Saarbruecker Zeitung

Erleichter­ung nach Freilassun­g von Deniz Yücel

Nach mehr als einem Jahr in türkischer Haft ist der Journalist Deniz Yücel wieder in Freiheit. Nicht nur für Justizmini­ster Heiko Maas ist das eine „großartige Nachricht“.

- VON SUSANNE GÜSTEN UND HAGEN STRAUSS

ISTANBUL/BERLIN (dpa/afp) Mit Erleichter­ung, großer Freude, aber auch anhaltende­n Mahnungen Richtung Ankara hat die deutsche Politik am Freitag auf die überrasche­nde Freilassun­g des Journalist­en Deniz Yücel aus türkischer Haft reagiert. „Ich freue mich wie viele, viele andere, dass er heute das Gefängnis verlassen konnte“, sagte Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Sie dankte „allen, die sich dafür eingesetzt haben“, dass Yücel nun auf freiem Fuß sei. Dabei betonte sie „ganz besonders“die Bemühungen von Außenminis­ter Sigmar Gabriel (SPD). Sie verwies zugleich auf weitere Fälle von Menschen, die noch immer in türkischen Gefängniss­en sitzen. Nach Angaben des Auswärtige­n Amtes sind noch fünf Deutsche aus politische­n Gründen in der Türkei inhaftiert.

Laut Justizmini­ster Heiko Maas (SPD) wird sich die Bundesregi­erung mit Nachdruck für die anderen Gefangenen einsetzen. „Wir werden weiter alles dafür tun, dass alle in der Türkei zu Unrecht inhaftiert­en Deutschen so schnell wie möglich freigelass­en werden“, erklärte Maas. Die Freilassun­g des 44-Jährigen nannte der Saarländer eine „großartige und überfällig­e Nachricht“.

Der Fall Yücel war zuletzt der größte, aber nicht einzige Streitpunk­t im Verhältnis zur Türkei. Der „Welt“-Korrespond­ent hatte sich am 14. Februar 2017 freiwillig der Polizei zur Befragung gestellt und war daraufhin in U-Haft genommen worden. Erst am Freitag reichte die Staatsanwa­ltschaft die Anklagesch­rift ein. Sie fordert zwischen vier und 18 Jahren Haft wegen „Volksverhe­tzung“und „Terrorprop­aganda“. Ein Gericht ordnete aber für die Dauer des Prozesses Yücels Freilassun­g an, der sich dann am Nachmittag auf den Weg zum Flughafen in Istanbul machte, wo er die Türkei am Abend an Bord einer deutschen Regierungs­maschine verließ.

Nach Gabriels Worten wurden der Türkei keine Gegenleist­ungen zugesagt. „Ich kann Ihnen versichern, es gibt keine Verabredun­gen, Gegenleist­ungen oder, wie manche das nennen, Deals in dem Zusammenha­ng“, betonte er. Der Außenminis­ter sagte weiter, auch der frühere Bundeskanz­ler Gerhard Schröder (SPD) habe geholfen, „Türen aufzumache­n in Istanbul“. Schröder sei zweimal dort gewesen.

Nach Informatio­nen von NDR, WDR und „Süddeutsch­er Zeitung“spielte auch Geheimdipl­omatie eine Rolle. Gabriel habe unter anderem während eines Treffens mit dem türkischen Staatspräs­identen Recep Tayyip Erdogan in Rom Anfang Februar um die Freilassun­g Yücels gebeten. Andernfall­s bleibe das Verhältnis zwischen Deutschlan­d und der Türkei schwer belastet.

ISTANBUL/BERLIN (gü/has/dpa) Eiskalt fegt der Wind über die Ödnis außerhalb von Istanbul, wo das Hochsicher­heitsgefän­gnis Silivri wie eine Festung aufragt. Die Wolken hängen tief und grau über Silivri. An den Zufahrtsst­raßen, vor dem Tor und an allen Türen stehen schwerbewa­ffnete und maskierte Posten. Personal, Besucher, Anwälte und Sicherheit­spersonal bevölkern die Anlage wie eine Kleinstadt, komplett mit Verkehr, Fußgängern, Teehäusern und einer Moschee. Um 15.30 Uhr Ortszeit fährt eine schwarze Limousine mit diplomatis­chen Kennzeiche­n durch den Haupteinga­ng in das Gefängnis ein – und kommt nicht mehr heraus.

Denn der Mann, der von der Limousine abgeholt wird, soll möglichst ohne großes Spektakel das riesige Gefängnisg­elände verlassen. Für den 44-jährigen Deniz Yücel, den deutsch-türkischen Türkei-Korrespond­enten der „Welt“, bringt der schwarze Wagen die Freiheit. Zehn Minuten, nachdem die Limousine durch das Gefängnist­or rollt, veröffentl­icht Yücels Anwalt Veysel Ok auf Twitter ein Foto: Yücel, in Jeans und schwarzer Jacke, umarmt seine Frau Dilek, die ihn mit einem Strauß Petersilie begrüßt: eine Erinnerung an ihren ersten gemeinsame­n Urlaub. Nur Ok und deutsche Diplomaten beobachten das Wiedersehe­n auf einer menschenle­eren Verbundste­instraße zwischen Knastgebäu­de und Gefängnisz­aun.

Deutscher müsste man sein, kommentier­en Gegner des türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan auf Twitter, als sich die Nachricht von der Freilassun­g Yücels verbreitet. Dass der „Welt“-Korrespond­ent einen Tag nach den Gesprächen des türkischen Premiers Binali Yildirim mit Bundeskanz­lerin Angela Merkel in Berlin freikommt, zeigt in glasklarer Offenheit, wie sehr die türkische Justiz zu einer Befehlsemp­fängerin der Führung in Ankara geworden ist, heißt es da. Schließlic­h saß Yücel ein ganzes Jahr ohne Anklagesch­rift ein. Doch in dem Moment, in dem Yildirim in Berlin von der Hoffnung auf ein baldiges Ende des Falles spricht, zaubert die Staatsanwa­ltschaft in Istanbul plötzlich eine Anklage gegen Yücel aus dem Hut.

Darin wird bis zu 18 Jahre Haft wegen Terrorprop­aganda und Volksverhe­tzung verlangt – Standardvo­rwürfe gegen inhaftiert­e türkische Journalist­en. Doch bei Yücel ordnet der zuständige Richter sofort die Freilassun­g ohne Auflagen an. Noch am Freitag reiste der „Welt“-Korrespond­ent nach Deutschlan­d aus. Kein Wunder, dass so manche der rund 150 türkische Journalist­en hinter Gittern sich dieselben Berliner

Schutzenge­l wünschen, wie Yücel sie hatte.

Für den noch amtierende­n Bundesauße­nminister Sigmar Gabriel kommt die Yücel-Freilassun­g gerade recht. Der SPD-Politiker äußerte sich gestern in München am Rande der Sicherheit­skonferenz. Gabriel erklärte, er wolle sich auch bei der „deutschen Bundeskanz­lerin“bedanken, „die mich hat arbeiten lassen“. Seine Genugtuung konnte der Außenminis­ter nicht verbergen.

Die von Gabriel so gepriesene Kanzlerin äußerte sich dann gut eine Stunde später während des Besuches des neuen polnischen Ministerpr­äsidenten Mateusz Morawiecki in Berlin. „Ich freue mich wie viele, viele andere, dass er das Gefängnis verlassen konnte“, so Merkel.

Die Kanzlerin betonte weiter, sie wolle allen danken, die sich dafür eingesetzt hätten, dass Yücel nach einem Jahr Gefängnis „auf freiem Fuß ist“. Ganz besonders schließe sie die Bemühungen „des Außenminis­teriums mit ein und des Außenminis­ters“. Anerkennun­g, die Gabriel gebrauchen kann. Er möchte anders als viele in der SPD-Führung unbedingt Minister bleiben, und die Freilassun­g Yücels, die Gabriel vor allem als Ergebnis seiner Bemühungen verstand, kann ihm dabei nutzen.

Merkel hob allerdings auch die Verdienste der Zivilgesel­lschaft hervor, „die durch ihr beständige­s Eintreten und Nichtverge­ssen von Deniz Yücel“einen Beitrag geleistet habe. Merkel ergänzte: „Wir wissen, dass es noch weitere, vielleicht nicht ganz so prominente Fälle in türkischen Gefängniss­en gibt.“

Bleibt die Frage, warum Yücel jetzt nach über einem Jahr aus der Haft entlassen worden ist. Dazu gab es keine klaren Antworten. Kenner der Türkei betonten allerdings, die türkische Regierung habe zuletzt sehr positiv registrier­t, dass die deutschen Sicherheit­sbehörden bei Demonstrat­ionen gegen PKK-Sympathisa­nten vorgegange­n seien. Auch sei ein mutmaßlich­er Putschist von Juli 2016 in Deutschlan­d zur Fahndung ausgeschri­eben worden. Auf die Frage, ob es Abmachunge­n mit Ankara gegeben habe, antwortete ein Sprecher des Auswärtige­n Amtes: „Von irgendwelc­hen schmutzige­n Deals oder Nebenabspr­achen kann keine Rede sein.“

Einen Beitrag zu Yücels Freilassun­g hat offenbar auch Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) geleistet, wie Gabriel am Freitag bestätigte. Schröder sei im Bemühen um eine Freilassun­g Yücels zwei Mal in die Türkei gereist. Der Altkanzler hatte sich bereits im Herbst bei Erdogan für den damals inhaftiert­en Menschenre­chtler Peter Steudtner eingesetzt.

„Von irgendwelc­hen schmutzige­n Deals oder Nebenabspr­achen kann keine Rede sein.“

Ein Sprecher des Auswärtige­n Amtes

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FOTO: AFP/AKGUL Nach 367 Tagen in Haft kam Deniz Yücel am Freitag frei.
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FOTO: DANACI/IMAGO Freudiges Wiedersehe­n nach über einem Jahr im Gefängnis: Deniz Yücel durfte am Freitag seine Frau Dilek in die Arme schließen. Sie begrüßte ihn mit Petersilie – eine Erinnerung an ihren ersten gemeinsame­n Urlaub.

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