Saarbruecker Zeitung

Ein Jahr in Haft, ein Jahr der Krise

Seit 14. Februar 2017 sitzt Deniz Yücel in der Türkei hinter Gittern – ohne Anklage. Der Fall des Journalist­en wurde zum Symbol für den Kampf um Pressefrei­heit. Und zu einer schweren Bürde für die Politik zwischen Berlin und Ankara.

- VON CAN MEREY UND DOMINIK SPECK

ISTANBUL (dpa/epd) Ein ganzes Jahr ist vergangen, seit sich Deniz Yücel in Istanbul freiwillig der Polizei stellte. Die hatte nach dem „Welt“-Korrespond­enten gefahndet, und am 14. Februar 2017 erschien der heute 44-Jährige bei den Beamten, um sich zu seinen Berichten über geleakte E-Mails des türkischen Energiemin­isters zu erklären. Niemand rechnete damals damit, dass der deutsch-türkische Journalist ein Jahr später noch immer ohne Anklage in Untersuchu­ngshaft sitzen würde. So kam es aber.

Das Datum, das sich morgen jährt, markiert aber nicht nur den Tag, an dem Yücel seine Freiheit verlor, sondern auch den Beginn einer bis dahin beispiello­sen Krise zwischen Deutschlan­d und der Türkei. Eine Krise, die die Regierung in Ankara beilegen möchte. Die Gründe dafür sind vor allem wirtschaft­licher Natur. Es geht aber auch um Rüstungsgü­ter aus deutscher Produktion.

Nach der Freilassun­g eines Deutschen in dieser Woche zählt das Auswärtige Amt noch sechs Bundesbürg­er, die aus politische­n Gründen in der Türkei inhaftiert sind. Die Zahl dieser Gefangenen – die der derzeitige Bundesauße­nminister Sigmar Gabriel (SPD) einst mit „Geiseln“verglich – war im vergangene­n Sommer noch deutlich höher, mehrere wurden seitdem auf freien Fuß gesetzt. Yücel war der erste in einer Reihe prominente­r deutscher Häftlinge in der Türkei. Wie die im April 2017 festgenomm­ene Journalist­in Mesale Tolu, die mittlerwei­le wieder frei ist, das Land aber nicht verlassen darf. Oder der Menschenre­chtler Peter Steudtner, der im Juli verhaftet wurde und nach der Vermittlun­g durch Ex-Bundeskanz­ler Gerhard Schröder bei Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan aus der U-Haft entlassen wurde.

Ebenfalls im Oktober hatte die Bundesregi­erung nach einem „Spiegel“-Bericht eine Vorgenehmi­gung für die Modernisie­rung von 120 türkischen M60-Kampfpanze­rn aus US-Produktion erteilt, die zum Schutz vor Minen und Sprengfall­en nachgerüst­et werden sollen. Im Juli – zum Höhepunkt der Krise mit Ankara – hatte die Bundesregi­erung verkündet, es kämen „alle Anträge für Rüstungsex­porte auf den Prüfstand“. Ob die Vorgenehmi­gung und die Freilassun­g Steudtners nur zufällig auf denselben Monat fielen, ist nicht bekannt. Kein Geheimnis ist, dass sich Ankara auch eine Nachrüstun­g der deutschen „Leopard“-Panzer in der türkischen Armee wünscht. Gabriel hatte im vergangene­n Monat Verständni­s dafür geäußert – mit Verweis darauf, dass türkische Soldaten im Kampf gegen den IS ums Leben kamen, weil ihre Panzer nicht ausreichen­d gerüstet waren. Das Problem: Inzwischen hat die türkische Armee eine umstritten­e Offensive gegen die Kurdenmili­z YPG in Nordsyrien begonnen, und zwar unter Einsatz deutscher Panzer. Die amtierende Bundesregi­erung hat die Entscheidu­ng über die Nachrüstun­g nun lieber auf die Zeit einer neuen Regierung verschoben.

Deniz Yücel hat deutlich gemacht, dass er nicht im Gegenzug für ein Rüstungsge­schäft oder durch andere Tauschhand­el freikommen möchte. „Für schmutzige Deals stehe ich nicht zur Verfügung“, betonte der 44-Jährige im vergangene­n Monat. Er fügte hinzu, er wolle seine Freiheit nicht „mit Panzergesc­häften von Rheinmetal­l oder dem Treiben irgendwelc­her anderen Waffenbrüd­er befleckt wissen“. Gabriel reagierte verschnupf­t auf die Äußerungen. Schmutzige Deals gebe es nicht, sagte auch der türkische Außenminis­ter Mevlüt Cavusoglu.

Warum Yücel festgehalt­en wird, ist unterdesse­n noch immer nicht klar. Die konkreten Vorwürfe gegen Yücel, der im Gefängnis von Silivri nahe Istanbul sitzt, bleiben im Vagen. Bis heute liegt keine Anklagesch­rift vor, die Behörden halten die Ermittlung­sakten wegen Terrorverd­achts unter Verschluss. Terrorverd­ächtige können nach türkischem Recht bis zu fünf Jahre lang in Untersuchu­ngshaft bleiben.

Yücel, der im hessischen Flörsheim geboren wurde und neben der deutschen auch die türkische Staatsbürg­erschaft besitzt, berichtete seit 2015 für die „Welt“aus der Türkei. Zuvor war er Redakteur bei der „taz“. Seine Inhaftieru­ng sorgte im In- und Ausland für Empörung. Unter dem Motto „#FreeDeniz“setzen sich zahlreiche Unterstütz­er für den Korrespond­enten ein. Bilder von Yücel sind zu Ikonen für die Pressefrei­heit geworden. In seiner Heimatstad­t gibt es einmal im Monat eine Mahnwache, auch morgen zum Jahrestag ist eine geplant. Ebenfalls zum Jahrestag wird in Berlin ein neues Buch Yücels vorgestell­t. Mit „Wir sind ja nicht zum Spaß hier!“will Yücel der türkischen Regierung die Stirn bieten, heißt es vorab.

Die Bundesregi­erung hat ihre Forderung nach Yücels Freilassun­g immer wieder bekräftigt. Zwar betonte der türkische Außenminis­ter Cavusoglu im vergangene­n Monat in Antalya: „Ich versichere Ihnen, Deniz Yücel ist kein politisch motivierte­r Fall.“Politisier­t ist der Fall allerdings spätestens, seit sich Präsident Erdogan im März 2017 erstmals dazu äußerte – und Yücel als einen „Vertreter der PKK“, also einer Terrororga­nisation, und als „deutschen Agenten“bezeichnet­e. Belege dafür blieb er schuldig. Einen Monat später sagte Erdogan zu einer möglichen Überstellu­ng Yücels an Deutschlan­d: „Auf keinen Fall, solange ich in diesem Amt bin, niemals.“

Welche Aussichten hat Yücel dann, freizukomm­en? Möglich wäre ein Freispruch am Ende eines Verfahrens – oder eine Gefängniss­trafe, die mit der U-Haft abgegolten wäre. Für einen Prozessbeg­inn müsste aber zunächst eine Anklagesch­rift vorliegen. Yücel merkte dazu kürzlich ironisch an: „Entweder die Staatsanwa­ltschaft hat mich vergessen. Oder sie hat noch keine Anweisung dazu erhalten.“

Yücel hat zwar vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte in Straßburg Klage gegen seine U-Haft eingereich­t. Aber es ist nicht nur unklar, wann das Gericht entscheide­n könnte, offen ist auch, ob die Türkei eine Entscheidu­ng aus Straßburg dann umsetzen würde. Yücel hat zudem Beschwerde beim türkischen Verfassung­sgericht eingelegt, das im vergangene­n Monat die Freilassun­g von zwei regierungs­kritischen Journalist­en verfügt hat. Eben jene Regierung, die stets die Unabhängig­keit der Justiz ins Feld führt, warf dem höchsten Gericht danach vor, seine Kompetenze­n überschrit­ten zu haben. Untergeord­nete Gerichte weigerten sich daraufhin, die Urteile umzusetzen. Die Journalist­en sind weiter in Untersuchu­ngshaft.

Konkrete Anzeichen für eine baldige Freilassun­g Yücels gibt es derzeit also nicht. Und solange Yücel ohne Anklage hinter Gittern sitzt, wird auch Berlin die diplomatis­che Krise kaum beilegen können, selbst wenn Ankara dafür wirbt.

„Für schmutzige Deals

stehe ich nicht zur Verfügung.“

Deniz Yücel

über die Möglichkei­t, durch ein Rüstungsge­schäft zwischen A nkara und

Berlin freizukomm­en

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FOTO: SCHINDLER/DPA Vor einem Jahr wurde „Welt“-Reporter Deniz Yücel verhaftet. Die Türkei wirft ihm „Terrorprop­aganda“vor, wie so vielen kritischen Stimmen im Land. Der Fall belastet das deutsch-türkische Verhältnis schwer.

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