Kevin Kühnert kämpft an der Saar gegen Groko
Juso-Chef Kühnert tourt seit Wochen durch Deutschland. Sein Ziel: Die neue Groko verhindern. In Saarbrücken konnte er davon nicht alle überzeugen – aber viele.
SAARBRÜCKEN Auf ein leidenschaftliches Duell wartet man vergeblich. Kein Wunder. Im Kern sind die beiden sich einig. Bis auf den großen Unterschied: Der SPD-Bundestagsabgeordnete Christian Petry sagt Ja, Juso-Chef Kevin Kühnert entschieden Nein. Und es geht hier nicht nur um die künftige Regierung. Die SPD bangt um nichts Geringeres als um ihre Existenz. Entsprechend groß ist der Andrang am Samstagabend in der Stiftung Demokratie Saar. Mindestens 200 Zuhörer, Groko-Gegner und -Befürworter. Einige verfolgen die Debatte per Livestream. Andere sitzen mittendrin. So wie Hermann Blumenthal. Unter Schröder sei er aus der SPD ausgetreten, wegen Kühnert wieder dabei. Der ältere Herr aus Riegelsberg hat sein Kreuzchen bereits gemacht. Er hofft auf eine Minderheitsregierung.
Auch die aus Berlin angereiste Saarbrücker Bundestagsabgeordnete Josephine Ortleb will mit Nein stimmen. „Für mich ist die Frage nicht beantwortet, wo was neu ist.“Erneuerung – das große Stichwort. Seit 18 Tagen ist Juso-Chef Kühnert deshalb auf „No-Groko-Tour“. Man sieht ihm die Erschöpfung an, als er auf die erste Frage der Moderatorin eingeht. Der Neunkircher SPDMann steht gegenüber. Thema eins: Arbeitsmarkt. Da sieht Petry Potenzial, lobt die geplante Investition in die Meisterausbildung. Kühnert kontert mit der nicht abgeschafften sachgrundlosen Befristung.
Und die Ergebnisse zur Altersarmut? In den Augen des Juso-Chefs ein Armutszeugnis. Die „Bedürftigkeitsprüfung“bei der Grundrente: ein Rückschritt. Man spekuliere darauf, Menschen davor abzuschrecken, Leistungen in Anspruch zu nehmen, die ihnen zustünden. Petry nickt, betont jedoch, dass nun ein „konjunkturunabhängiges Rentenniveau“verankert sei. 48 Prozent bis 2025 mit einer Beitragsbegrenzung auf 20 Prozent. „Nicht genug“, aber etwas.
Noch optimistischer stimmt ihn die Lockerung des Kooperationsverbots, von der auch das Saarland profitieren werde. Außerdem 3,5 Milliarden für Kitas, zwei Milliarden für die Ganztagsbetreuung. „Das reicht nicht für den Ausstieg aus den Kita-Gebühren“, sagt Kühnert. Ähnlich unzufrieden ist er mit den Vergütungen für Auszubildende. Die letzte Groko habe eine Reform versäumt. Jetzt stünde ein „Mindestlohn für Azubis“im Vertrag. Es zeuge nicht gerade von Glaubwürdigkeit, zuvor nichts getan zu haben und nun „eine Schippe draufzulegen“.
Der Klimaschutz? „Kein großer Wurf“, so der Juso-Chef. Es sei ein Denkfehler, „Öko-Themen“an die Grünen zu delegieren. Die Klimaziele würden stets in ferne Zukunft geschoben, um sich nicht „daran messen lassen“zu müssen. Ähnlich sei es mit der Digitalisierung, bisher unter Federführung von „Großmaulminister Alexander Dobrindt“. Petry fängt die Kritik mit Humor auf, lädt Kühnert zum Abschalten in seine Dorfkneipe ein, wo es ganz sicher kein Internet gebe („Das hat auch Vorteile“). Er werde nach dem 4. März darauf zurückkommen, gibt der 28-Jährige augenzwinkernd zurück.
Dann wieder ernst. Thema Obergrenze. Petry relativiert. Es sei ein Korridor von 180 000 bis 200 000 Menschen geschaffen worden. In Frankreich liege man deutlich darunter. Die eigentliche Obergrenze, räumt er ein, existiere beim Familiennachzug. Nicht optimal, aber: Wenn die SPD nicht reagiert hätte, hätte dem Nachzug mit der AfD im Bundestag das Aus gedroht. Zudem seien selbst Parteianhänger in der Frage gespalten. Kühnert lässt das nicht gelten. „Die Grundwerte unserer Partei sollten auch dann gelten, wenn die Menschen nicht applaudieren.“Tosender Applaus.
Die SPD habe es verpasst, „sichtbare Schwerpunkte zu setzen“. Auch die anschließenden Publikumsfragen beantwortet Kühnert selbstkritisch. „Um Sie ist jetzt eine Art Schulz-Hype entstanden. Macht Ihnen das keine Angst?“Kühnert schmunzelt. Er sei kein Fan von Personenkult. Der Abgang von Martin Schulz habe ihn nachdenklich gemacht. Petry nennt den Umgang mit dem Ex-SPD-Chef „menschlich schäbig“.
„Warum Nein, wenn so viel SPD im Vertrag steht?“Für den Juso-Chef eine Frage der Glaubwürdigkeit. „Der Gang in die Opposition ist notwendig.“Petry warnt im Gegenzug vor der Gefahr von Rechts, der er gerne „in Verantwortung begegnen“würde. Auch deshalb seien Neuwahlen „keine prickelnde Geschichte“. Kühnert bleibt hart. Die AfD sei keine „Naturkatastrophe“, man könne sie mit guter Politik bekämpfen. „Egal ob es ein Ja oder ein Nein zur Groko gibt.“Und das entscheiden die Mitglieder noch bis Sonntag. In Saarbrücken bleiben sie auch nach diesem Abend weiter gespalten.