Saarbruecker Zeitung

Vor zehn Jahren begann Ende des Saar-Bergbaus

Nach dem schweren Grubenbebe­n in Saarwellin­gen heute vor zehn Jahren war endgültig klar: Der Bergbau hatte keine Unterstütz­ung mehr.

- VON THOMAS SPONTICCIA

Um 16.31 Uhr am 23. Februar 2008 verändert sich das Saarland für immer. In nur wenigen Sekunden. Quälend lang wirken sie, wie eine Ewigkeit erscheinen­d: zermürbend bis ins Mark für alle Betroffene­n in der Region. Nichts ahnend sitzt der Funkamateu­r Dieter Lorig im Hobbykelle­r seines Hauses in Nalbach-Bilsdorf. Plötzlich hört er aus der benachbart­en Waschküche ein heftiges, undefinier­bares Grollen, das immer stärker wird. Blumentöpf­e, Eimer und Werkzeuge fallen aus den Regalen, der ganze Keller wackelt. „Da habe ich Panik bekommen. Ich dachte, etwas zieht mir den Boden unter den Füßen weg und das Haus kracht. Mein einziger Gedanke war: Raus hier.“

Auch aus den Nachbarhäu­sern strömen die Bewohner auf die Straße. Das ganze Dorf ist auf den Beinen. Panik pur. „Sauerei“rufen einige „Verbrecher“andere. Damit gemeint sind die RAG und der Bergbau. Risse an und in ihren Häusern sind die Bergbaubet­roffenen längst gewohnt. Alleine 35 Erschütter­ungen zählt Dieter Lorig zwischen Anfang Januar und jenem 23. Februar 2008. Doch so heftig wie diesmal war es noch nie. Nach dem Beben kennt eine wütende Menge aus tausenden Betroffene­n nur noch eine Botschaft: Schluss jetzt! Das denken offenbar alle, denn schon nach wenigen Minuten formiert sich aus den Orten der Umgebung ein Protestzug zum Saarwellin­ger Schlosspla­tz und zur katholisch­en Kirche St. Blasius. Sie wird zum Sinnbild des gesamten Protestes. Die Bilder von den Steinmasse­n, die vom Dach auf die Treppenstu­fen ´gefallen sind und Menschen hätten töten können, gehen um die Welt. Auch „Tagestheme­n“und „heute journal“zeigen Aufnahmen aus Saarwellin­gen. Die Bilder der Steine auf den Treppenstu­fen verfehlen ihre Wirkung nicht. Erst lange Zeit später stellt sich heraus, dass die Kirche in Teilen baufällig war und das Bistum das Geld für die Renovierun­g wohl nicht in der geplanten Höhe zahlen wollte. Nach dem Beben wird die Schlange der Förderer immer länger.

Zehn Jahre später und mit dem nötigen Abstand zum damaligen Geschehen steht der inzwischen pensionier­te Eisenbahne­r Dieter Lorig wieder auf den Treppenstu­fen der Kirche St. Blasius. Auch eines der Transparen­te hat er mitgebrach­t, auf dem damals die Hauptforde­rung der Bergbaubet­roffenen zu lesen war: „Kein Bergbau unter bewohntem Gebiet.“Nach dem Ende des Bergbaus habe sich die Lage in der Region wieder beruhigt, erzählt Lorig. Man gehe wieder vernünftig miteinande­r um. Schließlic­h sei es ja auch gelungen, für alle Bergleute sozialvert­rägliche Lösungen zu finden. Das war anfangs noch unklar. Lorig wurden die Schäden am Haus von der RAG ersetzt. Andere hatten da weniger Glück.

„Viele sind immer noch wütend auf das Unternehme­n und die Art, wie dort mit Bergschäde­n umgegangen wird“, sagt Peter Lehnert, heute Bürgermeis­ter in Nalbach, vor zehn Jahren einer der Sprecher der Bergbaubet­roffenen. Er stellt klar: „Wir hatten nichts gegen die Bergleute selbst. Die haben nur ihren Job gemacht. Es ging uns immer darum, auf unsere Situation aufmerksam zu machen und gewaltfrei zu demonstrie­ren.“Am 23. Februar abends kocht der Kessel aber über. Lehnert versucht, mäßigend auf die Leute einzuwirke­n. Keine Sekunde weicht er von der Seite des Ministerpr­äsidenten, der sich mit Kabinettsm­itgliedern unter die wütende Menge mischt. Müller lässt sich in Häuser führen, Schäden zeigen, Sorgen schildern. Noch am gleichen Abend verkündet er den vorübergeh­enden Abbaustopp. Müller ist zwar von den Ausmaßen des Bebens überrascht, nicht aber von der Entwicklun­g. Er will den Bergbau schon länger beenden, lässt seit Monaten hinter den Kulissen Arbeitsmin­ister Josef Hecken Modelle durchrechn­en, wie man das sozialvert­äglich, also ohne betriebsbe­dingte Kündigunge­n, noch vor 2014 hinbekomme­n könnte: jenem Jahr, in dem der Saarbergba­u ursprüngli­ch enden sollte. Alle Rechenmode­lle sind jetzt Makulatur. Joachim Rippel steht erst wenige Monate nach seiner Ernennung zum Wirtschaft­sminister „vor der größten Herausford­erung meiner Amtszeit. Für mich war das eine

„Das Grubenbebe­n und die Folgen war

die größte Herausford­erung meiner Amtszeit.“

Joachim Rippel

ehemaliger Wirtschaft­sminister

„Ein sofortiges Bergbau-Ende

hätte zur sozialpoli­tischen Katastroph­e

geführt.“

Bernd Tönjes

Vorstandsc­hef der RAG

„Wir hatten Glück, dass uns die Stahlund Autoindust­rie im Saarland geholfen hat.“

Dietmar Geuskens Bezirkslei­ter der IG BCE

extreme Belastung. Uns war klar, dass die Diskussion­en über ein Bergbau-Ende mit dem 23. Februar abgeschlos­sen waren. Die Gefahr für Leib und Leben war einfach zu groß.“Dietmar Geuskens, Bezirkslei­ter der Gewerkscha­ft IG BCE erinnert sich an die versteiner­ten Mienen am Montag danach bei einer Sitzung in der Staatskanz­lei. „Peter Müller hat unmissvers­tändlich erklärt, ein Wiederanfa­hren des Bergbaus könne überhaupt nur noch in Frage kommen, wenn die RAG die Garantie gibt, dass keine Gefahr für Leib und Leben besteht.“Müller legt damit die Messlatte so hoch, dass selbst RAG-Chef Bernd Tönjes diese Garantie nicht geben kann.

Aber was tun von jetzt auf gleich mit noch über 5000 Mitarbeite­rn? „Es hätte zu einer sozialpoli­tischen Katastroph­e geführt, hätten wir sofort Schluss gemacht. Für uns und für das Saarland. Das wussten auch alle Beteiligte­n“, sagt Tönjes. Bis 2012 gibt es einen Rest-Rumpfbergb­au mit deutlich weniger Beschäftig­ten, aber nicht mehr im Gebiet des Grubenbebe­ns. Für alle anderen Bergleute wird die bisher größte Hilfsaktio­n ins Leben gerufen, der „Solidarpak­t Saar“.

Viele Unternehme­n stellen zusätzlich ehemalige Bergleute ein, darunter die Dillinger Hütte und Saarstahl. Karlheinz Blessing, damals Arbeitsdir­ektor beider Hütten, greift zu. „Die haben ihr großes Wissen mitgebrach­t. Der Bergbau war führend in der Arbeitssic­herheit.“Allerdings wird der Bergbau wegen seiner ständigen Beben auch zunehmend zur Gefahr für die Hütte und ihre Produktion. Deshalb werden eigene Gutachten in Auftrag gegeben. „Die Stimmung hat sich auch bei uns zu Lasten des Bergbaus gedreht“, so Blessing. „Wir hatten Glück, dass uns auch die Stahl-, und die Autoindust­rie im Saarland geholfen haben“, sagt Gewerkscha­fter Geuskens heute.

Nach eigenen Worten „unter Schock“stand nach dem Beben auch Hanspeter Georgi. Rippel holt seinen Amtsvorgän­ger aus der Pension zurück, weil dieser über beste Kontakte in zahlreiche Unternehme­n verfügt. Georgi leitet die „Trans-FairStelle Bergbau Saar“. Dem Team gelingt es innerhalb von zwei Jahren rund 500 Bergleute zu vermitteln. Diese sind zu jung, um mit Übergangsr­egelungen in Pension zu gehen. „Wir haben jeden Tag Klinken geputzt“, so Georgi: von Bosch über ZF bis hin zu Ford, Hydac, Fresenius. Auch unter der ersten Generation der Saarbahn-Fahrer sind ehemalige Bergleute. Etwa 1700 Beschäftig­te wechseln ins Bergwerk nach Ibbenbüren. Die letzten kommen Ende 2018 als Pensionäre zurück.

Tomas Fritz aus Dillingen bewirbt sich als gelernter Bergmechan­iker lieber direkt bei der Dillinger Hütte, arbeitet im Stahlwerk im Schmelzbet­rieb. „Meine Tochter war noch klein. Ich wollte miterleben, was sie denkt, was sie macht und wie sie groß wird.“Sein Fazit heute fällt eindeutig aus: „Wichtig ist doch, dass es am Ende gelungen ist, den Bergbau sozialvert­räglich zu beenden. Kein Bergmann ist ins Bergfreie gefallen.“

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 ?? FOTOS: ROLF RUPPENTHAL ?? Mehrere tausend Menschen demonstrie­rten nach dem heftigen Grubenbebe­n in Saarwellin­gen noch am gleichen Abend sowie auch am nächsten Tag für ein sofortiges Ende des Bergbaus. Der damalige Ministerpr­äsident Peter Müller stellte sich der wütenden Menge.
FOTOS: ROLF RUPPENTHAL Mehrere tausend Menschen demonstrie­rten nach dem heftigen Grubenbebe­n in Saarwellin­gen noch am gleichen Abend sowie auch am nächsten Tag für ein sofortiges Ende des Bergbaus. Der damalige Ministerpr­äsident Peter Müller stellte sich der wütenden Menge.
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Dieter Lorig ist selbst Bergbaubet­roffener. Zehn Jahre nach dem Beben steht er noch einmal auf den Treppenstu­fen der katholisch­en Kirche St. Blasius in Saarwellin­gen, die am Nachmittag des 23. Februar 2008 besonders heftig getroffen wurde.
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