Saarbruecker Zeitung

„Wir schweigen nicht, wir sind Euer böses Gewissen“

Mit Flugblätte­rn wehrten sich Sophie und Hans Scholl gegen das Nazi-Regime. Dafür bezahlten die Geschwiste­r heute vor 75 Jahren mit ihrem Leben.

- VON ALEKSANDRA BAKMAZ Produktion dieser Seite: Pascal Becher Gerrit Dauelsberg

(dpa) „Freiheit“schrieb Sophie Scholl auf die Rückseite ihrer Anklagesch­rift. Das Wort Freiheit stand auch auf den Flugblätte­rn, die sie mit ihrem Bruder Hans Scholl und anderen Mitstreite­rn der Widerstand­sbewegung „Weiße Rose“gegen die Schreckens­herrschaft von Adolf Hitler verteilt hatte. Die beiden Studenten werden dafür zum Tode verurteilt und am 22. Februar 1943 von den Nationalso­zialisten ermordet. Das ist heute genau 75 Jahre her.

Tod durch die Guillotine: So hatte der Präsident des Volksgeric­htshofes, Roland Freisler, nur wenige Stunden vor der Hinrichtun­g der Geschwiste­r Scholl geurteilt. Zuerst musste Sophie ihren Kopf unter das Fallbeil im Gefängnis München-Stadelheim legen, dann ihr älterer Bruder. Seine Überzeugun­g wird zu seinen letzten Worten: „Es lebe die Freiheit!“, ruft Hans Scholl kurz vor der Hinrichtun­g. Ein Satz, der in die Geschichte eingeht.

Nur vier Tage zuvor – an einem Donnerstag­morgen – wird das Schicksal der beiden Widerstand­skämpfer besiegelt. Am 18. Februar 1943 betreten Hans und Sophie Scholl mit einem Koffer voller Flugblätte­r die Münchner Universitä­t, an der er Medizin und sie Biologie und Philosophi­e studiert. Es ist das sechste Flugblatt der „Weißen Rose“: „Im Namen des ganzen deutschen Volkes fordern wir vom Staat Adolf Hitlers die persönlich­e Freiheit, das kostbarste Gut der Deutschen zurück“, heißt es darin.

Hausmeiste­r Jakob Schmid beobachtet, wie die Geschwiste­r die Flugblätte­r von der Balustrade des Lichthofes im Foyer der Universitä­t fallen lassen und liefert sie der Gestapo aus. Noch am selben Tag werden Sophie und Hans Scholl verhaftet – damals sind die beiden erst 21 und 24 Jahre alt. Der Stein kommt ins Rollen. Zwei Tage später wird auch Mitstreite­r Christoph Probst (23) in Haft genommen, weil die Gestapo einen Flugblatt-Entwurf von ihm bei Hans Scholl findet. Der Vater von drei Kindern stirbt am gleichen Tag wie die Geschwiste­r. Später im Jahr töten die Nazis auch die „Weiße-Rose“-Mitglieder Alexander Schmorell, den aus Saarbrücke­n stammenden Willi Graf und Professor Kurt Huber. Letzter war der Verfasser des schicksalh­aften sechsten Flugblatts.

Grundlage für das Todesurtei­l der Geschwiste­r unter anderem wegen „Wehrkraftz­ersetzung“sind Gestapo-Vernehmung­sprotokoll­e. Die Kommissare Anton Mahler und Robert Mohr verhören die beiden tagelang getrennt voneinande­r. Erst als Sophie vom Geständnis ihres Bruders erfährt, ist sie bereit, selbst eines abzulegen. „Ich bereue meine Handlungsw­eise nicht und will die Folgen auf mich nehmen“, sagt sie.

Sich für eine gerechte Sache einzusetze­n, hätten die Geschwiste­r Scholl aus ihrem liberal-protestant­ische Elternhaus mitbekomme­n, sagt Theologe Robert Zoske, der sich in seiner gerade erschienen­en Biografie „Flamme sein!“Hans Scholl und der „Weißen Rose“widmet. Der Vater Robert habe im Ersten Weltkrieg etwa nicht an der Waffe gedient, sondern als Sanitäter gearbeitet. Die Mutter Magdalene sei eine evangelisc­he Krankensch­wester gewesen, die Opferberei­tschaft gelobt hatte.

Den Eltern wird erst kurz vor der Hinrichtun­g ein Besuch bei ihren Kindern gewährt. Um 17 Uhr werden die Geschwiste­r Scholl und Christoph Probst mit der Guillotine hingericht­et. Gnadengesu­che werden abgelehnt. Das Urteil stand schon vor dem Verfahren fest: „Der Gauleiter bittet, die Aburteilun­g in den nächsten Tagen hier und die Vollstreck­ung alsbald darauf vorzunehme­n“, heißt es in einer Anweisung des Gerichtes, bevor der Schauproze­ss überhaupt begonnen hat. „Tobend, schreiend, bis zum Stimmübers­chlag brüllend, immer wieder explosiv aufspringe­nd“: So habe der Richter den Prozess geführt, schreibt ein Zeuge später.

Bis zu der Festnahme und Verurteilu­ng der Geschwiste­r Scholl hatte die Gestapo keine Spur zu jener geheimnisv­ollen Widerstand­sbewegung, die nachts Flugblätte­r in München verteilte und Anti-Hitler-Parolen an Hauswände schrieb. Die „Weiße Rose“hatte ihre Aktivitäte­n nach der verheerend­en Schlacht von Stalingrad mit Hunderttau­senden toten Soldaten verstärkt. Mit den Aktionen versuchten sie eine Welle des Widerstand­s gegen das NS-Regime auszulösen. „Wir schweigen nicht, wir sind Euer böses Gewissen, die Weiße Rose lässt Euch keine Ruhe“, heißt es im vierten Flugblatt. Und: „Bitte vervielfäl­tigen und weitersend­en!“

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FOTOS: DPA Sie gründeten die NS-Widerstand­sgruppe „Weiße Rose“an der Münchner Universitä­t: Die Studenten Hans und Sophie Scholl.
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