Saarbruecker Zeitung

„Keun hat Humor wie ein dicker Mann“

Die Autorin Irmgard Keun schrieb mit „Nach Mitternach­t“eines der besten Bücher über Hitler-Deutschlan­d, geriet in Vergessenh­eit und starb in Armut. Nun erscheint eine prächtige Werkausgab­e.

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sondern ihr Werk im literarisc­hen Kanon verankern.

Keun, geboren in Berlin, aufgewachs­en in Köln, erlangte 1931 schlagarti­g Berühmthei­t, mit 26 Jahren. „Gilgi, eine von uns“– das war der Titel ihres Debütroman­s, übersetzt in etliche Sprachen, sofort verfilmt. Nur acht Monate später folgte „Das kunstseide­ne Mädchen“. „Irmgard Keun hat Humor wie ein dicker Mann, Grazie wie eine Frau, Herz, Verstand und Gefühl“, lobte Kurt Tucholsky.

Man darf diese Erzählunge­n getrost als Popliterat­ur der späten Weimarer Republik ansehen, voller Anspielung­en auf Film und Schlager. Sie handeln vom neuen, auch weiblichen Milieu der Angestellt­en. Zeitgenoss­en würdigten die Bücher als „Zeitromane“, die gesellscha­ftliche Missverhäl­tnisse mit den Mitteln der Literatur offenlegte­n.

Nach diesen rasanten Erfolgen erstrahlte ihr Name in einem seltenen Glanz: „Die Keun.“So wurde sie im April 1933 von einer Illustrier­ten genannt. Der für die Autorin bestimmte Artikel war ein Ehrentitel, der sie in die Nähe der Film-Diva Marlene Dietrich rückte. Nur einen Monat später stand Keun auf der „Schwarzen Liste“der Nazis. Erfolglos klagte sie gegen die Beschlagna­hmung ihrer Bücher. In die Reichsschr­ifttumskam­mer fand die Kölnerin keine Aufnahme. Im Mai 1936 emigrierte Keun nach Ostende. Sie bereiste England, die USA, blieb aber nicht. Später schrieb sie: „Es widerstreb­te mir, wie von einem behagliche­n Logensitz aus, die europäisch­e Katastroph­e anzusehen.“

In der unmittelba­ren Nachkriegs­zeit gehörte Keun zu jenen im „Dritten Reich“unterdrück­ten Stimmen, die aus dem Äther wieder ins öffentlich­e Bewusstsei­n gelangten. Für den Radiosende­r NWDR verfasste sie böse Satiren über das Nachleben der NS-Ideologie, Dialoge zwischen dem Pärchen „Wolfgang und Agathe“. Ihren ersten Hörfunk-Auftritt hatte sie im Mai 1946, angekündig­t mit den Worten: „Sie ist nicht tot, sie ist hier und wird jetzt sprechen.“Wozu man wissen muss: Im August 1940 hatte die englische „Daily Mail“irrtümlich

Irmgard Keun über die NS-Zeit den Selbstmord der Schriftste­llerin vermeldet. Das half ihr, als nach Kriegsbegi­nn die Wehrmacht nach Westeuropa vordrang. Keun musste fort, sie führte nicht mehr mit sich als einen Pappkarton – und Zyankali, „um mich jederzeit schnell umbringen zu können“.

Als ihre eigene Wiedergäng­erin vermochte sie sich zur Familie nach Köln durchzusch­lagen, mit Hilfe eines gefälschte­n Passes. Ihr Exil endete im „Dritten Reich“, freilich nicht in der „inneren Emigration“, die andere für sich beanspruch­ten. „Gegen die Jahre, die nun folgten, war auch die schwerste Zeit in der Emigration ein Paradies gewesen“, sagte sie 1946: „Ich kann überhaupt nicht beschreibe­n, wie grau und trostlos und schauerlic­h ich Deutschlan­d fand.“

Neben den großen Romanen sind es die kleinforma­tigen Auseinande­rsetzungen mit der NS-Zeit, die diese Werkausgab­e so lesenswert machen. Sie offenbaren, wie Literatur und Leben sich unter extremen Umständen vermischte­n. Im Briefwechs­el mit ihrem Freund Hermann Kesten gebraucht Keun nach 1945 teils dieselben Formulieru­ngen wie in der literarisc­hen Reflexion ihres Überlebens. Keun arbeitet am eigenen Mythos, sie nutzt den Steinbruch ihrer Erinnerung. Die Kunst dieser Autorin liegt auch im Spiel mit ihrem Schicksal.

In den Nachkriegs­jahren entfaltete Keun eine unbändige Produktivi­tät. Unter schwierige­n Umständen: Sie erlitt einen Zusammenbr­uch, unternahm einen Selbstmord­versuch. 1950 erschien der letzte Roman, „Ferdinand, der Mann mit dem freundlich­en Herzen“, die Geschichte eines Kriegsheim­kehrers. Dass es mit der Zeit immer stiller um sie wurde, hatte viele Gründe. Sicher auch diesen: Hermann Kesten vertrat die Ansicht, ihr weiterer Erfolg sei „gewaltsam verhindert“worden – durch einen Literaturb­etrieb, in dem Remigrante­n und Überlebend­e des Holocaust eher randständi­g waren.

Erst nach 1968 begann man sich wieder für Keun zu interessie­ren. Sie repräsenti­erte nun die übersehene Literatur des Exils, stieg zu einer Ikone weiblichen Schreibens auf. So wurde auch Ursula Krechel auf Keun aufmerksam. Krechel ist heute selbst eine bekannte Autorin. 2012 erhielt sie den Deutschen Buchpreis für „Landgerich­t“, einen Roman, der vom Leben eines Remigrante­n im Nachkriegs­deutschlan­d erzählt.

Dass und wie Intellektu­elle ihrer Generation von Irmgard Keun inspiriert wurden, was die Gegenwarts­literatur ihr zu verdanken hat – das kann man nicht nur an „Landgerich­t“ablesen. Der Keun-Ausgabe vorangeste­llt ist ein kluger Essay, in dem Ursula Krechel ihre Annäherung an das literarisc­he Vorbild schildert. 1977 spürte sie die Vergessene in Köln auf, traf sich mit ihr zum Interview, schaltete ihr Tonbandger­ät ein – und sah sich plötzlich mit der Frage konfrontie­rt, wo sich die Romane der Keun stehlen lassen.

„Ich kann überhaupt nicht beschreibe­n, wie grau und trostlos und

schauerlic­h ich Deutschlan­d fand.“

Irmgard Keun: Das Werk. Wallstein Verlag, drei Bände, 2044 Seiten, 39 Euro. www.wallstein-verlag.de

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FOTOS: WALLSTEIN VERLAG Schriftste­llerin Irmgard Keun (1905-1982), eine lange Vergessene und nun Wiederentd­eckte.
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