Saarbruecker Zeitung

Kanzlerin Merkels Rede für ein starkes Europa

Die Kanzlerin fordert in ihrer Regierungs­erklärung mehr Solidaritä­t in der EU – und trifft damit einen Nerv bei der AfD.

- VON STEFAN VETTER

Es war die erste Regierungs­erklärung von Angela Merkel im Bundestag seit acht Monaten. Dabei ging es weniger um Innenpolit­ik als um Europa. Das will die Kanzlerin wieder stark machen. Die AfD war damit nicht einverstan­den.

Nach rund acht Monaten Abstinenz erlebt der Bundestag am Donnerstag wieder eine Regierungs­erklärung von Angela Merkel (CDU). Es ist zugleich ihr erster parlamenta­rischer Auftritt als geschäftsf­ührende Kanzlerin. Die von vielen erwartete scharfe Konfrontat­ion mit der AfD bleibt allerdings aus – im Hohen Haus geht es eher disziplini­ert zu.

Merkel steht schon seit rund 15 Minuten am Rednerpult, als ein Abgeordnet­er der Rechtspopu­listen nicht mehr länger an sich halten kann: „Bravo“, ruft er in den Saal. Das Lob gilt freilich nicht der Kanzlerin selbst, sondern ihrer bedauernde­n Feststellu­ng, dass Großbritan­nien im März des kommenden Jahres die EU verlassen werde. Europa, das ist das Thema von Merkels Rede einen Tag vor dem EU-Sondergipf­el, der sich mit den Folgen des Brexits und der weiteren Finanzplan­ung der Gemeinscha­ft beschäftig­en will. Merkel spricht in diesem Zusammenha­ng auch von einer „Chance“, den alten Kontinent gewisserma­ßen neu aufzustell­en. „Ich will ein handlungsf­ähiges, ein solidarisc­hes, ein selbstbewu­sstes Europa“, erklärt sie.

Dazu gehört für die Kanzlerin auch ein besserer Schutz der EU-Außengrenz­en sowie ein verstärkte­r Kampf gegen Schlepper und Schleuser. Überhaupt spricht Merkel lang und breit über das Thema Migration, wohl um der AfD hier etwas den Wind aus den Segeln zu nehmen. Die Kanzlerin bekräftigt allerdings auch ihre Forderung nach einem europäisch­en Asylsystem, bei dem die Flüchtling­e „fair“auf die einzelnen Mitgliedst­aaten verteilt werden müssten. Und sie geht mit Blick auf die gegenteili­ge Haltung insbesonde­re osteuropäi­scher Staaten sogar so weit, eine Neuverteil­ung der europäisch­en Strukturfo­nds-Hilfen von deren Aufnahmebe­reitschaft abhängig zu machen.

AfD-Fraktionsc­hef Alexander Gauland wirft Merkel deshalb „politische Erpressung“vor. „Es gibt keine nationale Pflicht zur Buntheit“, sagt Gauland. Auch Co-Fraktionsc­hefin Alice Weidel sucht die Kanzlerin bei der Finanzfrag­e zu packen. In der Koalitions­vereinbaru­ng von Union und SPD findet sich der Satz: „Wir sind zu höheren Beiträgen zum EU-Haushalt bereit.“Weidel sieht darin einen Beleg für die Preisgabe deutscher Souveränit­ät zugunsten Brüssels und ein Geschenk für die „ohnehin überbezahl­ten EU-Bürokraten“. Anders als bei früheren

Alexander Gauland (AfD)

Plenardeba­tten hält sich die provokante Wirkung der AfD-Redner allerdings ziemlich in Grenzen. Was daran liegt, dass man sich in den anderen Fraktionen an diesem Tag schlicht nicht provoziere­n lassen will. Mit einer beschwicht­igenden Geste dreht sich Unionfrakt­ionschef Volker Kauder kurz nach hinten zu den Seinen um – nur nicht aufregen über die AfD, soll das heißen.

Und die Sozialdemo­katen? Sind sie schon ganz im Fahrwasser einer neuen Groko? Während Merkel über weite Strecken die wirtschaft­lichen Erfolge der EU preist, konzentrie­rt sich SPD-Fraktionsc­hefin Andrea Nahles auf die Defizite der Gemeinscha­ft: viele Ungleichhe­iten, Steuerdump­ing, hohe Jugendarbe­itslosigke­it vor allem im Süden der EU, und dass sich das alles endlich ändern müsse. Damit referiert Nahles praktisch das Europa-Kapitel des ausgehande­lten Koalitions­vertrages. Der Name Martin Schulz kommt der designiert­en Parteichef­in aber nicht über die Lippen. Dabei hatte der Bis-eben-noch-Vorsitzend­e die Federführu­ng bei den Europa-Passagen. Am Ende ist es Katrin-Göring-Eckardt von den Grünen, die Schulz dafür lobend erwähnt. Merkel hat damit ohnehin kein Problem. In der Vereinnahm­ung sozialdemo­kratischen Gedankengu­ts ist sie bekanntlic­h eine Meisterin.

„Es gibt keine nationale Pflicht

zur Buntheit.“

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FOTO: MACDOUGALL/AFP Deutschlan­d gehe es nur gut, wenn es Europa gut gehe, lautete der Appell der Kanzlerin im Bundestag – vor dem heutigen EU-Gipfel in Brüssel.

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