Saarbruecker Zeitung

Das Hamsterrad bleibt Bosbachs Therapie

PORTRÄT Der Unions-Innenexper­te und langjährig­e Talk-Show-König bleibt nach dem Ausscheide­n aus dem Bundestag umtriebig – trotz seiner Krebserkra­nkung.

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BERGISCH GLADBACH (dpa) Wolfgang Bosbach ist in großer Eile. Gehetzt kommt er zum morgendlic­hen Interview an seinem Heimatort Bergisch Gladbach nahe Köln. Man erwartet ihn schon wenig später zu einem Empfang. Mittags will er mit dem Auto nach Darmstadt eilen, mit Schülern diskutiere­n. Abends zwei Redeauftri­tte in Hessen. Hatte sich der CDU-Innenexper­te nicht gerade im Oktober aus dem Politikges­chäft zurückgezo­gen? Nach 23 Jahren im Bundestag war er nicht mehr angetreten. Weil der Konservati­ve öfters quer stand zum Kurs der CDU-Führung, aber auch, um mehr Zeit zu haben. Danach sieht es nicht aus. Kann jemand, der seit Jahrzehnte­n Politik macht, sie als „Lebenselix­ier“bezeichnet, gar nicht mehr ohne?

„Im Moment hat sich mein Leben noch nicht so sehr geändert, mit einer einzigen Ausnahme: Jede Zuschrift oder Einladung beginnt mit dem Satz: ,Jetzt, wo Sie mehr Zeit haben, könnten Sie doch mal . . .’“, erzählt Bosbach. Er habe viele Termine verschoben auf die Zeit nach dem Bundestag. Das arbeite er nun ab. Bosbach, verheirate­t, drei erwachsene Töchter, im ersten Leben Supermarkt­leiter, dann nach Abitur und Jurastudiu­m auch als Rechtsanwa­lt tätig, ist unheilbar an Krebs erkrankt. Vor einigen Jahren hatte er das öffentlich gemacht. „Die Krebsthera­pie hat leider eine chronische Müdigkeit zur Folge, die ich – so paradox es sich anhört – am heftigsten spüre, wenn ich einmal Ruhe habe“, sagt er. „Solange ich wie ein Hamster im Rad unterwegs bin, merke ich das eigentlich gar nicht. Ich habe keine Schmerzen, keine Beschwerde­n, die mich daran hindern zu tun, was ich gerne tun möchte.“Gerade war er im Urlaub im Oman.

Von seinem Parteifreu­nd Armin Laschet, dem NRW-Ministerpr­äsidenten, hat sich der 65-Jährige zum Vorsitzend­en einer neuen Kommission berufen lassen. In der Staatskanz­lei angesiedel­t, hochkaräti­g besetzt. Laschet betont, das Gremium solle die Sicherheit­sarchitekt­ur einer „Generalrev­ision“unterziehe­n. Arbeitsint­ensiv, berichtet Bosbach. „Von einem Ruhestand im Schaukelst­uhl kann keine Rede sein.“

Fällt ihm Verzicht auf Einfluss, auf Macht schwer? „In 46 Jahren hatte ich überhaupt noch nie das Gefühl, Macht zu haben. Ich konnte an wichtigen Entscheidu­ngen mitwirken, mehr aber auch nicht.“Die parlamenta­rische Arbeit und das „gute Miteinande­r auch über Parteigren­zen hinweg“werden ihm sicher künftig fehlen, sagt er.

Der CDU-Mann gilt als einer der bekanntest­en und beliebtest­en Politiker, obwohl er nie ein Ministeram­t innehatte. Von 1994 bis Oktober 2017 war er im Bundestag aktiv, bis 2009 neun Jahre lang Vizechef der Unionsfrak­tion. In den letzten Jahren fremdelte er arg mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU), etwa in puncto Euro-Rettung oder Flüchtling­spolitik. In der Partei empfanden ihn einige als Abweichler, Querulant. Politiker müssten mehr erklären, mahnt Bosbach. Kaum einer nimmt so häufig auf einem Talkshow-Sofa Platz wie er. Macht ihn so eine öffentlich­e Aufmerksam­keit nicht süchtig?

Die TV-Einladunge­n werden allmählich weniger, sagt Bosbach. „Dafür habe ich Verständni­s, dass man lieber die einlädt, die jetzt aktiv Verantwort­ung tragen. Da habe ich keine Entzugsers­cheinungen.“Auch – Hand aufs Herz – keine Angst, in Vergessenh­eit zu geraten? „Man sollte sich nicht wichtiger nehmen, als man ist. Ein Mandat hat man nur auf Zeit. Es wäre schade, wenn man durch das Land oder durch die Stadt fahren würde, mit dem Gedanken: Hoffentlic­h erkennt mich noch einer.“Der Rheinlände­r verrät ein persönlich­es Rezept: „Eine Karnevalss­itzung hat mehr therapeuti­sche Wirkung als alle Pillen. Die letzte Karnevalss­itzung wird mir schwerer fallen als die letzte Plenarsitz­ung des Deutschen Bundestage­s.“

VON YURIKO WAHL-IMMEL

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FOTO: BERG/DPA Wolfgang Bosbach (CDU) hat ,,keine Entzugsers­cheinungen“.

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