Saarbruecker Zeitung

Das Schattenmo­nster von oben drüber

Zu viel fernsehen hat bei unserer Autorin zu etwas Realitätsv­erlust geführt. Was wirklich passiert ist, war zu unglaublic­h.

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Ich sitze auf der Couch und „bingewatch­e“, wie man neudeutsch einen Serien-Marathon nennt, alle Folgen des US-Horrorerfo­lgs „Stranger Things“. Dabei genieße ich ein paar Karotten-Streifen mit Hummus. Stimmt gar nicht. In Wahrheit schnabulie­re ich Chips – Salt & Vinegar. Aber das gebe ich nur ungern zu. Vor allem, weil es nicht etwa 20 Uhr abends ist. Es ist einer meiner freien Tage und elf Uhr in der Früh.

Am Ende der ersten Staffel sind die vier Kinder dem mysteriöse­n Schattenmo­nster, von dem die Serie handelt, dicht auf den Fersen. Während die Spannung ins Unermessli­che steigt, kitzelt ein leises Kratzen aus dem Flur an meinen Ohren. Es wird immer lauter, ist langsam deutlich wahrnehmba­r, als würden sich lange Fingernäge­l in der Wand vergraben. Aus dem Schürfgerä­usch wird ein Hämmern. Poff, Poff, Poff. Immer heftiger poltert es im Flur. „Ist es das Schattenmo­nster, der Demogorgon?!?“, denk ich. Kinderschr­eie aus dem Fernseher. Die hat er schon erwischt. Bald bin auch ich dran. Vorsichtig öffne ich die Wohnzimmer­tür. Ein Rohr, sonst unscheinba­r in einer Ecke meiner Flurdecke versunken, bewegt sich wie von Geisterhan­d. Auf und ab. Der Putz rieselt von der Decke. Tiefe Krater hinterläss­t das gebogene Stück Eisen. „Stopp, stopp, aufhören“, schreie ich. Alles Flehen, es ist vergebens. Mit einem letzten Poff bricht das Rohr durch die Decke. Es ist nicht der Demogorgon, in dessen Antlitz ich jetzt blicke, sondern das verdutzte Gesicht eines Bauarbeite­rs, der ein Stockwerk über mir gerade eine Wohnung renoviert. Ein großes Loch, zehn Zentimeter Durchmesse­r, ziert jetzt meine Altbaudeck­e. „Isch kann jo nedd durch die Deck gugge“, sagt der Rohrzieher. Na ja… Ich jetzt schon.

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