Das Wohnzimmer, der neue Heilige Gral
Kommunale Bibliotheken müssen sich künftig mehr als Sozialorte denn als Medienausleihestellen begreifen. Der neue Leiter der Saarbrücker Stadtbibliothek, der größten im Saarland, hat Ideen, wie das gehen könnte.
sondern wie sie ihr Foto passend in ihre Bewerbung bekommen“, erzählt Schleiwies. Und kommt auf sein Lieblingsthema: die Bibliothek als sozialen Ort nach skandinavischem oder holländischem Vorbild.
Schleiwies war vor Saarbrücken fünf Jahre lang Leiter der Stadtbibliothek von Salzgitter und blickte sich gerne in norwegischen oder finnischen Bibliotheken um, wo die Zukunft seiner Zunft längst begonnen hat. Vielerorts praktiziert man dort das Modell „Open Library“und öffnet täglich von 7 bis 22 Uhr. Nur in den Stoßzeiten sei auch Fachpersonal da, in den Randzeiten genüge ein Wachmann, weiß Schleiwies. Dafür könne man in der Früh dort Zeitung lesen oder abends noch einen der Multimedia-Arbeitsplätze buchen. In Stuttgart oder Ludwigshafen, das gerade für zehn Millionen seine Stadtbibliothek komplett saniert und zum öffentlichen Wohnzimmer gemacht hat, ist das Modell des Nordens erfolgreich kopiert worden – inklusive Gaming-Rooms, Medienwerkstätten, Rechercheschulungen für Schüler.
In diese Richtung will auch Schleiwies gehen. Demnächst will er „Spielabende“in der Bücherei anbieten und neben dem „Stille-Raum“im 3. Obergeschoss einen „Gaming-Place“mit Spiele-Konsolen. „Natürlich keine Egoshooter-Spiele“, schiebt er nach. Nach dem Modell des 14-tägig in Kooperation mit dem „Netzwerk Ankommen“für Flüchtlinge im Lesesaal erprobten „Café Biblio“möchte er die Bibliothek für alle Bevölkerungsgruppen, ob Kinder, Senioren oder Arme, zu einem offenen Haus im Herzen der Stadt machen. Schon zu Zeiten der Volksbibliotheken der 1920er-Jahre, deren Rolle im Kontext ehrenamtlich geführter Büchereien Thema seiner nicht abgeschlossenen Promotion war, seien Leute „auch in Bibliotheken gekommen, um sich dort aufzuwärmen“.
Warum nicht auch heute? Als er unlängst im Saarbrücker Kulturausschuss diese und andere Ideen als Versuchsballon hochgehen ließ, sei die Lokalpolitik nicht verschreckt, sondern durchaus aufgeschlossen gewesen, erzählt der 44-Jährige. Schwieriger sei es manchmal, alteingesessene Bibliothekare davon zu überzeugen, dass der weitere, beharrliche Aufbau des Medienbestandes heute nicht mehr oberste Priorität habe. „Weil der Bestand schlichtweg immer weniger nachgefragt wird“, sagt Schleiwies lapidar. Seinem aus Stéphane Hessels Buch abgeleiteten Credo folgend: „Stellt Euch und die Dinge um Euch ruhig mal infrage.“
Dabei ist der neue Mann Büchermensch durch und durch. Weil er also trotz spärlichen Anschaffungsetats auch künftig ein attraktives Medienrepertoire vorhalten will, überlegt er etwa, welche Bücher
man nicht zwingend folieren muss – um die Einsparungen (2,30 Euro kostet das Folieren pro Buch) dem Medienetat zuzuschlagen. Das zeigt, dass Schleiwies bei allem Neuerungswillen nicht umhin kommt, ob des nicht eben üppigen Etats die Mühen der Saarbrücker Ebene zu durchlaufen. Einerseits denkt er gerne laut über Akustikmöbel nach im Sinne des in deutschen Bibliotheken mehr und mehr verbreiteten „Design Thinking“(mit dem Ziel, ein dezidiert vom Nutzer her denkendes, zeitgemäßes Bibliotheksambiente zu schaffen). Andererseits werden die großen Sprünge, die der neue Besen gedanklich vollführt, von den üblichen Sparauflagen abgebremst und in kleine Schritte portioniert. Wie sagt er selbst? Um möglichst kostengünstig mehr Aufenthaltsqualität und Arbeitsräume zu gewinnen, gehe „ich lieber dreimal durchs Haus, ehe ich nach mehr Räumen oder Geld schreie“.