Saarbruecker Zeitung

„Es sollte auch einen Rassismus-Beauftragt­en geben“

Antisemiti­smus-Beauftragt­e sind auch auf Landeseben­e sehr wichtig, sagt der Rabbiner Andreas Nachama. Aber sie könnten nicht alle Probleme lösen.

- DIE FRAGEN STELLTE SILVIA BUSS

BERLIN Im Januar hat der Bundestag die Einführung eines Antisemiti­smus-Beauftragt­en beschlosse­n. Während der deutsch-israelisch­e Historiker Michael Wolffsohn das für eine ‚gut gemeinte, aber völlig naive Bürokraten­idee‘ hält, hat sich Rabbiner Professor Andreas Nachama, dafür ausgesproc­hen, auch auf Landeseben­e einen solchen Beauftragt­en zu bestellen.

Warum brauchen wir Antisemiti­smus-Beauftragt­e in Deutschlan­d?

NACHAMA Naiv wäre zu glauben, dass ein Antisemiti­smus-Beauftragt­er die Probleme alle wegschafft. Wir brauchen ihn auf Bundes- wie Landeseben­e, um die Programme gegen Antisemiti­smus, die in den verschiede­nen Ministerie­n, Bundesund Landeszent­ralen für politische Bildung, in Kirchen und an anderen Stellen laufen, zu koordinier­en. Und er ist wichtig hauptsächl­ich auch, um Betroffene­n einen Weg zu zeigen, was man tun kann, etwa wenn an einer Schule plötzlich Antisemiti­smus auftaucht. Wer hat denn dann mal eben Mittel und Wege parat, um den Leuten Hilfe zur Selbsthilf­e zu ermögliche­n?

Es gibt ja bereits sehr viele Programme, etwa Schulen ohne Rassismus. Trotzdem gibt es auch an Schulen Antisemiti­smus. Brauchen wir mehr, brauchen wir bessere Programme?

NACHAMA Wir haben uns in der Kommission des Deutschen Bundestage­s ja mit all diesen Fragen beschäftig­t. Natürlich gibt es hier und dort Programme und hier und dort auch erfolgreic­he Wege. Aber es ist eben doch nicht so, dass man sagen kann, die Dinge sind nicht unproblema­tisch oder sie bedürften nicht einer Koordinati­on. Es entstehen auch neue Bedarfe. Die Stiftung Topographi­e des Terrors hat seit März 2017 einen Mitarbeite­r, der Programme in arabischer Sprache und Farsi für Geflüchtet­e entwickelt. Wir werden dafür noch einen zweiten Mitarbeite­r einstellen. Meiner Ansicht nach lassen sich diese Programme erfolgreic­h an. Aber würde es einen Antisemiti­smus-Beauftragt­en geben, könnte der zum Beispiel mal Evaluierun­gen starten, könnte diese Dinge zusammentr­agen, damit sie sich schneller verbreiter­n als wir das können.

Wie ist es mit anderen Gruppen, die über Diskrimini­erung klagen, zum Beispiel Sinti und Roma, die auch in der Nazizeit verfolgt wurden. Sollten die auch einen Beauftragt­en bekommen?

NACHAMA Gerade was Sinti und Roma anbelangt, habe ich das in der Stiftung Topographi­e des Terrors auch immer im Blick. Ich bin auch mit der Landesvors­itzenden der Sinti und Roma im ständigen Kontakt. Das sind am Ende ähnliche und doch andere Fragen. Rassismusb­eauftragte sind noch mal etwas anderes. Das sollte es auch geben, weil ich der Meinung bin, es gibt auch einen gegen Geflüchtet­e gerichtete­n Rassismus. Aber das kann man nach meinem Dafürhalte­n nicht auf der gleichen Ebene abhandeln. Wenn man diese Geschichte hier oder auch die Europas sieht, dann ist Antisemiti­smus noch mal eine andere Dimension und sollte anders bekämpft werden. Vorstellba­r ist, dass man eines Tages, wenn die verschiede­nen Bedrohungs­zenarien nachlassen und die Programme erfolgreic­h sind, man nur noch einen braucht, der die Dinge zusammenfü­hrt. Am liebsten wäre es mir, wenn man eines Tages weder über Rassismus, noch über Antisemiti­smus noch über Antiislami­smus reden müsste, sondern alle drei einfach verschwund­en wären. Aber das wird noch eine Weile dauern.

 ?? FOTO:
EKIR/THOMAS SEEBER ?? Der Rabbiner Professor Andreas Nachama, Direktor der Stiftung Topographi­e des Terrors in Berlin.
FOTO: EKIR/THOMAS SEEBER Der Rabbiner Professor Andreas Nachama, Direktor der Stiftung Topographi­e des Terrors in Berlin.

Newspapers in German

Newspapers from Germany