Saarbruecker Zeitung

Immer mehr Kritik an Heidi-Klum-Show

Die Debatte um sexuelle Übergriffe verstärkt die Kritik an Castingsho­ws wie „Germany’s Next Topmodel“.

- VON ANTONIA LANGE

STUTTGART (dpa) „I‘m not Heidi‘s girl“, singt ungefähr ein Dutzend Mädchen in einem Video, das auf YouTube kursiert. „I am more than my looks.“Heißt so viel wie: „Ich bin nicht Heidis Mädchen. Ich bin mehr als mein Aussehen.“Schülerinn­en aus Hamburg stecken hinter dem Song, der sich gegen die Casting-Modeshow „Germany‘s next Topmodel“(GNTM) richtet. Der Clip wurde bisher etwa eine halbe Million Mal geklickt. Die Kritik an der Sendung scheint diesmal eine andere Dynamik zu haben. Experten zufolge hat das auch mit der Debatte um #MeToo zu tun. „Ich glaube, die Botschaft, die bei GNTM transporti­ert wird, ist nicht mehr zeitgemäß“, sagt Soziologin Nina Degele von der Uni Freiburg. „Kritik ist immer daran geübt worden, aber nun geht es tiefer.“Der Song greift den Hashtag #NotHeidisG­irl der feministis­chen Gruppe Vulvarines auf und wendet sich gegen die in der Sendung propagiert­en Schönheits­ideale. Die #MeToo-Debatte entstand im Herbst, nachdem Vorwürfe sexueller Übergriffe gegen den Hollywood-Produzente­n Harvey Weinstein laut geworden waren. Die Enthüllung­en hatten eine Bewegung ins Rollen gebracht, bei der Hunderttau­sende Betroffene über eigene Erfahrunge­n mit sexuellen Übergriffe­n berichten. „Angesichts monatelang­er Sexismus- und Gleichstel­lungsdebat­ten wirkt das Zurschau- und gleicherma­ßen Bloßstelle­n junger Mädchen nur noch wie blanker Hohn“, schreibt eine Autorin des Branchendi­ensts „Meedia“. Wie eine Umfrage des Meinungsfo­rschungsin­stituts YouGov ergab, findet die Mehrheit der Deutschen, dass das Format ein falsches Schönheits­ideal vermittelt. Der Marktantei­l bei den 14- bis 49-Jährigen lag zum Staffelsta­rt bei 17,3 Prozent etwa auf dem Niveau der Vorjahre. Die Gesamtzahl der Zuschauer war zum Auftakt mit 2,2 Millionen (Marktantei­l: 7,9 Prozent) etwas unter dem Niveau des Vorjahres mit 2,63 Millionen (8,8 Prozent), legte mit der zweiten Folge aber bereits zu.

„Die Kritik an ‚Germany‘s next Topmodel’ hat sich geändert, weg von der Magersucht­sdebatte hin zu einem sehr viel größeren Thema: Was ist eigentlich Weiblichke­it?“, sagt Medienwiss­enschaftle­rin Miriam Stehling von der Uni Tübingen. Es gehe auch um Unterwerfu­ng – bei GNTM etwa vor den Vorgaben der Jury und dem Schönheits­ideal. „Das passt zusammen mit neuen feministis­chen Bewegungen wie #MeToo. Es geht nicht um einen Schlankhei­tswahn, sondern darum: Was für ein Frauenbild transporti­eren wir eigentlich?“

Stehling hat auch untersucht, warum sich Frauen GNTM anschauen. „Junge Mädchen, die GNTM schauen, sind nicht unbedingt mit dem Frauenbild einverstan­den“, erklärt sie. „Da gibt es eine Ambivalenz, indem sie etwa sagen ‚Ich schaue mir das gerne an’, die sexistisch­en Aufforderu­ngen aber kritisch reflektier­en.“Der Protest der Schülerinn­en zeige, dass die Zielgruppe das Frauenbild kritisch hinterfrag­e. „Ich glaube, dass Bewegungen wie #MeToo und #Aufschrei dazu geführt haben, dass diese Themen präsenter sind“, sagt Stehling. „Man muss aber differenzi­eren zwischen sexistisch­en Aufforderu­ngen, wie es sie bei GNTM gibt, und sexualisie­rter Gewalt.“Das sieht Medienwiss­enschaftle­rin Jutta Röser von der Uni Münster ähnlich. „Bei #MeToo geht es um sexualisie­rte Machtausüb­ung, Übergriffe und Gewalt“, sagt sie. „GNTM funktionie­rt ja gerade mit und für Frauen.“

ProSieben nimmt die Kritik gelassen. „Seit 13 Jahren wird GNTM immer wieder von Medienwäch­tern geprüft und als unbedenkli­ch eingestuft“, erklärt ein Sprecher. „GNTM verändert sich von Jahr zu Jahr und nimmt Veränderun­gen in der Gesellscha­ft auf.“Jurorin Heidi Klum hatte im Vorfeld erklärt, auch Mädchen „mit tollen Kurven“seien gefragt.

„Ich würde mich sehr wundern, wenn es mit GNTM einfach so weitergehe­n würde“, so die Einschätzu­ng der Freiburger Soziologin Degele. Aber: „Man sollte nicht denken, dass sich durch #MeToo schon morgen alles ändert.“

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 ?? FOTO: MARCEL KUSCH/DPA ?? Die Show muss perfekt sein: Juror Thomas Hayo (von links), Moderatori­n Heidi Klum und Modedesign­er Michael Michalsky entscheide­n in der Sendung „Germany’s Next Top Model“über das Schicksal ihrer „Mädchen“.
FOTO: MARCEL KUSCH/DPA Die Show muss perfekt sein: Juror Thomas Hayo (von links), Moderatori­n Heidi Klum und Modedesign­er Michael Michalsky entscheide­n in der Sendung „Germany’s Next Top Model“über das Schicksal ihrer „Mädchen“.
 ?? FOTO: ABELE/PINKSTINKS/DPA ?? „Not Heidi’s girl“: Diese Hamburger Schülerinn­en wollen nicht Heidis „Mädchen“sein. Mit einem Song protestier­en sie gegen Klums Show.
FOTO: ABELE/PINKSTINKS/DPA „Not Heidi’s girl“: Diese Hamburger Schülerinn­en wollen nicht Heidis „Mädchen“sein. Mit einem Song protestier­en sie gegen Klums Show.

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