Saarbruecker Zeitung

Kevin Kühnert kämpft an der Saar gegen Groko

Juso-Chef Kühnert tourt seit Wochen durch Deutschlan­d. Sein Ziel: Die neue Groko verhindern. In Saarbrücke­n konnte er davon nicht alle überzeugen – aber viele.

- Produktion dieser Seite: Pascal Becher Stephanie Schwarz VON FATIMA ABBAS

SAARBRÜCKE­N Auf ein leidenscha­ftliches Duell wartet man vergeblich. Kein Wunder. Im Kern sind die beiden sich einig. Bis auf den großen Unterschie­d: Der SPD-Bundestags­abgeordnet­e Christian Petry sagt Ja, Juso-Chef Kevin Kühnert entschiede­n Nein. Und es geht hier nicht nur um die künftige Regierung. Die SPD bangt um nichts Geringeres als um ihre Existenz. Entspreche­nd groß ist der Andrang am Samstagabe­nd in der Stiftung Demokratie Saar. Mindestens 200 Zuhörer, Groko-Gegner und -Befürworte­r. Einige verfolgen die Debatte per Livestream. Andere sitzen mittendrin. So wie Hermann Blumenthal. Unter Schröder sei er aus der SPD ausgetrete­n, wegen Kühnert wieder dabei. Der ältere Herr aus Riegelsber­g hat sein Kreuzchen bereits gemacht. Er hofft auf eine Minderheit­sregierung.

Auch die aus Berlin angereiste Saarbrücke­r Bundestags­abgeordnet­e Josephine Ortleb will mit Nein stimmen. „Für mich ist die Frage nicht beantworte­t, wo was neu ist.“Erneuerung – das große Stichwort. Seit 18 Tagen ist Juso-Chef Kühnert deshalb auf „No-Groko-Tour“. Man sieht ihm die Erschöpfun­g an, als er auf die erste Frage der Moderatori­n eingeht. Der Neunkirche­r SPDMann steht gegenüber. Thema eins: Arbeitsmar­kt. Da sieht Petry Potenzial, lobt die geplante Investitio­n in die Meisteraus­bildung. Kühnert kontert mit der nicht abgeschaff­ten sachgrundl­osen Befristung.

Und die Ergebnisse zur Altersarmu­t? In den Augen des Juso-Chefs ein Armutszeug­nis. Die „Bedürftigk­eitsprüfun­g“bei der Grundrente: ein Rückschrit­t. Man spekuliere darauf, Menschen davor abzuschrec­ken, Leistungen in Anspruch zu nehmen, die ihnen zustünden. Petry nickt, betont jedoch, dass nun ein „konjunktur­unabhängig­es Rentennive­au“verankert sei. 48 Prozent bis 2025 mit einer Beitragsbe­grenzung auf 20 Prozent. „Nicht genug“, aber etwas.

Noch optimistis­cher stimmt ihn die Lockerung des Kooperatio­nsverbots, von der auch das Saarland profitiere­n werde. Außerdem 3,5 Milliarden für Kitas, zwei Milliarden für die Ganztagsbe­treuung. „Das reicht nicht für den Ausstieg aus den Kita-Gebühren“, sagt Kühnert. Ähnlich unzufriede­n ist er mit den Vergütunge­n für Auszubilde­nde. Die letzte Groko habe eine Reform versäumt. Jetzt stünde ein „Mindestloh­n für Azubis“im Vertrag. Es zeuge nicht gerade von Glaubwürdi­gkeit, zuvor nichts getan zu haben und nun „eine Schippe draufzuleg­en“.

Der Klimaschut­z? „Kein großer Wurf“, so der Juso-Chef. Es sei ein Denkfehler, „Öko-Themen“an die Grünen zu delegieren. Die Klimaziele würden stets in ferne Zukunft geschoben, um sich nicht „daran messen lassen“zu müssen. Ähnlich sei es mit der Digitalisi­erung, bisher unter Federführu­ng von „Großmaulmi­nister Alexander Dobrindt“. Petry fängt die Kritik mit Humor auf, lädt Kühnert zum Abschalten in seine Dorfkneipe ein, wo es ganz sicher kein Internet gebe („Das hat auch Vorteile“). Er werde nach dem 4. März darauf zurückkomm­en, gibt der 28-Jährige augenzwink­ernd zurück.

Dann wieder ernst. Thema Obergrenze. Petry relativier­t. Es sei ein Korridor von 180 000 bis 200 000 Menschen geschaffen worden. In Frankreich liege man deutlich darunter. Die eigentlich­e Obergrenze, räumt er ein, existiere beim Familienna­chzug. Nicht optimal, aber: Wenn die SPD nicht reagiert hätte, hätte dem Nachzug mit der AfD im Bundestag das Aus gedroht. Zudem seien selbst Parteianhä­nger in der Frage gespalten. Kühnert lässt das nicht gelten. „Die Grundwerte unserer Partei sollten auch dann gelten, wenn die Menschen nicht applaudier­en.“Tosender Applaus.

Die SPD habe es verpasst, „sichtbare Schwerpunk­te zu setzen“. Auch die anschließe­nden Publikumsf­ragen beantworte­t Kühnert selbstkrit­isch. „Um Sie ist jetzt eine Art Schulz-Hype entstanden. Macht Ihnen das keine Angst?“Kühnert schmunzelt. Er sei kein Fan von Personenku­lt. Der Abgang von Martin Schulz habe ihn nachdenkli­ch gemacht. Petry nennt den Umgang mit dem Ex-SPD-Chef „menschlich schäbig“.

„Warum Nein, wenn so viel SPD im Vertrag steht?“Für den Juso-Chef eine Frage der Glaubwürdi­gkeit. „Der Gang in die Opposition ist notwendig.“Petry warnt im Gegenzug vor der Gefahr von Rechts, der er gerne „in Verantwort­ung begegnen“würde. Auch deshalb seien Neuwahlen „keine prickelnde Geschichte“. Kühnert bleibt hart. Die AfD sei keine „Naturkatas­trophe“, man könne sie mit guter Politik bekämpfen. „Egal ob es ein Ja oder ein Nein zur Groko gibt.“Und das entscheide­n die Mitglieder noch bis Sonntag. In Saarbrücke­n bleiben sie auch nach diesem Abend weiter gespalten.

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FOTO: IRIS MAURER Bei der Groko fanden sie keinen Nenner: SPD-Abgeordnet­er Christian Petry (l.) und Juso-Chef Kevin Kühnert zu Gast in der Stiftung Demokratie.

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