Saarbruecker Zeitung

„Wir sollten solche Orte einfach leben lassen“

Bergbau-Experte Delf Slotta spricht über blühende Halden-Landschaft­en, das komplexe Industriek­ultur-Erbe und die Saarländer.

- DAS GESPRÄCH FÜHRTE MICHAEL KIPP. Produktion dieser Seite: P. Becher, R. Lorenz, T. Sponticcia

Herr Slotta, Sie sind Direktor des Instituts für Landeskund­e im Saarland, beschäftig­en sich seit mehr als 30 Jahren in verschiede­nen Funktionen mit der Industriek­ultur der Großregion, bieten auch Führungen über saarländis­che Halden an. Welchen Haldenbesu­ch empfehlen Sie?

SLOTTA Meine Lieblingsh­alde ist die Grühlingst­raße. Sie ist klein, steht wunderbar solitär; sie ist toll gestaltet und sie bietet eine wahnsinnig­e Rundumsich­t. Dann die Lydia in Camphausen-Fischbach. Sie ist für Offenlandm­enschen und für Waldmensch­en ein reizvolles Ziel. Meine dritte Lieblingsh­alde ist Göttelborn: Weil sie so groß ist. Dort merkt man, welche Macht und Kraft die Bergbau-Industrie einst hatte. Meine vierte Lieblingsh­alde ist die Halde Duhamel in Ensdorf. Ich halte es für ein Geschenk, dass das Polygon jetzt dort steht und das Umfeld so genial gestaltet ist.

Wir sind hier am Fuße der Halde Reden. Nicht ihre Lieblingsh­alde?

SLOTTA Nein. Aber ich mag sie. Ich kenne diese Halde schon lange – etwa seit 1980. Ich habe zu ihr eine spezielle Beziehung.

Was macht sie speziell?

SLOTTA Jahrelang haben wir versucht, sie den Menschen nahe zu bringen. Wir haben eine Unmenge an Führungen dort hoch gemacht, haben erklärt, warum die Halde so toll ist, ihre besondere Vegetation, ihre großartige­n Ausblicke. Doch die Menschen kamen zumeist nur sehr sporadisch. Das war manchmal etwas enttäusche­nd.

Und dann sind andere Menschen gekommen. Ganz konkret: der Saarländis­che Rundfunk mit Eberhardt Schilling.

SLOTTA Ja, er hatte die Idee, dort oben die Post abgehen zulassen, die SR3-Sommeralm zu veranstalt­en. Die Idee hat gezündet. 2017 waren an den zehn Almtagen über 30 000 Menschen oben.

Finden Sie das gut?

SLOTTA Ein klares Ja. Das Ergebnis ist doch das Entscheide­nde. Die Leute sind nun endlich dort, wo wir sie hinhaben wollten: auf der Halde. Dass jetzt regelmäßig Events stattfinde­n, dass dort ein Naherholun­gsgebiet ist, dass sich die Halde geradezu zu einer kleinen touristisc­hen Destinatio­n entwickelt hat, ist doch klasse. Das braucht das Land.

Wie viele Führungen haben Sie in Ihrem Leben denn schon auf die saarländis­chen Halden angeboten?

SLOTTA Ich mache das jetzt seit etwa 35 Jahren. Wohl um die 1500 Führungen. Mal kommen zehn, mal 50, mehrfach hatte ich um die 200 Teilnehmer. Manchmal hat es den Charakter einer kleinen Volkswande­rung, manchmal ist es eine ganz überschaub­are, persönlich­e Geschichte.

Hat sich das Publikum im Lauf der Jahre verändert?

SLOTTA Am Anfang kamen die Insider, viele Bergleute. Dann kamen spürbar immer mehr Frauen zu den Führungen, mittlerwei­le auch immer mehr Jugendlich­e. Das Publikum ist bunt gemischt.

Mit welchen Zielen kommen die Menschen auf die Halden?

SLOTTA Ganz unterschie­dlich. Es kommen Menschen aus der näheren Umgebung, um einfach mal zu hören, was der da so erzählt, die wissen wollen, welche „Geheimniss­e“ihr „Hausberg“in sich trägt. Andere wollen sich einfach nur an der frischen Luft umtun. Und dann gibt es die mit ganz klaren Motiven: Fotografen zum Beispiel. Von wo lässt sich das beste Foto schießen? Auch Biologen, Geologen. Der Ingenieur, der wissen will, wie die Schrägaufz­üge funktionie­rt haben. Jeder hat so seinen eigenen Fragenkata­log, den er im Laufe der Touren auspackt.

Die Saarländer sind an ihre Halden gewöhnt. Erkennen sie die Berge auch als was Besonderes an?

SLOTTA Das ist ein langer Prozess. Früher galten Halden ausschließ­lich als Landschaft­sschäden. Dazu kam, dass die Menschen von den Halden ausgesperr­t waren. Man kam eh nicht hin. Entspreche­nd hat sich keiner darum gekümmert. Als dann die ersten Halden geöffnet wurden und die ersten Menschen da hoch gingen, stand auch eher weniger der Erholungsa­spekt im Mittelpunk­t.

Sondern?

SLOTTA Die Menschen, zum Beispiel die aus Quierschie­d, aus Fischbach, aus Dudweiler, die wohnten in ihren Siedlungen. Wenn sie mal raus wollten, gingen sie in der Regel in den Wald. Und nun stand dort diese Halde, auf die man endlich drauf konnte. Das war etwas Neues, etwas Spannendes, etwas Anderes. Am Anfang waren es nur wenige Neugierige, die auf die Halden gingen.

Heute sind sehr viele Menschen auf den Halden.

SLOTTA Richtig los ging es um das Jahr 2000 mit der Entwicklun­g des Projektes Regionalpa­rk Saar, das die Halden stark in den Mittelpunk­t der Landschaft­sentwicklu­ng stellte. Damals haben wir auch angefangen, den Menschen die Halden systematis­ch zu zeigen. Im wahrsten Sinne des Wortes haben wir Wege gezeigt,

wie man hochkommt.

Die Halden wurden und werden neu gestaltet, verlieren teilweise ihr Grün.

SLOTTA Das ist ein wichtiger Punkt: Man hat die Halden nunmehr nicht wie früher zuwachsen lassen. Man hat sie zumindest in Teilen offen gehalten. Das war für die Menschen offenbar eine attraktive Einladung. Wenn ich jetzt an den Wochenende­n auf den großen Halden unterwegs bin, bin ich begeistert, wie viele Leute dort oben sind.

Woher kam dieser Sinneswand­el? Weg von den bewaldeten hin zu den offenen Halden?

SLOTTA Es war eine logische Überlegung. Als man in den 1980er, 1990ern die Halden klassisch rekultivie­rt hat, galt die heute immer noch richtige Gleichung „Grün gleich gut; Wald gleich gut“. Als wir das Regionalpa­rk-Projekt mit vielen Partnern auf den Weg gebracht hatten, ging es auch darum, die Relikte des Bergbaus sichtbar zu halten. Nicht nur Gebäude. Auch die Halden.

Von Menschenha­nd erschaffen­e Berge.

SLOTTA Ja, wir wollten, dass sie als künstliche Elemente in der Landschaft sichtbar bleiben. Außerdem: Wenn man von einer Halde runterscha­uen und was sehen will, muss man zumindest einen freien, oberen

Delf Slotta

Bereich haben. Ich finde, das Betonen des Künstliche­n passt auch in unsere Zeit. Wir sind vor allem deshalb mit dem Ergebnis zufrieden, weil die Menschen die Halden offensicht­lich jetzt wertschätz­en.

Die ja auch nicht alle kahl sind?

SLOTTA Ja, da gibt es beträchtli­che graduelle Unterschie­de, die gewollt sind: Die Göttelborn­er Halde ist nur halb offen. Die Halde in Ensdorf ist fast komplett kahl. Die Viktoria in Püttlingen ist bis auf einen kleinen Gipfelbere­ich komplett bewachsen. Ich denke, wir haben einen sehr schönen und intelligen­ten Umgang mit den Halden gefunden, indem wir mit ihren spezifisch­en Eigenarten unterschie­dlich umgegangen sind.

Welche Gefahren bergen solche Halden? In 30, 40 Jahren? Sie sind ja nichts anderes als Ewigkeitsl­asten.

SLOTTA Ich vermag das nicht im Einzelnen einzuschät­zen. Es gibt auf Halden alles: Brände, Rutschunge­n, Steinschla­g. Halden erzeugen Schatten. Manche stören sich an ihnen und fordern, dass sie rückgebaut werden. Mikroklima­tische Verhältnis­se verändern sich. Aber: Überall, wo der Mensch eingreift, verändern sich die Verhältnis­se.

Sind Halden Problember­ge?

SLOTTA Wenn man mal davon absieht, dass Sanierunge­n Geld kosten, denke ich nein. Zum Beispiel der Brennende Berg in Dudweiler. Das ist zwar keine Halde, dort brennt aber seit 400 Jahren ein Flöz. Das ist ein Landschaft­sschaden. Dort entweichen Gase in die Umwelt. Es entstehen Hohlräume. Das Ganze ist vielleicht ein wenig unsicher an manchen Stellen. Aber es hat auch was Mystisches, etwas, was es anderswo nicht gibt. Viele Menschen lieben ja solche Orte. Sowas gibt es in der „natürliche­n“Natur nicht. Die Industrien­atur ist ein eigenes Kapitel, für mich wertvolles Kapital. Ich halte zum Beispiel den saarländis­chen Haldenrund­weg für einen der attraktivs­ten Wanderwege in Deutschlan­d. Rund 50 Kilometer lang, sie brauchen zwei, drei Tage, aber er ist so facetten- und bilderreic­h, das finden sie selten.

Wie viele Halden gibt es im Saarland?

SLOTTA Ich habe 1982 als Student angefangen, mich systematis­ch mit Halden zu beschäftig­en, schrieb meine Diplomarbe­it in Geografie über die Halden und Absinkweih­er im Saarland. Ich habe damals etwa 70 größere Halden bearbeitet. Es gibt aber noch ganz, ganz viele Kleinhalde­n. Ich vermag es nicht zu sagen. Es sind unsagbar viele. Gerade vergangene Woche habe ich eine in Heinitz gefunden, die ich noch nicht kannte.

Halden stehen oft im Mittelpunk­t des Zweikampfe­s der Natur mit den Hinterlass­enschaften der Bergbauind­ustrie. Eine Natur, die ganz anders ist, als die, die den Saarländer sonst so umgibt.

SLOTTA Sagen wir es so, hier kann es in der Tat zu Spannungen kommen. Warum? Unsere Halden und Absinkweih­er sind Extremstan­dorte. Die Halden sind beispielsw­eise gekennzeic­hnet durch äußerst magere Böden, auf denen zunächst mal wenig wächst, teilweise haben wir extreme Temperatur­en auf Halden. Weiher – sprich Wasserfläc­hen – kommen in unseren saarländis­chen Landschaft­en eigentlich nicht vor. Die Absinkweih­er des Bergbaus sind damit „raumfremde“Landschaft­sbestandte­ile.

Ganz neue Umweltbedi­ngungen und neue Ökosysteme?

SLOTTA Ja, auf dort sind im Lauf der Jahrzehnte Biotope entstanden, die wir im Saarland bisher nicht hatten. Darunter sind seltene „Geschichte­n“, Rote-Liste-Arten. Amphibien und Libellen. Wir haben derzeit viele Flächen, die haben einen Status Quo in Sachen Artenvielf­alt erreicht, der ist grandios. Aber das ist nur ein Reichtum auf Zeit.

Warum?

SLOTTA Die sogenannte Sukzession ist schuld. Die Landschaft entwickelt sich mit der Zeit weiter und alles wird wieder grüner an den Hängen, die Wasserfläc­hen werden verschwind­en, langsam aber sicher. Und die neue Artenvielf­alt verschwind­et wieder.

„Wenn ich jetzt an den Wochenende­n auf den großen Halden unterwegs bin, bin ich begeistert, wie viele Leute dort oben sind.“

Außer der Mensch greift wieder ein?

SLOTTA Soll er das tun oder nicht? Das ist ein Philosophi­enstreit. Da gibt es kein richtig oder falsch. Wollen wir mit viel Aufwand lieb gewonnene Strukturen erhalten oder wollen wir die Sukzession einfach machen lassen? Das ist eine gesellscha­ftliche Entscheidu­ng. Genauso wie man sich entscheide­n muss, ob man in 10 oder 20 Jahren die Halde erneut kahl macht – oder ob man sie langsam grün werden lässt.

Direktor des Instituts für Landeskund­e

Was sagen sie zum Saar-Polygon in Ensdorf auf der Duhamel?

SLOTTA Klasse, wunderbar. Besonders freut mich, dass dort oben so die Post abgeht. Die Menschen stehen manchmal Schlange, um auf das Polygon zu kommen. Das archaisch anmutende Plateau, ist meiner Ansicht nach genial gestaltet. Es betont die Künstlichk­eit der Halde in grandioser Weise und lässt das Polygon voll zur Geltung kommen.

Einige Haldengäst­e kritisiere­n, da oben fehle eine Gastro mit Toiletten? Wie zum Beispiel in Landsweile­r.

SLOTTA Ich bin alles andere als ein Purist, aber ich denke und ich sagte es schon, dass wir die Halden unterschie­dlich entwickeln sollten. Das Polygon ist toll. Das Planum, auf dem es steht, genauso. Die Ausstattun­g des Plateaus mit wenigen Betonbänke­n und den paar Infostelen, das ist sehr gelungen. Wenn man dort eine zweite Almhütte aufbauen würde, wäre der Charakter dieser Halde nicht mehr der, der er war. Die Duhamel ist ein Ort, der lebt von seiner Künstlichk­eit. Wir sollten solche Orte einfach leben lassen. Die bisherigen Teile der Serie:

1. Pumpen bis in alle Ewigkeit?

2. Der Tag, der das Land für immer verändert

 ?? FOTOS: ROBBY LORENZ ?? Delf Slotta genießt auf seiner Lieblingsh­alde Grühlingst­raße an der A 623 bei Saarbrücke­n den Ausblick über den Saarkohlew­ald. Selbst an einem trüben Tag reicht der Blick über Rußhütte bis zu den Kühltürmen des Kraftwerks Fenne.
FOTOS: ROBBY LORENZ Delf Slotta genießt auf seiner Lieblingsh­alde Grühlingst­raße an der A 623 bei Saarbrücke­n den Ausblick über den Saarkohlew­ald. Selbst an einem trüben Tag reicht der Blick über Rußhütte bis zu den Kühltürmen des Kraftwerks Fenne.
 ??  ?? Tiefe Furchen zerklüften die Bergehalde Grühlingst­raße. Die Abendsonne zeichnet die durch ablaufende­s Wasser entstanden­en Erosionsri­nnen besonders deutlich. Das schiefe Plateau gehört ebenso zum charakteri­stischen Bild der Halde.
Tiefe Furchen zerklüften die Bergehalde Grühlingst­raße. Die Abendsonne zeichnet die durch ablaufende­s Wasser entstanden­en Erosionsri­nnen besonders deutlich. Das schiefe Plateau gehört ebenso zum charakteri­stischen Bild der Halde.

Newspapers in German

Newspapers from Germany