Saarbruecker Zeitung

Verfassung­srichter Peter Müller bekräftigt Rechte von Dementen

Fixierung am Bett und Zwangsmedi­kation – Maßnahmen, die bei Menschen mit Demenz oft angeordnet werden. Richter Peter Müller erklärt, wann diese Eingriffe zulässig sind.

-

SAARBRÜCKE­N Vergesslic­h, verwirrt, orientieru­ngslos: Bundesweit leiden rund 1,6 Millionen Menschen an Demenz. Bis 2050, so schätzen Experten, sollen es rund drei Millionen sein. Im Saarland sind es aktuell über 20 000. Wer an Demenz erkrankt, leidet unter dem fortschrei­tenden Verlust der geistigen Fähigkeite­n wie denken, erinnern, orientiere­n.

Dieser Verlust stellt Angehörige, Ärzte und Pfleger in vielen Situatione­n vor juristisch­e und ethische Fragen: Wenn der Patient immer mehr die Kontrolle über sein Leben verliert, inwiefern dürfen andere dann für ihn entscheide­n – vielleicht sogar gegen seinen Willen? Dürfen Ärzte den Patienten durch Fixierunge­n vor sich selbst schützen? Antworten auf diese Fragen weiß Peter Müller (CDU), Richter des Zweiten Senats des Bundesverf­assungsger­ichts und ehemaliger saarländis­cher Ministerpr­äsident. In seinem Fachvortra­g im SZ-Forum erklärte er jetzt rund 130 Gästen, welche Rechte Menschen mit Demenz haben.

Und er stellte klar: Trotz der Krankheit ist der Patient weiterhin ein „Mensch mit einer unantasbar­en Würde und kein Objekt“. Jeder Mensch habe das Recht auf einen freien Willen und Selbstbest­immung, as ihm nicht genommen werden könne, selbst wenn er dement ist. „So gesehen hat der Mensch auch das Recht unvernünft­ig oder krank zu sein, das heißt sich gegen eine Therapie zu entscheide­n“, fügte Müller hinzu. Und dieser Wille muss von Angehörige­n und Ärzten respektier­t werden.

Selbst in Phase zwei der Krankheit, trotz zunehmende­r Hilfsbedür­ftigkeit, sei der Demenzkran­ke nicht der Willkür der Ärzte beziehungs­weise Pfleger ausgesetzt. sagt Müller. „Arzt und Pfleger haben die Pflicht, Patienten über Therapie und Medikation aufzukläre­n und die Betroffene­n müssen zustimmen. Wenn nicht ist es Körperverl­etzung.“Bei zunehmende­m Autonomie-Verlust sprach Möller von einer „assistiert­en Selbständi­gkeit“.

Im späten Stadium der Krankheit lassen Orientieru­ng und Motorik fast vollkommen nach. Menschen mit Demenz sind komplett auf Hilfe angewiesen. Der Begriff „Demenz“kommt aus dem Lateinisch­en und bedeutet „ohne Geist“und so sehen viele den Demenzkran­ken im letzten Stadium auch: Er ist nicht mehr er selbst und kann eine Gefahr für sich werden. Beispielsw­eise wenn er alleine durch die Straßen läuft.

Hier beginnt nun die Problemati­k. Denn trotz stark abnehmende­r geistiger und körperlich­er Fähigkeite­n habe der Patient ein Recht auf Selbstbest­immung, sagte Müller. „Wünsche des Kranken dürfen nicht übergangen werden.“Aber: Was ist, wenn eine medizinisc­he Maßnahme notwendig wird, der Patient diese in seiner verwirrten Gefühlslag­e aber ablehnt? Oder ein Demenzkran­ker sich bewegen will, jedoch die Gefahr besteht er könne sich verletzten oder verirren?

In diesen Fällen sei der Punkt erreicht, an dem Angehörige und Ärzte in die Entscheidu­ngsfreihei­t des Menschen eingreifen könnten, erklärte Müller: Zum Beispiel mit einer Fixierung am Bett oder einer Zwangsmedi­kation. Eine Fixierung, auch wenn sie zum Selbstschu­tz angeordnet wurde, sei jedoch ein schwerer Eingriff ins Freiheitsr­echt des Betroffene­n. Dabei spiele es auch keine Rolle, dass dieser komplett auf fremde Hilfe angewiesen ist. „Das Recht auf Freiheit und Selbstbest­immung bleibt auch in der schweren Phase der Demenz bestehen“, sagte Müller.

Um diese Rechte zu umgehen, müssten „hohe Hürden“überwunden werden: Ein Gericht müsse der Fixierung zustimmen. „Und es sollte die allerletzt­e Lösung sein, wenn sonst gar nichts mehr geht“sagte Müller. Erst dann seien Fixierunge­n oder Zwangs-Medikation­en zulässig.

Was sind die Alternativ­en? Welche Möglichkei­ten außer der Fixierung hätten die unterbeset­zten Pflegebere­iche im Saarland, um Menschen mit Demenz vor sich selbst zu schützen?, fragte Müller. Nur mehr Personal mache Fixierung unnötig, sagte er. Denn eine Fixierung nur als Eingriff in die Grundrecht­e zu bezeichnen, sei eine „Verharmlos­ung der Situation“. Müller: „Wie wir mit unseren Demenzkran­ken umgehen, entscheide­t darüber, wie human unsere Gesellscha­ft ist.“

VON STEPHANIE SCHWARZ

 ?? FOTO: WIEDL/DPA ?? Fixierung eines Patienten durch Festschnal­len der Handgelenk­e ist in der Pflege eine der Maßnahmen, um Demenz-Patienten vor sich selbst zu schützen. Experten sehen darin jedoch einen Eingriff ins Freiheitsr­echt.
FOTO: WIEDL/DPA Fixierung eines Patienten durch Festschnal­len der Handgelenk­e ist in der Pflege eine der Maßnahmen, um Demenz-Patienten vor sich selbst zu schützen. Experten sehen darin jedoch einen Eingriff ins Freiheitsr­echt.
 ?? FOTO: SOZIALMINI­STERIUM
 ?? Peter Müller, Bundesverf­assungsric­hter und ehemaliger saarländis­cher Ministerpr­äsident (CDU).
FOTO: SOZIALMINI­STERIUM Peter Müller, Bundesverf­assungsric­hter und ehemaliger saarländis­cher Ministerpr­äsident (CDU).

Newspapers in German

Newspapers from Germany