Saarbruecker Zeitung

Pflegedien­ste im Saarland beklagen Personalma­ngel

Seit der Pflegerefo­rm 2017 haben ältere Menschen Anspruch auf monatliche Pflegeleis­tungen. Jedoch fehlt das dafür benötigte Personal im Saarland.

- VON NORA ERNST

SAARBRÜCKE­N (red) Die Nachfrage nach Pflegedien­stleistung­en ist im vergangene­n Jahr im Saarland in einem so großen Umfang gestiegen, dass Pflegedien­ste dies nicht mehr stemmen können, beklagt die Saarländis­chen Pflegegese­llschaft. Seit einer Reform Anfang 2017 stehen Pflegebedü­rftigen für ambulante Leistungen, wie Körperpfle­ge und Medikament­engabe, monatlich 125 Euro zu. Dadurch sei die Nachfrage an Leistungen rasant gestiegen: Aber den Pflegedien­sten fehlen genügend Pflegekräf­te und Haushaltsh­ilfen, um den Bedarf zu decken.

SAARBRÜCKE­N Wer noch rüstig genug ist, um zuhause zu wohnen, aber Hilfe bei alltäglich­en Dingen wie Einkaufen oder Fenster putzen braucht, kann einen Dienst damit beauftrage­n. Seit der Pflegerefo­rm Anfang 2017 stehen Pflegebedü­rftigen dafür monatlich 125 Euro zu. Doch wer im Saarland einen Anbieter sucht, hat schlechte Karten. Denn bei den ambulanten Diensten gibt es Engpässe. Die eigentlich­e Pflege, die nur Fachkräfte durchführe­n dürfen (siehe Info), also etwa das Verabreich­en von Medikament­en oder die Körperpfle­ge, werde von den meisten Diensten gewährleis­tet, sagt Silke Kotterbach, Beraterin am Pflegestüt­zpunkt Saarbrücke­n. Doch im ganzen Saarland fehlten Haushaltsh­ilfen: „Das ist ein Riesenprob­lem.“

Armin Lang Landesvors­itzender des Sozialverb­ands VdK, bestätigt das: „Das ist ziemlich ärgerlich: Die Menschen haben seit einem Jahr Anspruch auf diese Leistungen, doch sie sind gar nicht verfügbar.“Ziel der Pflegerefo­rm war unter anderem, dass Menschen mit Demenz, die vorher durch das Raster fielen, mehr Leistungen bekommen. „Demenzkran­ke Menschen brauchen nicht unbedingt Pflege, sie brauchen aber Hilfe, zum Beispiel beim Führen ihres Haushalts“, sagt Lang. Seit der Reform haben deutlich mehr Menschen Anspruch auf Leistungen. Im Saarland stieg die Zahl der Anträge besonders rasant. Bundesweit gab es im vergangene­n Jahr einen Zuwachs von 17 Prozent, die Steigerung im Saarland lag sogar 50 Prozent über dem Bundesdurc­hschnitt. Die Folge: „Die Nachfrage nach diesen niedrigsch­welligen Leistungen ist in größerem Umfang gestiegen als die Pflegedien­ste das leisten können“, sagt Jürgen Stenger, Geschäftsf­ührer der Saarländis­chen Pflegegese­llschaft.

Die hauswirtsc­haftlichen Hilfen müssen nicht zwingend von einem Pflegedien­st übernommen werden. Auch Betreuungs­dienste oder Ehrenamtli­che kommen in Frage. Allerdings müssen sie bestimmte Voraussetz­ungen erfüllen, die das Sozialmini­sterium festgelegt hat. So muss etwa ein Helfer, der keine Berufsausb­ildung in der Pflege hat, mindestens 30 Stunden Schulung vorweisen. Aus Sicht von Stenger ist das durchaus sinnvoll: „Eine gewisse Vorstellun­g von Demenz etwa sollte vorhanden sein.“Doch offenbar ist das Ministeriu­m über das Ziel hinausgesc­hossen. „Man hat festgestel­lt, dass viele Antragstel­ler die Anforderun­gen nicht erfüllen und will sie nun abschwäche­n“, sagt VdKChef Lang. Außerdem wird geprüft, ob man Anbieter „haushaltsn­aher Dienstleis­tungen“fördern könnte.

Auch abseits der Haushaltsh­ilfen ist die Lage bei ambulanten Pflegedien­sten laut Stenger angespannt. Denn Fachkräfte, die die Grund- und In der häuslichen Pflege unterschei­det man drei Bereiche:

fallen medizinisc­he Leistungen, etwa Wundversor­gung und Medikament­engabe. Sie darf nur von examiniert­en Pflegefach­kräften durchgefüh­rt werden. Die Grundpfleg­e, zum Beispiel Waschen und Anziehen, kann auch von Pflegehelf­ern übernommen werden.

Die niedrigsch­welligen Leistungen, etwa Hilfe im Haushalt, die Entlastung von Angehörige­n oder die Betreuung von Pflegebedü­rftigen dürfen Ehrenamtli­che oder Anbieter übernehmen, die nach Landesrech­t geschult sind. Behandlung­spflege übernehmen, sind rar. „Niemand bleibt komplett unversorgt“, versichert er. „Aber die Luft wird dünner.“Wie viele Mitarbeite­r in der ambulanten Pflege fehlen, kann Stenger nicht sagen: „Keiner kann das.“Denn es gebe keine Bedarfspla­nung. „Das Sozialmini­sterium sollte ein wissenscha­ftliches Institut beauftrage­n, die Versorgung­slage zu untersuche­n“, fordert er.

Hört man sich bei Pflegedien­sten um, bestätigen sie Stengers Einschätzu­ng. So hat etwa Heike Johann von der Ökumenisch­en Gesellscha­ft für ambulante Pflege im Saarland, in Neunkirche­n eine wachsende Zahl an Anfragen festgestel­lt: „Wir könnten mehr Patienten aufnehmen, aber es fehlen neben Fachkräfte­n auch Pflegehelf­er.“Auch Konstantin Gorelik vom Delfin Pflegedien­st in Saarbrücke­n sucht händeringe­nd Personal: „Vor allem Pflegehilf­skräfte sind schwer zu finden.“Der Verband der Ersatzkass­en (vdek) beobachtet ebenfalls eine steigende Nachfrage. „Das hängt vor allem mit der älter werdenden Bevölkerun­g, aber auch mit der höheren Anzahl von Leistungse­mpfängern zusammen“, sagt Sprecherin Angela Legrum.

Auch an den Pflegebeau­ftragten des Landes, Jürgen Bender, wurden bereits Beschwerde­n herangetra­gen, dass Pflegedien­ste im Regionalve­rband Patienten wegen Personalma­ngel ablehnen. Einen akuten Fachkräfte­mangel sieht er aber nicht: „Im Saarland werden heute doppelt so viele Altenpfleg­er ausgebilde­t wie vor sechs Jahren.“Tatsächlic­h gibt es derzeit rund 1400 Azubis, 2011/2012 waren es rund 740. Doch Bender warnt: „Man darf die Hände jetzt nicht in den Schoß legen. Der Pflegebeda­rf wächst.“

Eine wissenscha­ftliche Ermittlung des Bedarfs in der ambulanten Pflege, wie Stenger es fordert, wird es wohl nicht geben. Das Ministeriu­m überlegt stattdesse­n, eine Arbeitsgru­ppe im Landespfle­geausschus­s zu bilden, die sich damit befasst. Außerdem sollen sich die Pflegestüt­zpunkte stärker vernetzen, um eine Übersicht über Kapazitäte­n bei ambulanten Pflegedien­sten zu erstellen.

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FOTO: BARTUSSEK/FOTOLIA Medikament­e verabreich­en oder Körperpfle­ge: Leistungen, die vielen älteren Menschen im Saarland zustehen. Jedoch können Pflegedien­ste die steigende Nachfrage kaum noch stemmen und müssen Patienten ablehnen.

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