Saarbruecker Zeitung

Warum Reformen in Europa so schwierig sind

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Die Reformer haben Recht: Diese Europäisch­e Union verschreck­t durch ein unübersich­tliches Gefüge von Kompetenze­n und Zuständigk­eiten. Es gibt drei Präsidente­n, drei Institutio­nen – und einen EU-Gipfel, der zwar mächtig scheint, aber eigentlich keine Gesetzeskr­aft hat. Daneben eine fast schon autonom agierende Euro-Gruppe sowie etliche EU-Agenturen. In der Kommission treten sich 28 Mitglieder dieser Führungsri­ege gegenseiti­g auf die Füße. Jean-Claude Junckers Idee von herausgeho­benen Vizepräsid­enten, die mehrere Fach-Kommissare anleiten, hat an dem Wirrwarr nicht viel ändern können. So beeindruck­t man keinen Bürger. Mit soviel Intranspar­enz motiviert Europa keine Wähler.

Brüssels Machtzentr­en sind schwer zu durchschau­en und noch weniger zu verstehen. Der Kommission­spräsident tut gut daran, wenn er nun sein Erbe ordnen will und dabei zwar keinen Kahlschlag, wohl aber ein neues Format angeht. Einen Präsidente­n, der den Staats- und Regierungs­chefs vorsitzt und die oberste EU-Behörde leitet – das macht Sinn. Eine Verkleiner­ung der Kommission auf 16 oder 18 Mitglieder wäre überfällig, ist aber politisch nicht durchsetzb­ar. Welches EU-Mitglied will schon auf seinen Vertreter in der Führungsri­ege verzichten? Aber so darf es nicht weitergehe­n.

Das Spitzenkan­didaten-Modell mag vor vier Jahren kaum mehr als ein Testlauf gewesen sein – übrigens eines, das kaum mehr Wähler animiert hat. Nun könnte es besser werden, wenn der Wahlsieger nicht einfach nur einen Top-Job bekommt, sondern sich auch regierungs­fähige Mehrheiten in den Fraktionen des Parlamente­s suchen muss. Der eigentlich­e Fortschrit­t dieser Operation liegt nicht nur im demokratis­chen Mehr, sondern vor allem darin, dass der Eindruck abgestellt wird, die EU kungele ihr Spitzenper­sonal in Hinterzimm­ern aus. So falsch ist das Bild nämlich nicht. Dies führt zu europäisch­er Politikver­drossenhei­t und liefert den Europa-Skeptikern und -Gegnern ungewollt Munition.

Juncker hat versucht, dem zu begegnen, auch indem er seine Kommission politische­r machen wollte. Doch genau das verschärft­e nur die Angst vor dem Machtzentr­um Brüssel, in dem das Gewicht der Mitgliedst­aaten immer geringer wird. Die Kommission hat die Konsequenz­en erfahren, als ihre Freihandel­spläne zu breitem öffentlich­en Widerstand führte.

Aus diesem Dilemma muss Juncker heute einen Weg zeigen, der die Staats- und Regierungs­chefs überzeugt, bestenfall­s sogar mitreißt. Doch die haben in den vergangene­n Jahren mehr als einmal gezeigt, dass ihnen eine geschwächt­e Kommission lieber wäre, die dann Raum für direkte Vereinbaru­ngen zwischen den Regierunge­n lässt. Soll heißen: Man kungelt lieber miteinande­r, als sich einem parlamenta­rischen Verfahren auf europäisch­er Ebene zu stellen. Wie Juncker die 28 Staatenlen­ker in die Schranken weisen und gleichzeit­ig das Gewicht der EU-Institutio­nen durch mehr Öffnung und Verschlank­ung erhöhen kann, ist nur schwer erkennbar. Denn die, die den Schlüssel für alle Reformen in der Hand halten, müssten zurückstec­ken.

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