„Der Bergbau war nicht zukunftsfähig“
Der ehemalige saarländische Ministerpräsident läutete am Abend des Bebens das Ende des Steinkohlenbergbaus im Bundesland ein.
Wie haben Sie am Nachmittag des 23. Februar vom Grubenbeben in Saarwellingen erfahren?
MÜLLER Ich war zu Hause und wurde von meinen Sicherheitsbeamten angerufen.
Ihre erste Reaktion?
MÜLLER Erderschütterungen durch den Bergbau gab es damals immer wieder. Jeder Vorfall war belastend für alle Beteiligten. Als ich jedoch von der Dimension des Bebens und den Beschädigungen an der Kirche St. Blasius erfuhr, da war mir klar, dass dies eine Zäsur bedeutete. Mir war auch sofort klar, dass ich mich noch am gleichen Abend den Menschen vor Ort stellen musste.
Die Stimmung bei der Großdemonstration war explosiv. Entgegen dem Rat der Polizei haben Sie sich unter die Menschen gemischt.
MÜLLER Es stimmt, dass die Polizei mir abgeraten hat, nach Saarwellingen zu fahren. In einer solchen Situation darf man aber nicht kneifen. Ich hatte ein mulmiges Gefühl. Mir war bewusst, dass ich nicht nur mit der Angst, sondern auch mit der Wut vieler Menschen und der Forderung nach sofortigem und endgültigen Abbaustopp konfrontiert werden würde. Bei meinem Eintreffen ging es auch kräftig zur Sache. Später kamen Kabinettskollegen hinzu, denen ebenfalls heftige Empörung entgegenschlug. Als ich vor Ort den vorläufigen Stopp des Bergbaus angekündigt habe, war die Reaktion sehr verhalten. Es bestand große Skepsis, ob damit das Ende des Bergbaus in der Primsmulde eingeleitet war.
Es ging ja auch um eine Branche mit 10 000 Menschen, wenn man die Zulieferbetriebe hinzurechnet.
MÜLLER Wir haben versucht, den unterschiedlichen Interessen Rechnung zu tragen. Es gab die berechtigten Interessen der Bergleute und ihrer Familien am Erhalt ihrer Arbeitsplätze. Es gab auch die berechtigten Interessen der Bergbaubetroffenen, die um ihr Eigentum und ihre Gesundheit fürchteten. Wir haben uns für einen Mittelweg entschieden, das Konzept verfolgt, den Bergbau sozialverträglich ohne betriebsbedingte Kündigungen, auslaufen zu lassen.
Der Solidarpakt Saar aus Landesregierung, RAG, Wirtschaft, Verbänden, Gewerkschaften und Kirchen folgte. Bergleute wurden in andere Berufe an der Saar vermittelt und nach Nordrhein-Westfalen.
MÜLLER Es ist gelungen, betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden. Ich habe von Anfang an daran geglaubt, dass dieser Kraftakt gelingt. Es hat sich die saarländische Solidarität bewährt. Wenn Not am Mann ist, steht man zusammen.
Sie haben schon zu Beginn Ihrer Amtszeit den Bergbau für ein Auslaufmodell gehalten.
MÜLLER Ökonomisch und ökologisch war der Steinkohlenbergbau nicht zukunftsfähig. Zeitweilig wurde jeder Arbeitsplatz im Saar-Bergbau mit 80 000 DM jährlich subventioniert. Das ist auf Dauer nicht durchhaltbar. Ökologisch ist der Einsatz von Steinkohle zur Energieerzeugung mit erheblichen klimaschädlichen CO2-Emissionen verbunden. Meine Überzeugung war, es macht mehr Sinn, die Kräfte auf den Aufbau neuer, selbsttragendender Strukturen zu konzentrieren statt vorhandene Ressourcen dafür zu verwenden, an Strukturen festzuhalten, die auf Dauer nicht zu halten waren.