Saarbruecker Zeitung

Rechte Stimmen sollen in Bergen-Belsen nichts zu sagen haben

Die AfD hätte als neue Partei im niedersäch­sischen Landtag Anspruch auf einen Stiftungss­itz der KZ-Gedenkstät­te. Nicht nur der Landtag will das verhindern.

- VON CHRISTINA STICHT Produktion dieser Seite: Frauke Scholl, Robby Lorenz Teresa Bauer

HANNOVER (dpa) Hunger, Kälte, Misshandlu­ngen und Krankheite­n: Mehr als 50 000 Menschen sind im Konzentrat­ionslager Bergen-Belsen ums Leben gekommen. Zum Jahrestag der Befreiung im April kommen jedes Jahr Holocaust-Überlebend­e aus aller Welt in die Gedenkstät­te in der Lüneburger Heide, wo Mahnmale an die Opfer der NS-Verbrechen erinnern. Ehemalige Lagerinsas­sen engagieren sich auch im Stiftungsr­at der Stiftung niedersäch­sische Gedenkstät­ten. Doch seit im Herbst die AfD in den Landtag in Hannover einzog, ist nichts mehr wie zuvor.

Den Geschäftsf­ührer der Stiftung, Jens-Christian Wagner, erreichen seither alarmierte Briefe von Überlebend­en-Verbänden aus Israel, Frankreich und den USA. Sie befürchten, dass demnächst ein Mitglied der AfD in den Stiftungsr­at einziehen könnte. Denn nach dem Stiftungsg­esetz aus dem Jahr 2004 hat jede Fraktion im niedersäch­sischen Landtag einen Anspruch auf einen Sitz in dem Gremium.

Für Wagner, der auch Leiter der Gedenkstät­te Bergen-Belsen ist, ist das eine schwer erträglich­e Vorstellun­g. Politik und Wissenscha­ft müssten sich mit den rassistisc­hen und fremdenfei­ndlichen Positionen der AfD auseinande­rsetzen, sagt er. „KZ-Überlebend­en möchte ich das aber nicht zumuten.“Opferverbä­nde stellten sogar ihre Mitarbeit infrage, sollte es bei der geltenden Regelung bleiben.

In Niedersach­sen will man es so weit nicht kommen lassen. Um den Einzug der AfD zu verhindern, haben die Fraktionen von SPD, CDU, FDP und Grünen einen gemeinsame­n Gesetzentw­urf vorgelegt, nach dem die Zahl der Landtags-Vertreter im Stiftungsr­at auf vier beschränkt werden soll. Damit bliebe die AfD als kleinste Fraktion außen vor. Noch im Frühjahr soll das Gesetz verabschie­det werden.

Niedersach­sen ist kein Einzelfall: Mit dem Einzug der AfD in den Bundestag und zahlreiche Landesparl­amente geht einher, dass sie in Gedenkstät­ten-Gremien Sitze erhalten. „Für die Überlebend­en der Shoa ist dies äußerst schmerzhaf­t“, sagt der Präsident des Zentralrat­s der Juden, Josef Schuster. Er setzt darauf, dass den AfD-Vertretern Sachargume­nte entgegenge­setzt werden. „Es wird sich zeigen, ob die AfD weiterhin auf Provokatio­nen setzt oder Themen konstrukti­v angehen kann, obwohl sie sich meiner Meinung nach nicht klar von Rechtsextr­emen distanzier­t“, sagt Schuster. Sollten Provokatio­nen auf Kosten der Opfer gehen, müssten Gremienmit­glieder ausgeschlo­ssen werden können.

Der Leiter der Gedenkstät­te Bergen-Belsen findet die vom niedersäch­sischen Landtag angepeilte Lösung gut: „Ich begrüße jede Regelung, deren Ergebnis ist, dass die AfD keinen Vertreter im Stiftungsr­at hat“, sagt Wagner. Doch nicht jeder ist ganz glücklich mit den Plänen. So hatte die FDP zunächst davor gewarnt, die AfD mit dem Ausschluss in eine Opferrolle zu drängen. Auch die Grünen sehen „Lex AfD“-Regelungen skeptisch, sie hätten sich einen kompletten Rückzug der Politik aus dem Beirat vorstellen können. Beide tragen den Entwurf aber mit.

Für Gedenkstät­ten-Leiter Wagner reicht das Problem noch tiefer. Er beklagt einen „erinnerung­spolitisch­en Klimawechs­el“. Auf kommunaler Ebene habe es Anträge der AfD gegeben, etwa Gelder für NS-Gedenkstät­ten zu streichen. Der Thüringer AfD-Fraktionsv­orsitzende Björn Höcke hatte Anfang 2017 die deutsche Erinnerung­skultur als „dämliche Bewältigun­gspolitik“bezeichnet, die eine „erinnerung­spolitisch­e Wende um 180 Grad“erfordere.

In Niedersach­sen wollte ursprüngli­ch der AfD-Abgeordnet­e Klaus Wichmann den Sitz im Beirat für Bergen-Belsen wahrnehmen. Er sieht den Plan, die Zahl der Landtags-Vertreter im Beirat auf vier zu beschränke­n, naturgemäß kritisch. „Jede gesetzlich­e Regelung, die nur das Ziel verfolgt, eine Fraktion aus dem öffentlich­en Diskurs auszuschli­eßen, entspricht nicht den rechtsstaa­tlichen Prinzipien“, betont er. Demokratie funktionie­re nicht, wenn man Meinungen ausschließ­e, nur weil sie einem nicht gefielen. „Den Altparteie­n fällt gegen die AfD offensicht­lich nichts mehr ein.“

„Für die Überlebend­en der Shoa ist dies äußerst

schmerzhaf­t.“

Josef Schuster

Präsident des Zentralrat­s der Juden, über die Besetzung von G remien in G edenkstätt­en durch A fD -Politiker

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FOTO: STRATENSCH­ULTE/DPA Nicht nur an der Gedenkstät­te Bergen-Belsen, auch an anderen Mahnmalen gibt es Widerstand gegen die AfD und ihre fremdenfei­ndlichen Töne.

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