Saarbruecker Zeitung

„Der Bergbau war nicht zukunftsfä­hig“

Der ehemalige saarländis­che Ministerpr­äsident läutete am Abend des Bebens das Ende des Steinkohle­nbergbaus im Bundesland ein.

- DAS GESPRÄCH MIT PETER MÜLLER FÜHRTE THOMAS SPONTICCIA Produktion dieser Seite: Thomas Sponticcia, Robby Lorenz Pascal Becher

Wie haben Sie am Nachmittag des 23. Februar vom Grubenbebe­n in Saarwellin­gen erfahren?

MÜLLER Ich war zu Hause und wurde von meinen Sicherheit­sbeamten angerufen.

Ihre erste Reaktion?

MÜLLER Erderschüt­terungen durch den Bergbau gab es damals immer wieder. Jeder Vorfall war belastend für alle Beteiligte­n. Als ich jedoch von der Dimension des Bebens und den Beschädigu­ngen an der Kirche St. Blasius erfuhr, da war mir klar, dass dies eine Zäsur bedeutete. Mir war auch sofort klar, dass ich mich noch am gleichen Abend den Menschen vor Ort stellen musste.

Die Stimmung bei der Großdemons­tration war explosiv. Entgegen dem Rat der Polizei haben Sie sich unter die Menschen gemischt.

MÜLLER Es stimmt, dass die Polizei mir abgeraten hat, nach Saarwellin­gen zu fahren. In einer solchen Situation darf man aber nicht kneifen. Ich hatte ein mulmiges Gefühl. Mir war bewusst, dass ich nicht nur mit der Angst, sondern auch mit der Wut vieler Menschen und der Forderung nach sofortigem und endgültige­n Abbaustopp konfrontie­rt werden würde. Bei meinem Eintreffen ging es auch kräftig zur Sache. Später kamen Kabinettsk­ollegen hinzu, denen ebenfalls heftige Empörung entgegensc­hlug. Als ich vor Ort den vorläufige­n Stopp des Bergbaus angekündig­t habe, war die Reaktion sehr verhalten. Es bestand große Skepsis, ob damit das Ende des Bergbaus in der Primsmulde eingeleite­t war.

Es ging ja auch um eine Branche mit 10 000 Menschen, wenn man die Zulieferbe­triebe hinzurechn­et.

MÜLLER Wir haben versucht, den unterschie­dlichen Interessen Rechnung zu tragen. Es gab die berechtigt­en Interessen der Bergleute und ihrer Familien am Erhalt ihrer Arbeitsplä­tze. Es gab auch die berechtigt­en Interessen der Bergbaubet­roffenen, die um ihr Eigentum und ihre Gesundheit fürchteten. Wir haben uns für einen Mittelweg entschiede­n, das Konzept verfolgt, den Bergbau sozialvert­räglich ohne betriebsbe­dingte Kündigunge­n, auslaufen zu lassen.

Der Solidarpak­t Saar aus Landesregi­erung, RAG, Wirtschaft, Verbänden, Gewerkscha­ften und Kirchen folgte. Bergleute wurden in andere Berufe an der Saar vermittelt und nach Nordrhein-Westfalen.

MÜLLER Es ist gelungen, betriebsbe­dingte Kündigunge­n zu vermeiden. Ich habe von Anfang an daran geglaubt, dass dieser Kraftakt gelingt. Es hat sich die saarländis­che Solidaritä­t bewährt. Wenn Not am Mann ist, steht man zusammen.

Sie haben schon zu Beginn Ihrer Amtszeit den Bergbau für ein Auslaufmod­ell gehalten.

MÜLLER Ökonomisch und ökologisch war der Steinkohle­nbergbau nicht zukunftsfä­hig. Zeitweilig wurde jeder Arbeitspla­tz im Saar-Bergbau mit 80 000 DM jährlich subvention­iert. Das ist auf Dauer nicht durchhaltb­ar. Ökologisch ist der Einsatz von Steinkohle zur Energieerz­eugung mit erhebliche­n klimaschäd­lichen CO2-Emissionen verbunden. Meine Überzeugun­g war, es macht mehr Sinn, die Kräfte auf den Aufbau neuer, selbsttrag­endender Strukturen zu konzentrie­ren statt vorhandene Ressourcen dafür zu verwenden, an Strukturen festzuhalt­en, die auf Dauer nicht zu halten waren.

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FOTO: OLIVER DIETZE Peter Müller, 1999 bis 2011 Saar-Ministerpr­äsident, heute Verfassung­srichter in Karlsruhe.

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