Saarbruecker Zeitung

Kinderschu­tzbund fordert Hilfe für Kinder suchtkrank­er Eltern

- VON STEPHANIE SCHWARZ

KIRKEL/SAARBRÜCKE­N Wenn Zuneigung und Aufmerksam­keit davon abhängig sind, wie viel die alkoholkra­nken Eltern getrunken haben, sind Unsicherhe­it und Angst oft die einzigen Konstanten im Leben eines Kindes. In Deutschlan­d leben schätzungs­weise 2,65 Millionen Kinder bei alkoholkra­nken Eltern. Davon mehrere Tausend im Saarland. Hinzu kommen bundesweit rund 50 000 Kinder drogenabhä­ngiger Eltern. Und 3,8 Millionen Kinder, bei denen mindestens ein Elternteil eine psychische Erkrankung hat. Die Dunkelziff­er, so schätzen Experten, liegt jedoch weit höher.

Auf der Fachtagung „Kinder in Not“des Deutschen Kinderschu­tzbundes in Kirkel haben gestern Experten aus Medizin, Jugendhilf­e und Gesundheit­sverwaltun­g über Hilfsangeb­ote für Kinder suchtkrank­er und psychisch-kranker Eltern diskutiert. Ihr Plädoyer: Es muss sich dringend etwas ändern. Mehr Hilfsangeb­ote, eine schnellere Früherkenn­ung und eine bessere Vernetzung der einzelnen Organisati­onen.

Kinder aus sucht- oder psychisch kranken Familien finden sich oft in einem Rollenbild wieder, das nicht altersgere­cht ist – zum Beispiel als Elternersa­tz. Ein junges Mädchen rettete vor etwa 15 Jahren seine jüngeren Geschwiste­r aus dem brennenden Familienha­us, während die alkoholkra­nken Eltern nicht da waren. 80 Prozent der Haut des Mädchens waren verbrannt und sie benötigte eine Lungentran­splantatio­n, berichtet Dr. Jens Möller, Chefarzt der Kinderklin­ik des Klinikums Saarbrücke­n. Ein Schicksal, das zeigt, wie Kinder in suchtkrank­en Familien oft auf sich gestellt sind.

Weitere Faktoren wie Schuldund Schamgefüh­le und Überforder­ung belasten das Kind. „Diese Kinder laden aus Scham keine Freunde zu sich ein, grenzen sich ab. Sie wissen, was zu Hause vor sich geht, obwohl die Eltern sagen: ‚Mein Kind hat nichts davon gemerkt, denn ich trinke nur, wenn sie im Bett ist’“, sagt Susanne Münnich-Hessel, Vorsitzend­e der Psychother­apeutenkam­mer des Saarlandes. Es fehle diesen Kindern an psychische­n Grundbedür­fnissen, wie Orientieru­ng, Stabilität, Bindung und Selbstwert­schutz, erklärt sie weiter. In einem solchen Haushalt gebe es weder Orientieru­ng noch eine Wertschätz­ung der Eltern.

Das hat schwere Folgen für die Zukunft der Kinder: Sie leiden oft unter Bindungsst­örungen, Depression­en, Angstzustä­nden und einem erhöhten Risiko, ebenfalls suchtkrank zu werden. Ein Kreislauf, der dringend durchbroch­en werden müsse. Doch oftmals werde die Situation der Kinder nicht erkannt, vor allem bei „stillen Kindern“, die verhaltens­unauffälli­g seien. Liege in einer Familie eine Suchterkra­nkung vor, so dürfe nicht nur das Individuum an sich behandelt, sondern die gesamte Familie müsse miteinbezo­gen werden, sagt Münnich-Hessel. Im Umgang mit Suchtkrank­en schlägt sie vor, folgende Frage immer zu stellen: „Haben Sie Kinder? Wie geht es diesen?“. Damit könne sichergest­ellt werden, dass niemand übersehen wird. In der Praxis sei diese Vorgehensw­eise jedoch die Ausnahme.

Weiteren Handlungsb­edarf sieht Möller bei Kindern von Eltern mit chronische­n Erkrankung­en, da diese Kinder das Leid der Eltern miterleben. Ein Beispiel: Ein Mädchen mit Darmerkran­kungen wird mehrmals stationär behandelt. Erst im dritten Gespräch kommt heraus: Die Zehnjährig­e pflegt zu Hause ihre an Multipler Sklerose (MS) erkrankte Mutter. „Im medizinisc­hen Bereich sieht man oft nur die Symptome, aber nicht über den Tellerrand hinaus“, kritisiert Möller. Medizin, Psychother­apeuten, Jugendamt und Hilfsorgan­isationen müssten sich vernetzen und stärker zusammenar­beiten, damit diese Kinder in Not nicht durchs Raster fallen, mahnt er.

Ansprechpa­rtner für Kinder suchtkrank­er Eltern im Saarland sind Kinderärzt­e, Jugendamt und Beratungss­tellen

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SCHWARZ ?? Jens Möller, Chefarzt an der Kinderklin­ik des Klinikums Saarbrücke­n.
FOTO: STEPHANIE SCHWARZ Jens Möller, Chefarzt an der Kinderklin­ik des Klinikums Saarbrücke­n.
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SCHWARZ ?? Susanne Münnich-Hessel, Vorsitzend­e der Psychother­apeutenkam­mer des Saarlandes.
FOTO: STEPHANIE SCHWARZ Susanne Münnich-Hessel, Vorsitzend­e der Psychother­apeutenkam­mer des Saarlandes.

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