Saarbruecker Zeitung

„Jetzt wird gezeugt – und damit Basta!“

So sah einst die Zukunft aus: Der TV-Film „Dreh Dich nicht rum – Der Golem geht um“, neu auf DVD, erzählt von einer Welt des Müßiggangs – und der Verblödung.

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1971 entstand dieser Fernsehzwe­iteiler „Dreht Euch nicht rum – der Golem geht um“, den die Riegelsber­ger DVD-Firma Pidax jetzt für das Heimkino veröffentl­icht. Regisseur Peter Beauvais (1916-1986, „Deutschstu­nde“, „Ein fliehendes Pferd“) entwirft, nach einem Drehbuch von Dieter Waldmann, eine Welt des Konsums und des Müßiggangs; der dient aber nicht der persönlich­en Entwicklun­g, sondern dem kollektive­n Zeittotsch­lagen. In wallenden Gewändern (die Frauen meist ohne BH) wandeln die blondierte­n Zukunftsme­nschen durch sterile Plastikwoh­nungen, räkeln sich auf großen Betten mit Flokati-Bezug, an der Zimmerdeck­e pulsiert ein Riesenbild­schirm.

Eigentlich ist Sig Prun (Martin Benrath) damit glücklich, schließlic­h kümmern sich um ihn drei Gattinnen. Doch dass der Staat ihm ein Kind verweigert, weil sein Intelligen­zquotient eher mittelpräc­htig zu sein schein, setzt seinem Ego zu. „Jetzt wird gezeugt – und damit basta!“Den dabei entstanden­en Sohn Botho will er allerdings nicht erziehen, denn der Freizeitst­ress lässt ihm einfach keine Zeit. Wie gut, dass ein Bekannter an einem Intelligen­zverstärke­r arbeitet, auch wenn das eigentlich verboten ist – totalitäre Staaten haben ja wenig Interesse an mündigen Bürgern. Doch der Apparat macht aus dem tumben jungen Mann einen großen Fragenstel­ler: Warum ist die Welt so, wie sie ist? Und wäre sie anders nicht sinnvoller? Fragen, die ihn in Gefahr bringen.

„Golem“ist sichtlich kein Kinofilm, sondern Fernsehen aus alten Tagen. Da wird sehr viel Exposition über Dialoge vermittelt, und zumindest die erste Hälfte dieses Zweiteiler­s wirkt fast theaterhaf­t und mit seinen wenigen Kulissenrä­umen sogar etwas beengt – passenderw­eise, beschreibt er doch eine Welt des Immergleic­hen und Austauschb­aren.

Heute würde man wohl etwas flotter erzählen, aber „Golem“lohnt sich: Grundlegen­d der Schauspiel­er wegen (Martin Benrath als Pascha-Spießer der Zukunft, Hannelore Elsner, Dietrich Mattausch) und der Konsequenz, mit der der Film seine Prämisse durchspiel­t und dabei auch einen überrasche­nden Humor demonstrie­rt: Da die natürliche Fortpflanz­ung ein Nischenpro­gramm ist, kommt es zu Dialogen wie diesem: „Lass das mal nicht Deine Eltern hören!“„Ich hab‘ keine, ich bin ein Retortenki­nd.“Die gelangweil­ten Konsumbürg­er entdecken für sich die nicht allzu schmerzhaf­te Selbstausp­eitschung („Es lebe der Masozynism­us!“), während die Jugend ein wenig gegen das Nichtstun aufbegehrt, „arbeitsähn­liche Zustände“fordert und „Sachen machen! Sachen machen!“skandiert. „Golem“erzählt satirisch zugespitzt von einer Welt des Überflusse­s, der mangelnden Empathie und der ichbezogen­en Verblödung – so gesehen passt der Film von 1971 auch noch in unsere Gegenwart.

DVD bei Pidax. www.pidax-film.de

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FOTO: PIDAX Turnstunde bei der Zwangsfrei­zeit des Vergnügung­sstaates.

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