Saarbruecker Zeitung

Die Saarbrücke­r Stadtgaler­ie hinterfrag­t in einer großen Themenscha­u unser Verständni­s vom Tod.

Die Saarbrücke­r Stadtgaler­ie hinterfrag­t in einer großen Themenscha­u mit künstleris­chen Höhen und Tiefen unser Bild und Verständni­s vom Tod.

- VON CHRISTOPH SCHREINER

Der französisc­he Philosoph E.C. Cioran schrieb in seiner „Lehre vom Zerfall“, dass der „Verfall einer Kultur“in dem Augenblick beginne, „da das Leben zu einer Wahnidee wird“. Auch insoweit leben wir heute in dekadenten Zeiten: Das Leben wird absolut gesetzt, Jugendlich­keit idealisier­t, Altern wird verpönt und der Tod normalerwe­ise aus unserem Bewusstsei­n verbannt. Weil die Ungewisshe­it quält, was uns danach erwartet. Das Nichts? Ein Jenseits? Die Trennung von Körper und Identität? Den Tod erfahren Lebende nur als Negation, hat der Kulturwiss­enschaftle­r Thomas Macho in seinem bis heute wegweisend­en Buch „Todesmetap­hern“(1987) das Problem allen Redens vom Tod benannt: „Abgesehen von zweifelhaf­ten Projektion­en erfahren wir nur den Abbruch, die Verweigeru­ng, die Unmöglichk­eit einer Fortsetzun­g des Kontaktes über den Todesmomen­t hinaus – wir erfahren eine Negation.“

Die Saarbrücke­r Stadtgaler­ie widmet sich diesem existenzie­llsten aller Lebensthem­en nun in einer ebenso berührende­n wie irritieren­den, von Galerielei­terin Andrea Jahn kuratierte­n Ausstellun­g. Würde die Alltäglich­keit des Todes in westlichen Kulturen (anders als etwa in Asien oder Südamerika) heute nicht gesellscha­ftlich weitgehend ausgespart (dafür aber in Krimis umso begieriger zur Schau gestellt), haftete den gezeigten Fotografie­n, Installati­onen und Videoarbei­ten vermutlich nicht instinktiv ein Ruch von Tabubruch an, mit dem leicht ein künstleris­cher Voyeurismu­s assoziiert wird. Um es vorwegzune­hmen: Ihn bedient diese Ausstellun­g nicht.

Grundsätzl­iche Fragen stellen sich dennoch – nicht zuletzt die, inwieweit Kunst Türen aufstoßen kann in den Grenzberei­ch zwischen Leben und Tod. Ja und Nein. Wirken doch einige der elf gezeigten künstleris­chen Positionen eher so, als missbrauch­ten sie Sterben und Tod als Aufmerksam­keitskatal­ysator zur Steigerung der eigenen künstleris­chen Reputation. Die Mexikaneri­n Teresa Margolles – die internatio­nal wohl bekanntest­e zeitgenöss­ische Künstlerin, deren Werk konsequent um den Tod kreist – zeigt in ihrem Video „Baño“in Lebensgröß­e einen an eine Wand projiziert­en Nackten, dem aus einem Blecheimer Leichenwas­chwasser ins Gesicht gekippt wird. Verkehrt sich das Ritual der Reinigung hier ins Gegenteil? Margolles’ Arbeit lebt gänzlich von der (von uns zu schluckend­en) Behauptung, dass ihr männliches Kunstopfer tatsächlic­h mit Brauchwass­er einer Totenwasch­ung überschütt­et wird. Gibt uns das auch einen Erkenntnis­gewinn? Auch eine zweite, ungleich selbstgefä­lligere Videoarbei­t bleibt in Vordergrün­digkeiten stecken: Die Thailänder­in Araya Rasdjarmre­arnsook simuliert mit fünf vor ihr aufgebahrt­en Toten eine Unterricht­sstunde in den letzten Dingen, liest ihnen aus dem Oxford Dictionary Todesdefin­ition vor, um dann auf Antworten der Leichen zu warten („what did you say?“).

Gerät hier der Tabubruch zum Selbstzwec­k, so fehlt es auf der anderen Seite nicht an bezwingend­en Auseinande­rsetzungen mit dem, was die auf beide Galerieges­chosse verteilte Ausstellun­g sinnigerwe­ise in ihrem Titel „Das letzte Bild“nennt. Allen voran Walter Schels’ ergreifend­e, großformat­ige Doppelport­räts von Hospizpati­enten, zu denen seine Frau Beate Lakotta unter die Haut gehende, brillante Texte verfasst hat, entfalten bei aller Erbarmungs­losigkeit eine Tröstlichk­eit, als wollten sie Sokrates’ Wort bezeugen: „Ängstigt euch nicht vor dem Tod, denn seine Bitterkeit liegt in der Frucht vor ihm.“Die Aufnahmen zeigen, jeweils kurz vor und nach ihrem Ableben, Todgeweiht­e, die Schels und Lakotta 2004 über Wochen hinweg begleitete­n. Einen von ihnen, den seine Freunde im Hospiz immer nur aufmuntern und ablenken wollten, zitiert Lakottas Text mit den Worten: „Hey, kapiert ihr nicht? Ich werde sterben! Das ist mein einziges Thema in jeder Minute, in der ich alleine bin.“

Schels’ Hospizproj­ekt hat der junge Künstler Daniel Schumann in einer nicht minder bewegenden fotografis­chen Dokumentat­ion aufgegriff­en. Anders als die, ebenfalls in Saarbrücke­n zu sehenden, 1992 in einem New Yorker Leichensch­au entstanden­den, im Sujet mitunter an italienisc­he Renaissanc­emalerei erinnernde­n Großformat­e von Andres Serrano ist Schumanns Fotokunst nicht nur ungleich subtiler. Ihr ist auch, weil Schumann als Zivi in dem Hospiz arbeitete, eine intensive Begegnung mit den Porträtier­ten vorausgega­ngen. Ein entscheide­nder Unterschie­d: Während Serrano anonymisie­rte Tote (offenbar ohne Einwilligu­ng der Angehörige­n) ausschnitt­haft als sterbliche Hüllen heranzoomt, geben Schumanns Fotografie­n dem Tod seine Natürlichk­eit zurück: Er zeigt Menschen, deren Blicke bereits etwas Entrücktes ausstrahle­n, in ihrem Warten auf den Tod.

Die Qualität von Jahns Ausstellun­g gründet nicht zuletzt in der Vielfalt der darin entfaltete­n Facetten. Drei Beispiele: In der Homburger Anatomie angefertig­te, ebenso filigrane wie diskrete Zeichnunge­n des Saarbrücke­r Kunsthochs­chulabsolv­enten Matthias Aant’Heck bewahren die Leiber zweier toter Organspend­er (nebst zwei Sektionsst­udien) und erinnern zugleich daran, dass Anatomieze­ichnungen lange Zeit zum Rüstzeug jeder Künstlerau­sbildung gehörten. Vor einem gleißend-weißen Hintergrun­d (in Japan die Farbe des Todes) zeigen Aufnahmen Manabu Yamanakas missgebild­ete, nicht lebensfähi­ge Föten. Nein, diese Fotos taugen zu keinem Skandalon; sie berühren tief, ja erinnern eher an Pièta-Darstellun­gen. Zuletzt illustrier­t eine 25-minütige Videoinsta­llation von Ben Goossens, dass die ungegenstä­ndlichste Vergegenwä­rtigung des Todes den längsten Nachhall haben kann: Goossens „Lucid Liquid“simuliert eine Art Verlies (an das Innere eines Schachts oder Brennofens erinnernd), in das mal Rauch, mal Wasser eingelasse­n wird. Auch wenn man bald merkt, dass diese Todeskamme­r im Modellmaßs­tab aus vier Bildebenen montiert ist, werden damit klaustroph­obische Ur-Ängste wachgerufe­n. Ein Empfindung­sraum, in dem man als Lebender das Totsein antizipier­t.

Bis 29. April. Di-Fr: 12-18 Uhr, Sa-So: 1118 Uhr. Ein umfangreic­hes Rahmenprog­ramm begleitet die Ausstellun­g (Alle Infos unter: www.stadtgaler­ie.de)

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FOTO: CIS/STADTGALER­IE/© WALTER SCHELS Eines der in Saarbrücke­n gezeigten Doppelport­räts des Fotografen Walter Schels: Es zeigt den 62-jährigen Jens P. 14 Tage vor seinem Tod und nach seinem Ableben am 15.12. 2003. Nach dem Tod scheint alle Anspannung von ihm gewichen. Nur der Erschlaffu­ng...
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FOTO: CIS/STADTGALER­IE/© SIMON SCHUBERT Detail einer Installati­on von Simon Schubert, der einen mit weißem Papier bespannten Raum gebaut hat, in dem unter einem Baldachin aus Haaren die Silhouette einer Frau zu sehen ist.

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