher Lage zu helfen. Nun lädt sie rund 150 Unterstütz­er und Opfer von Verbrennun­gen oder Verätzunge­n zu einem Empfang in ein Kino ein. Dann wird auch der Film „Wenn aus Liebe Hass wird“in der Reihe „Menschen hautnah“gezeigt. Das WDR Fernsehen strahlt ihn am Jahrestag des Anschlags (kommender Donnerstag, 22.40 Uhr) aus. In dem Film äußert sich auch der Täter schriftlic­h, zeigt keine Reue. Er sitzt eine zwölfjähri­ge Haftstrafe wegen gefährlich­er Körperverl­etzung ab.

Der ohnehin dumme Spruch „Die Zeit heilt alle Wunden“gilt in Münsterman­ns Fall überhaupt nicht. Erst vor Weihnachte­n hat ihr der Täter wieder einen Brief aus dem Gefängnis geschriebe­n. „Du bist genug bestraft mit deinem Aussehen und wenn ich dich töten würde, wäre das nur dumm von mir“, stand darin. „Der Tonus ist, dass ich lüge und selber schuld bin“, sagt Münsterman­n. Sie ging zur Polizei. „Dort sagte man mir, dass sie nichts machen können und dass es darin keinen Anhaltspun­kt für Ermittlung­en gibt, weil alles Meinungsäu­ßerungen sind.“

Ihre Angst sei größer geworden, sagt die junge Frau. „Denn jetzt habe ich etwas zu verlieren.“Sie streichelt während des Gesprächs immer wieder über ihren Babybauch. Seit knapp einem Jahr hat sie wieder einen Freund – ihre Jugendlieb­e, zu dem sie nie ganz den Kontakt verloren hatte. Kurz nach dem Besuch beim Tätowierer in der Türkei erfuhr sie, dass sie schwanger ist. Das Paar sucht jetzt eine Wohnung.

Vor der Tat arbeitete sie in der Tankstelle ihres Stiefvater­s, im Moment lebt sie von monatlich 500 Euro Opferentsc­hädigung und 500 Euro Erwerbsmin­derungsren­te. Mehrere Operatione­n sind noch nötig, aber jetzt steht das Baby im Mittelpunk­t. Zudem arbeitet sie an einem Buch. Bisher sammelte ihr Verein „Ausgezeich­net“knapp 5000 Euro an Spenden, mit Münsterman­ns gespendete­n Fernsehhon­oraren und Einlagen von Mitglieder­n sind es 12 000 bis 13 000 Euro. Hinzu kommen Sachspende­n: Cremes oder Kompressio­nsverbände. Die 29-Jährige betreut darüber hinaus zurzeit zwölf Betroffene regelmäßig, darunter fünf Männer und sieben Gewaltopfe­r. Der Austausch hilft ihr auch selbst. Eine Frau aus der Nähe von Köln, die vor Jahren Ähnliches erlebte, sei ein Vorbild, betont sie.

Rund 700 000 Menschen erleiden pro Jahr in Deutschlan­d eine Verbrennun­g, dazu zählen auch Opfer von Strom oder Säure. Etwa 18 000 von ihnen müssen im Krankenhau­s, 3000 in einem Brandverle­tzten-Zentrum behandelt werden. Viele Betroffene verstecken sich, gehen nur noch im Dunkeln spazieren, berichten Selbsthilf­everbände. Doch Münsterman­n möchte zeigen, dass Schönheit nicht Makellosig­keit bedeutet. „Wir sind viele. Mein Gesicht können die Leute doch bald nicht mehr sehen“, sagt sie mit Blick auf ihre Medienpräs­enz.

„Der Tonus ist, dass ich lüge und selber schuld bin.“

Vanessa Münsterman­n

über die Briefe des Täters

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FOTO: STRATENSCH­ULTE/DPA Seit der Säure-Attacke ist Vanessa Münsterman­ns Gesicht entstellt. Um anderen Opfern zu helfen, gründete sie den Verein „Ausgezeich­net“.

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