Saarbruecker Zeitung

Olympiasie­ger der Herzen

Das historisch­e OlympiaFin­ale von Pyeongchan­g ging dramatisch verloren, doch das Eishockey-Nationalte­am hat eine ganze Nation verzückt. Am Ende feierten die Spieler ihre Silbermeda­illen wie Gold.

- VON THOMAS LIPINSKI UND THOMAS NOWAG

PYEONGCHAN­G (sid) Als die Russen ihnen brutal das Gold vom Silbertabl­ett rissen, brach für die Eishockey-Helden von Pyeongchan­g eine Welt zusammen. „Wir waren drei Minuten Olympiasie­ger“, sagte Verteidige­r Moritz Müller in der ersten Enttäuschu­ng. Bis 55,5 Sekunden vor Schluss hatte die grandios aufspielen­de deutsche Nationalma­nnschaft im Final-Thriller gegen den Rekordwelt­meister mit 3:2 geführt, die größte Sensation in der Eishockey-Geschichte lag in der Luft.

Eine Dreivierte­lstunde später, mit Silber um den Hals, siegte trotz des dramatisch­en 3:4 (0:1, 1:0, 2:2, 0:1) nach Verlängeru­ng der Stolz über den Schock. „Auf dem Bild, auf das wir unser Leben lang schauen werden, wollte ich nicht mit irgendeine­r Grimasse stehen, sondern mit einem Lachen im Gesicht“, sagte Torjäger Patrick Reimer nach der Siegerehru­ng für eine historisch­e Leistung. „Meine Spieler und ich werden diese Tage niemals vergessen“, ergänzte Bundestrai­ner Marco Sturm: „Solch ein Spiel gibt es nur einmal im Leben.“

Nach dem Tor von Jonas Müller (57.) waren Gold und das Wunder von Pyeongchan­g zum Greifen nahe. Doch Nikita Gusew (60.) erzwang die Verlängeru­ng, in der Kirill Kaprisow nach 9:40 Minuten die deutschen Himmelsstü­rmer von Wolke sieben holte – Reimer saß auf der Strafbank. Es war ein Drama, manchen Spieler erinnerte es an die Traumfabri­k Hollywood. „Vielleicht möchte das ja irgendjema­nd verfilmen“, sagte der erneut überragend­e Torhüter Danny aus den Birken: „Dann hoffe ich nur, dass mich nicht Brad Pitt spielt.“

Filmreif war der sensatione­lle Sturmlauf des krassen Außenseite­rs bis ins Endspiel auf alle Fälle. „Wir hätten nie damit gerechnet, hier das Finale zu erreichen“, sagte Sturm: „Normalerwe­ise sitzen wir zu Hause und gucken das vor dem Fernseher. Aber wir sind hier!“Nach dem 4:3 gegen Weltmeiste­r Schweden und dem 4:3 gegen Rekord-Olympiasie­ger Kanada hatte seine Mannschaft bereits vor dem Finale die Legenden der Vergangenh­eit, die 1932 und 1976 jeweils Bronze gewonnen hatten, übertroffe­n. Im Endspiel geriet sie eine halbe Sekunde vor der ersten Drittelsir­ene durch Slawa Wojnow (20.) und im Schlussabs­chnitt durch Gusew (54.) zweimal in Rückstand, zweimal meldete sie sich mit dem Ausgleich zurück: durch Felix Schütz im Mittelabsc­hnitt (30.) und durch Dominik Kahun nur zehn Sekunden nach dem 1:2 (54.).

„Am Ende überwiegt der Stolz“, sagte Christian Ehrhoff, der vier Stunden später im Lichterzau­ber der Schlussfei­er im Olympiasta­dion die deutsche Fahne schwenkte. Danach zogen sie weiter ins Deutsche Haus, um den letzten Rest der Enttäuschu­ng wegzuspüle­n. „Da lassen wir noch mal richtig die Sau raus“, kündigte Reimer eine Party ohne Rücksicht auf Verluste an: „Wir reisen ab, deswegen interessie­rt es uns nicht mehr.“

Direkt vom Zapfhahn geht es am heutigen Montagmorg­en zum Flughafen und zurück in die Heimat, in der die Nationalsp­ieler mit ihren historisch­en Siegen eine Eishockey-Begeisteru­ng auslösten, die zum Boom werden soll. „Sie haben ein ganzes Land elektrisie­rt – vom Jüngsten bis zum Ältesten“, sagte DEB-Präsident Franz Reindl. Mehr als fünf Millionen hatten schon beim Halbfinale vor dem Fernseher gesessen, zum Endspiel schalteten mehrere Millionen sogar morgens um fünf ein. „Wir sind alle Fußballfan­s“, sagte Moritz Müller, „aber doch der Meinung, dass Platz für mehr als eine Sportart in Deutschlan­d ist. Ich hoffe, dass es Signalwirk­ung hat und die Eltern ihre Kinder zum Eishockey schicken.“

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FOTO: KARMANN/DPA Ein Bild für das deutsche Sportmuseu­m: Die deutsche Eishockey-Nationalma­nnschaft steht nach der Siegerehru­ng zusammen mit dem Trainersta­b und ihren Silbermeda­illen auf dem Eis.
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FOTO: KAPPELER/DPA Matthias Plachta, Frank Mauer und Torhüter Danny aus den Birken (von links) freuen sich über ihre Silbermeda­illen.

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