„Wir sollten solche Orte einfach leben lassen“
Bergbau-Experte Delf Slotta spricht über blühende Halden-Landschaften, das komplexe Industriekultur-Erbe und die Saarländer.
Herr Slotta, Sie sind Direktor des Instituts für Landeskunde im Saarland, beschäftigen sich seit mehr als 30 Jahren in verschiedenen Funktionen mit der Industriekultur der Großregion, bieten auch Führungen über saarländische Halden an. Welchen Haldenbesuch empfehlen Sie?
SLOTTA Meine Lieblingshalde ist die Grühlingstraße. Sie ist klein, steht wunderbar solitär; sie ist toll gestaltet und sie bietet eine wahnsinnige Rundumsicht. Dann die Lydia in Camphausen-Fischbach. Sie ist für Offenlandmenschen und für Waldmenschen ein reizvolles Ziel. Meine dritte Lieblingshalde ist Göttelborn: Weil sie so groß ist. Dort merkt man, welche Macht und Kraft die Bergbau-Industrie einst hatte. Meine vierte Lieblingshalde ist die Halde Duhamel in Ensdorf. Ich halte es für ein Geschenk, dass das Polygon jetzt dort steht und das Umfeld so genial gestaltet ist.
Wir sind hier am Fuße der Halde Reden. Nicht ihre Lieblingshalde?
SLOTTA Nein. Aber ich mag sie. Ich kenne diese Halde schon lange – etwa seit 1980. Ich habe zu ihr eine spezielle Beziehung.
Was macht sie speziell?
SLOTTA Jahrelang haben wir versucht, sie den Menschen nahe zu bringen. Wir haben eine Unmenge an Führungen dort hoch gemacht, haben erklärt, warum die Halde so toll ist, ihre besondere Vegetation, ihre großartigen Ausblicke. Doch die Menschen kamen zumeist nur sehr sporadisch. Das war manchmal etwas enttäuschend.
Und dann sind andere Menschen gekommen. Ganz konkret: der Saarländische Rundfunk mit Eberhardt Schilling.
SLOTTA Ja, er hatte die Idee, dort oben die Post abgehen zulassen, die SR3-Sommeralm zu veranstalten. Die Idee hat gezündet. 2017 waren an den zehn Almtagen über 30 000 Menschen oben.
Finden Sie das gut?
SLOTTA Ein klares Ja. Das Ergebnis ist doch das Entscheidende. Die Leute sind nun endlich dort, wo wir sie hinhaben wollten: auf der Halde. Dass jetzt regelmäßig Events stattfinden, dass dort ein Naherholungsgebiet ist, dass sich die Halde geradezu zu einer kleinen touristischen Destination entwickelt hat, ist doch klasse. Das braucht das Land.
Wie viele Führungen haben Sie in Ihrem Leben denn schon auf die saarländischen Halden angeboten?
SLOTTA Ich mache das jetzt seit etwa 35 Jahren. Wohl um die 1500 Führungen. Mal kommen zehn, mal 50, mehrfach hatte ich um die 200 Teilnehmer. Manchmal hat es den Charakter einer kleinen Volkswanderung, manchmal ist es eine ganz überschaubare, persönliche Geschichte.
Hat sich das Publikum im Lauf der Jahre verändert?
SLOTTA Am Anfang kamen die Insider, viele Bergleute. Dann kamen spürbar immer mehr Frauen zu den Führungen, mittlerweile auch immer mehr Jugendliche. Das Publikum ist bunt gemischt.
Mit welchen Zielen kommen die Menschen auf die Halden?
SLOTTA Ganz unterschiedlich. Es kommen Menschen aus der näheren Umgebung, um einfach mal zu hören, was der da so erzählt, die wissen wollen, welche „Geheimnisse“ihr „Hausberg“in sich trägt. Andere wollen sich einfach nur an der frischen Luft umtun. Und dann gibt es die mit ganz klaren Motiven: Fotografen zum Beispiel. Von wo lässt sich das beste Foto schießen? Auch Biologen, Geologen. Der Ingenieur, der wissen will, wie die Schrägaufzüge funktioniert haben. Jeder hat so seinen eigenen Fragenkatalog, den er im Laufe der Touren auspackt.
Die Saarländer sind an ihre Halden gewöhnt. Erkennen sie die Berge auch als was Besonderes an?
SLOTTA Das ist ein langer Prozess. Früher galten Halden ausschließlich als Landschaftsschäden. Dazu kam, dass die Menschen von den Halden ausgesperrt waren. Man kam eh nicht hin. Entsprechend hat sich keiner darum gekümmert. Als dann die ersten Halden geöffnet wurden und die ersten Menschen da hoch gingen, stand auch eher weniger der Erholungsaspekt im Mittelpunkt.
Sondern?
SLOTTA Die Menschen, zum Beispiel die aus Quierschied, aus Fischbach, aus Dudweiler, die wohnten in ihren Siedlungen. Wenn sie mal raus wollten, gingen sie in der Regel in den Wald. Und nun stand dort diese Halde, auf die man endlich drauf konnte. Das war etwas Neues, etwas Spannendes, etwas Anderes. Am Anfang waren es nur wenige Neugierige, die auf die Halden gingen.
Heute sind sehr viele Menschen auf den Halden.
SLOTTA Richtig los ging es um das Jahr 2000 mit der Entwicklung des Projektes Regionalpark Saar, das die Halden stark in den Mittelpunkt der Landschaftsentwicklung stellte. Damals haben wir auch angefangen, den Menschen die Halden systematisch zu zeigen. Im wahrsten Sinne des Wortes haben wir Wege gezeigt,
wie man hochkommt.
Die Halden wurden und werden neu gestaltet, verlieren teilweise ihr Grün.
SLOTTA Das ist ein wichtiger Punkt: Man hat die Halden nunmehr nicht wie früher zuwachsen lassen. Man hat sie zumindest in Teilen offen gehalten. Das war für die Menschen offenbar eine attraktive Einladung. Wenn ich jetzt an den Wochenenden auf den großen Halden unterwegs bin, bin ich begeistert, wie viele Leute dort oben sind.
Woher kam dieser Sinneswandel? Weg von den bewaldeten hin zu den offenen Halden?
SLOTTA Es war eine logische Überlegung. Als man in den 1980er, 1990ern die Halden klassisch rekultiviert hat, galt die heute immer noch richtige Gleichung „Grün gleich gut; Wald gleich gut“. Als wir das Regionalpark-Projekt mit vielen Partnern auf den Weg gebracht hatten, ging es auch darum, die Relikte des Bergbaus sichtbar zu halten. Nicht nur Gebäude. Auch die Halden.
Von Menschenhand erschaffene Berge.
SLOTTA Ja, wir wollten, dass sie als künstliche Elemente in der Landschaft sichtbar bleiben. Außerdem: Wenn man von einer Halde runterschauen und was sehen will, muss man zumindest einen freien, oberen
Delf Slotta
Bereich haben. Ich finde, das Betonen des Künstlichen passt auch in unsere Zeit. Wir sind vor allem deshalb mit dem Ergebnis zufrieden, weil die Menschen die Halden offensichtlich jetzt wertschätzen.
Die ja auch nicht alle kahl sind?
SLOTTA Ja, da gibt es beträchtliche graduelle Unterschiede, die gewollt sind: Die Göttelborner Halde ist nur halb offen. Die Halde in Ensdorf ist fast komplett kahl. Die Viktoria in Püttlingen ist bis auf einen kleinen Gipfelbereich komplett bewachsen. Ich denke, wir haben einen sehr schönen und intelligenten Umgang mit den Halden gefunden, indem wir mit ihren spezifischen Eigenarten unterschiedlich umgegangen sind.
Welche Gefahren bergen solche Halden? In 30, 40 Jahren? Sie sind ja nichts anderes als Ewigkeitslasten.
SLOTTA Ich vermag das nicht im Einzelnen einzuschätzen. Es gibt auf Halden alles: Brände, Rutschungen, Steinschlag. Halden erzeugen Schatten. Manche stören sich an ihnen und fordern, dass sie rückgebaut werden. Mikroklimatische Verhältnisse verändern sich. Aber: Überall, wo der Mensch eingreift, verändern sich die Verhältnisse.
Sind Halden Problemberge?
SLOTTA Wenn man mal davon absieht, dass Sanierungen Geld kosten, denke ich nein. Zum Beispiel der Brennende Berg in Dudweiler. Das ist zwar keine Halde, dort brennt aber seit 400 Jahren ein Flöz. Das ist ein Landschaftsschaden. Dort entweichen Gase in die Umwelt. Es entstehen Hohlräume. Das Ganze ist vielleicht ein wenig unsicher an manchen Stellen. Aber es hat auch was Mystisches, etwas, was es anderswo nicht gibt. Viele Menschen lieben ja solche Orte. Sowas gibt es in der „natürlichen“Natur nicht. Die Industrienatur ist ein eigenes Kapitel, für mich wertvolles Kapital. Ich halte zum Beispiel den saarländischen Haldenrundweg für einen der attraktivsten Wanderwege in Deutschland. Rund 50 Kilometer lang, sie brauchen zwei, drei Tage, aber er ist so facetten- und bilderreich, das finden sie selten.
Wie viele Halden gibt es im Saarland?
SLOTTA Ich habe 1982 als Student angefangen, mich systematisch mit Halden zu beschäftigen, schrieb meine Diplomarbeit in Geografie über die Halden und Absinkweiher im Saarland. Ich habe damals etwa 70 größere Halden bearbeitet. Es gibt aber noch ganz, ganz viele Kleinhalden. Ich vermag es nicht zu sagen. Es sind unsagbar viele. Gerade vergangene Woche habe ich eine in Heinitz gefunden, die ich noch nicht kannte.
Halden stehen oft im Mittelpunkt des Zweikampfes der Natur mit den Hinterlassenschaften der Bergbauindustrie. Eine Natur, die ganz anders ist, als die, die den Saarländer sonst so umgibt.
SLOTTA Sagen wir es so, hier kann es in der Tat zu Spannungen kommen. Warum? Unsere Halden und Absinkweiher sind Extremstandorte. Die Halden sind beispielsweise gekennzeichnet durch äußerst magere Böden, auf denen zunächst mal wenig wächst, teilweise haben wir extreme Temperaturen auf Halden. Weiher – sprich Wasserflächen – kommen in unseren saarländischen Landschaften eigentlich nicht vor. Die Absinkweiher des Bergbaus sind damit „raumfremde“Landschaftsbestandteile.
Ganz neue Umweltbedingungen und neue Ökosysteme?
SLOTTA Ja, auf dort sind im Lauf der Jahrzehnte Biotope entstanden, die wir im Saarland bisher nicht hatten. Darunter sind seltene „Geschichten“, Rote-Liste-Arten. Amphibien und Libellen. Wir haben derzeit viele Flächen, die haben einen Status Quo in Sachen Artenvielfalt erreicht, der ist grandios. Aber das ist nur ein Reichtum auf Zeit.
Warum?
SLOTTA Die sogenannte Sukzession ist schuld. Die Landschaft entwickelt sich mit der Zeit weiter und alles wird wieder grüner an den Hängen, die Wasserflächen werden verschwinden, langsam aber sicher. Und die neue Artenvielfalt verschwindet wieder.
„Wenn ich jetzt an den Wochenenden auf den großen Halden unterwegs bin, bin ich begeistert, wie viele Leute dort oben sind.“
Außer der Mensch greift wieder ein?
SLOTTA Soll er das tun oder nicht? Das ist ein Philosophienstreit. Da gibt es kein richtig oder falsch. Wollen wir mit viel Aufwand lieb gewonnene Strukturen erhalten oder wollen wir die Sukzession einfach machen lassen? Das ist eine gesellschaftliche Entscheidung. Genauso wie man sich entscheiden muss, ob man in 10 oder 20 Jahren die Halde erneut kahl macht – oder ob man sie langsam grün werden lässt.
Direktor des Instituts für Landeskunde
Was sagen sie zum Saar-Polygon in Ensdorf auf der Duhamel?
SLOTTA Klasse, wunderbar. Besonders freut mich, dass dort oben so die Post abgeht. Die Menschen stehen manchmal Schlange, um auf das Polygon zu kommen. Das archaisch anmutende Plateau, ist meiner Ansicht nach genial gestaltet. Es betont die Künstlichkeit der Halde in grandioser Weise und lässt das Polygon voll zur Geltung kommen.
Einige Haldengäste kritisieren, da oben fehle eine Gastro mit Toiletten? Wie zum Beispiel in Landsweiler.
SLOTTA Ich bin alles andere als ein Purist, aber ich denke und ich sagte es schon, dass wir die Halden unterschiedlich entwickeln sollten. Das Polygon ist toll. Das Planum, auf dem es steht, genauso. Die Ausstattung des Plateaus mit wenigen Betonbänken und den paar Infostelen, das ist sehr gelungen. Wenn man dort eine zweite Almhütte aufbauen würde, wäre der Charakter dieser Halde nicht mehr der, der er war. Die Duhamel ist ein Ort, der lebt von seiner Künstlichkeit. Wir sollten solche Orte einfach leben lassen. Die bisherigen Teile der Serie:
1. Pumpen bis in alle Ewigkeit?
2. Der Tag, der das Land für immer verändert