Saarbruecker Zeitung

Warum im Saarland so viele Totenschei­ne fehlerhaft sind

Laut einer Studie ist die Leichensch­au in Deutschlan­d ein Desaster. Ein Homburger Experte erläutert die Gründe.

- VON STEPHANIE SCHWARZ

Eine Frau im Wachkoma stirbt zu Hause im Kreis der Angehörige­n. Die Ärztin, die die Leichensch­au durchführt, notiert in der Todesbesch­einigung: Herzinfark­t – natürliche­r Tod. Eine Lüge, wie sich bei einer zweiten Leichensch­au herausstel­lt. Die Verstorben­e war Monate zuvor in einen Verkehrsun­fall verwickelt, erlitt ein Schädel-Hirn-Trauma und fiel ins Wachkoma. Die Ärztin gab daraufhin zu, sich die Todesursac­he ausgedacht zu haben, um nicht die Polizei rufen zu müssen. Die richtige Diagnose wäre gewesen: nicht natürliche­r Tod und fahrlässig­e Tötung. Und damit ein Fall für die Polizei.

Kein Einzelfall. Denn Fehler in Totenschei­nen sind eher die Regel als die Ausnahme. Für viele Ärzte ist die Leichensch­au nur ein „notwendige­s Übel“, das viel Zeit in Anspruch nimmt und schlecht bezahlt wird: „Etwa 14,57 Euro plus Spritgeld, mehr gibt es dafür nicht“, sagt Rechtsmedi­ziner Dr. Fred Zack. Er und sein Team am Institut für Rechtsmedi­zin der Universitä­tsmedizin Rostock haben 10 000 Totenschei­ne aus den Jahren 2012 bis 2015 überprüft. Lediglich 223 waren fehlerfrei. Das Team fand dagegen insgesamt 38 852 Fehler – davon 3116 schwerwieg­ende. „Mit dieser Größenordn­ung haben wir zu Beginn der Studie nicht gerechnet“, sagt Zack. Auch im Saarland hat das Gesundheit­sministeri­um in einer Studie die Qualität der saarländis­chen Leichensch­auen überprüft. Bislang liegen noch keine Ergebnisse vor.

Fest steht jedoch: Die mangelhaft­e Sorgfalt bei Leichensch­auen in Deutschlan­d werde häufig beklagt, sagt Professor Peter Schmidt, Leiter des Instituts für Rechtsmedi­zin in Homburg. Für ihn klingt die hohe Fehlerzahl jedoch dramatisch­er als sie ist: „Viele der leichten Fehler, die die Studie aufgedeckt hat, sind formale Fehler und keine unbemerkte­n Mordanzeic­hen.“Wenn von einem nicht natürliche­n Tod die Rede ist, schrillen bei vielen die Alarmglock­en für Mord. „Ein nicht natürliche­r Tod ist immer Folge einer äußeren Einwirkung, zum Beispiel ein Unfall, Gewalteinw­irkung oder ein Suizid, aber nicht zwingend Gewalt durch fremde Hand.“Die hohe Zahl an formalen Fehlern erklärt der Rechtsmedi­ziner so: Im Totenschei­n muss der Arzt Details zum Verstorben­en eintragen, die er oft nicht wissen kann, beispielsw­eise den Geburtsort.

Das bestätigt auch die Rostocker Studie. Die häufigsten leichten Fehler waren die nicht ausgefüllt­en Spalten: „Zeitdauer zwischen Beginn der Erkrankung und Tod“, „Wohnkreis“und „Geburtsort“. Unter den schwerwieg­enden Fehlern dominierte die „nicht nachvollzi­ehbare Kausalkett­e“. Ein Beispiel: Eine ältere Person stirbt an einer Lungenembo­lie. Eigentlich ein natürliche­r Tod. Jedoch ist die Ursache der Lungenembo­lie eine Thrombose. Die Venenerkra­nkung geht zurück auf eine Operation, die notwendig war, nachdem die Verstorben­e von einem Auto angefahren worden war. „Obwohl ein Tod infolge einer Lungenembo­lie für sich betrachtet ein natürliche­r Tod sein kann, liegt hier doch eine nicht natürliche Todesart vor, da am Anfang der Kette der Autounfall steht“, erklärt Schmidt. Wie ein Detektiv muss der Arzt vorgehen, um an den Ursprung der Kausalkett­e zu gelangen. Was oft nicht möglich ist, da keine umfassende Patientena­kte vorliegt und der Leichensch­auarzt die genaue Krankheits­geschichte nicht kennt.

In 44 Fällen wurde laut Studie fälschlich ein natürliche­r Tod bescheinig­t. Hochgerech­net auf Deutschlan­d seien das etwa 4070 nicht gemeldete, nicht natürliche Todesfälle pro Jahr. Die Sorgfalt bei ärztlichen Leichensch­auen sei nicht ausreichen­d und die Bestrafung sehr selten, beklagt Rechtsmedi­ziner Zack. Im oben geschilder­ten Fall sei die Ärztin beispielsw­eise nicht für die Falschanga­be bestraft worden. Obwohl grobe Nachlässig­keit mit einem Ordnungsge­ld geahndet werden kann.

Ein Totenschei­n ist keine Petitesse. Wenn ein nicht natürliche­r Tod unerkannt bleibt, hat das Folgen vor allem für die Strafverfo­lgung aber auch für die Angehörige­n. Totenbesch­einigungen können zum Beispiel auch klären, ob Hinterblie­bene Anspruch auf eine Versicheru­ngszahlung haben.

 ?? FOTO: ANDREAS ARNOLD/DPA ?? Für viele Ärzte ist eine Leichensch­au nur ein notwendige­s Übel. Die Leichen werden nur oberflächl­ich untersucht, kritisiere­n viele Rechtsmedi­ziner. So entstehen Fehler. Und Verbrechen können unentdeckt bleiben.
FOTO: ANDREAS ARNOLD/DPA Für viele Ärzte ist eine Leichensch­au nur ein notwendige­s Übel. Die Leichen werden nur oberflächl­ich untersucht, kritisiere­n viele Rechtsmedi­ziner. So entstehen Fehler. Und Verbrechen können unentdeckt bleiben.

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