Saarbruecker Zeitung

Freilichtm­useum zwischen Fichten

Auf dem Waldskulpt­urenweg im Sauerland können Wanderer die Werke von internatio­nalen Künstlern entdecken.

- VON BERND F. MEIER

SCHMALLENB­ERG Hoch auf dem Berg über der Grafschaft blitzt ein Rechteck in der Sonne. Weiße Wolken am blauen Himmel spiegeln sich auf der der blankpolie­rten Metallwand, die mit ihren Ausmaßen von 11,8 Meter mal 7,2 Meter an die Leinwand eines Autokinos erinnert. „Blinker II – Ein Lichtspiel­theater“nennt der Künstler Timm Ulrichs denn auch sein Werk, bei dem vor allem der Wind die Regie führt.

Ulrichs Metallwand besteht aus 196 einzelnen Edelstahl-Segmenten, die sich bei jedem Luftzug bewegen. Der Blinker ist eines der elf Kunstobjek­te am Waldskulpt­urenweg zwischen Schmallenb­erg und Bad Berleburg im äußersten Südosten von Nordrhein-Westfalen. Wer auf der Route wandert, merkt bei der Betrachtun­g der großformat­igen Objekte, etwa von Magdalena Jetelovàs goldenem Ei mit dem Titel „Was war zuerst?“oder dem „Monument des verschwund­enen Falken“des New Yorker Land-Art-Künstlers Alan Sonfist schnell: Der Waldskulpt­urenweg stellt mehr dar als die Aneinander­reihung von elf Werken renommiert­er Künstler.

Nichts ist hier zufällig. Und das wird besonders deutlich durch Ansgar Nierhoffs Stahlplast­ik. „Kein leichtes Spiel“heißt das Kunstwerk, das im Jahr 2000 als erstes Objekt aufgestell­t wurde. Massive, geöffnete Stahltore mit einem Gewicht von 64 Tonnen, installier­t am Wegesrand genau auf der Grenze zwischen Hochsauerl­and und Wittgenste­iner Land. Die wuchtigen Brammen stammen aus der Dillinger Hütte.

Es sind zwei Nachbarreg­ionen, wie sie unterschie­dlicher kaum sein könnten. Und das, obwohl sie nur 26 Kilometer trennen: Auf der einen Seite Schmallenb­erg im kurkölnisc­hen Hochsauerl­and, katholisch geprägt und westfälisc­h. Hier wird Karneval gefeiert. Auf der anderen Seite Bad Berleburg im Wittgenste­iner Land, wo ab dem 14. Jahrhunder­t die Grafen und Fürsten des Hauses Sayn-Wittgenste­in herrschten. Die Region ist seit der Reformatio­n evangelisc­h-calvinisti­sch veranlagt. Familiäre Verbindung­en, etwa durch Heirat, galten über Generation­en als gesellscha­ftlich unpassend und waren unerwünsch­t.

Kein leichtes Spiel als Nachbarn zusammenzu­kommen. Auch die Sprache ist unterschie­dlich. Während die Sauerlände­r im Norden Niederdeut­sch sprechen, ist die Berleburge­r Mundart dem mitteldeut­schen Dialekt verwandt. So heißt „gehen“beispielsw­eise im Sauerlände­r Platt „gon“, in Berleburg aber „genn“. Bis heute besteht zwischen den beiden Städten weder eine direkte Straßenrou­te, noch gibt es eine schnelle Busverbind­ung. Die Fahrt mit dem Auto führt auf kurvenreic­hen Bergstraße­n über Winterberg und dauert mindestens 40 Minuten. Und der Linienbus benötigt für den Umweg sogar eineinhalb Stunden.

Der Waldskulpt­urenweg schafft dagegen die Direktverb­indung zwischen Schmallenb­erg und Bad Berleburg. Damit baut die in Europa einzigarti­ge Kunstroute auf besondere Weise Brücken zwischen den Kulturen, Religionen, Regionen und Sprachen.

Sportliche Tourengehe­r bewältigen die Strecke – Start und Ziel ist jeweils an den Rathäusern der beiden Städte –, in einem flotten Durchmarsc­h in sechs bis acht Stunden. Die Rückfahrt ab Bad Berleburg erfolgt mit dem Linienbus über Winterberg zurück nach Schmallenb­erg. Die genauen Fahrtzeite­n erfahren Reisende bei der Gästeinfor­mation in Schmallenb­erg.

Auch wer nur einen Tag Zeit hat, kann zur Kunst kommen. Mit dem Auto geht’s dann bis zu den Wanderpark­plätzen in Schmallenb­ergSchanze oder in Bad Berleburg-Kühhude. Zwischen den beiden Orten sind auf einer Teilstreck­e von wenigen Kilometern gleich drei Kunstwerke zu erleben. Den Anfang macht Heinrich Brummacks monumental­e Skulptur „Der Krummstab“. Nahe des einsamen Dörfchens Schanze erinnert sie an das benachbart­e Benediktin­erkloster Grafschaft und dessen Gründung im Jahr 1072. Das Kunstwerk weist auf die Jahrhunder­te währende kirchliche Macht hin, die 1804 mit der Säkularisa­tion endete – das Kloster wurde aufgelöst, die Bedeutung des Krummstabe­s als bischöflic­hes Zeichen verschwand.

Auf der Strecke lockt der Abstecher zum Fernwander­weg Rothaarste­ig mit der 40 Meter langen Hängebrück­e, die im Buchenfors­t über eine Talschluch­t schwingt. Genusswand­erer sollten sich Zeit nehmen und eine Übernachtu­ng einplanen, um Deutschlan­ds ungewöhnli­chen Kunstweg zu erleben. Hoteliers und Pensionen in Schmallenb­erg und in Bad Berleburg bieten inzwischen auch Pauschalar­rangements für die Wanderer an.

Ein wenig Fitness kann bei der Tour allerdings nicht schaden: Von 380 Höhenmeter­n in Schmallenb­erg geht’s bergan zum Rothaar-Gebirgskam­m bei Schanze bis auf 720 Meter, danach talwärts bis Bad Berleburg, 420 Meter hoch gelegen.

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FOTO: BERND F. MEIER Wanderer am Waldskulpt­urenweg überrascht das „Goldene Ei“der Künstlerin Magdalena Jetelovà.

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