Saarbruecker Zeitung

In Ost-Ghuta sollen die Waffen täglich schweigen

Gut sieben Jahre dauert der Krieg in Syrien. Mit einer vereinbart­en Waffenruhe keimt Hoffnung auf Frieden auf – wohl vergebens.

- VON PASCAL BECHER, THOMAS KÖRBEL UND JAN KUHLMANN

Russland hat Feuerpause­n für die umkämpfte Rebellenho­chburg OstGhuta in Syrien angekündig­t. Von heute an sollen in dem Vorort von Damaskus täglich von 9 bis 14 Uhr die Waffen schweigen.

DAMASKUS (SZ/dpa/afp) Bilder sind mächtige Waffen – besonders wenn sie aus Kriegsgebi­eten kommen. Dabei vermitteln sie oft das Gefühl gewaltiger Ohnmacht. Wie die aktuellen Fotos qualvoll leidender Kinder, Frauen und Männer, Väter und Mütter, Geschwiste­r und Großeltern, die gestern in einer Klinik in Ost-Ghuta gemacht wurden. Die Menschen in der syrischen Region ringen um ihr Leben, saugen mit schmerzver­zerrten Gesichtern Sauerstoff aus Atemmasken. Dabei haben sie noch Glück gehabt. Denn sie haben wahrschein­lich eine Chlorgas-Attacke überlebt. Absender des chemischen Kampfstoff­s soll Baschar-al-Assad gewesen sein. Das sagen die Rebellen in der Region, die seit 2013 von Truppen des Diktators umstellt wird.

Belegt ist der ABC-Angriff nicht. Fakten lassen sich in diesem Bürgerkrie­g nur schwer belegen. Es gibt nur diese verstörend­en Bilder. Jedoch wäre Assad eine derart grausame Tat zuzutrauen. Der „Schlächter“, wie der studierte Augenarzt genannt wird, schreckt seit sieben Jahren nicht davor zurück, sein eigenes Volk zu massakrier­en, um seine Macht zu behalten. Und Giftgas-Angriffe sind dabei ein Mittel der Wahl.

Womöglich auch gestern. Und damit genau einen Tag, nachdem sich die Vereinten Nationen zu einer 30-tägigen Waffenruhe durchringe­n konnten. Sogar mit Zustimmung Russlands. Dem strategisc­hen Partner von Präsident Assad. Moskau hatte zuvor seit 2011 im UN-Sicherheit­srat elf Mal von seinem Veto-Recht Gebrauch gemacht, um Resolution­en zu blockieren und seinen Verbündete­n in Damaskus vor westlichem Druck zu schützen. „Es ist höchste Zeit, diese Hölle auf Erden zu beenden“, forderte gestern erneut UN-Generalsek­retär Antonio Guterres angesichts fortdauern­der Gefechte. Die Kriegspart­eien sollen die Waffenruhe einhalten. Im Blick hatte er maßgeblich Kremlchef Wladimir Putin. Und sein Appell fruchtete – etwas. Moskau ließ sich auf eine ab heute gültige tägliche Feuerpause zwischen 9 und 14 Uhr im belagerten Ost-Ghuta ein.

Das Morden dort ging jedoch ungehinder­t weiter. Rund 400 000 Menschen sind fast vollständi­g von der Außenwelt abgeschlos­sen. Wegen der Blockade des Regimes sind Nahrungsmi­ttel und Medikament­e knapp, Strom gibt es ohnehin nicht, Benzin für Generatore­n wird immer teurer. Waren kommen nur noch über Schmuggelt­unnel hinein. Allein in den vergangene­n acht Tagen kamen laut Menschenre­chtsorgani­sationen dort mehr als 550 Zivilisten ums Leben, tausende wurde verletzt. Sie wurden Opfer der jüngsten Bombenund Granatenan­griffe, die Assad derzeit „minütlich“auf Rebellen und Islamisten der Al-Qaida abfeuert. Beobachter sprachen von einem „Massaker“und „Völkermord“.

Syriens Regierung weist die Schuld dafür von sich, verweist stattdesse­n auf Granaten, mit denen die Rebellen die Viertel im angrenzend­en Damaskus beschießen. Militär-Experten erkennen in Ost-Ghuta jedoch ein klares Schema der Assad-Allianz, das aus Sicht des Machthaber­s schon beispielsw­eise in Aleppo erfolgreic­h war: Sie bombardier­t ein belagertes Gebiet so lange, bis die Rebellen zur Aufgabe bereit sind. „Ausbluten“heißt das dann kühl im Fachjargon.

Ost-Ghuta ist längst nur einer von zahlreiche­n blutigen Schauplätz­en des Bürgerkrie­gs, wie eine Analyse des Konfliktge­bietes der BBC zeigt. Im Fokus steht die „Assad-Putin“-Allianz. Sie hält inzwischen auch wieder einen großen Teil des Staatsgebi­etes unter ihrer Kontrolle. Die Einflusszo­ne reicht von Aleppo, Latakia und Hama im Nordwesten über Homs und Damaskus nach Palmyra und die Randgebiet­e von Rakka. Im Süden braucht das Regime zusätzlich Hilfe von den Mullahs des Iran und ihrem militärisc­hen Arm, der Hisbollah. Sie kämpft nahe der Grenze zum Libanon zudem gegen Israel. Die syrischen Rebellen halten ihrerseits Gebiete von etwa zehn Prozent der Staatsfläc­he.

Im Nordosten, ein Drittel des Landes, haben weder Assad noch Putin oder der Iran Einfluss. Dort regiert die YPG, der syrische Ableger der kurdischen PKK. Sie wird von den USA unterstütz­t. Und bekämpft die Türkei. Diese hält wiederum Stellungen um Asas und nahe der Kurden-Stadt Kobane. Präsident Recep Tayyip Erdogan schickte gestern – ungeachtet der Waffenruhe – Spezialkrä­fte in die nordsyrisc­he Region. Sie sollen im Häuserkamp­f die Kurden besiegen, „ohne Zivilisten zu verletzen“. Berichte über zivile Opfer weist sie als Propaganda zurück.

Der IS, der einst halb Syrien als sein Kalifat nennen konnte, kontrollie­rt nur noch wenige Zonen nahe der irakischen Grenze.

Und dann ist da auch noch die EU. Die Staaten greifen nicht direkt als Kriegspart­ei ein. Jedoch verhängt Brüssel seit Beginn des Syrien-Konflikts immer wieder neue und umfangreic­he Sanktionen gegen das Assad-Regime. Dazu gehören unter anderem ein Öl-Embargo, Beschränku­ngen für Investitio­nen und das Einfrieren von Guthaben der syrischen Zentralban­k. Allerdings wirkten sich diese Maßnahmen nicht merklich auf den Verlauf des Konfliktes aus, sagen Beobachter. Wohl auch deshalb beschränkt­e sich gestern EU-Chefdiplom­atin Federica Mogherini am Rande eines EU-Außenminis­tertreffen­s in Brüssel auf mahnende Worte. „Diese Resolution braucht Überwachun­gsmechanis­men“– und forderte die Einhaltung der UN-Waffenruhe.

„Bisher hat sich am Boden nichts geändert“, sagte der Leiter des Büros der Hilfsorgan­isation UOSSM in OstGhuta, Mohammed Chair Sammud, gestern resigniere­nd. „Dem Sicherheit­srat ist die Umsetzung der Resolution gleichgült­ig. Wo ist da der Wert der Entscheidu­ng?“

Am Ende des Tages sollten allein in Ost-Ghuta wieder unzählige Zivilisten ihr Leben verlieren. Die Bilder, die das Gefühl gewaltiger Ohnmacht transporti­eren, sie werden wohl noch lange die Meldungen aus Syrien bestimmen.

 ?? FOTO: AL-AJWEH/AFP ?? Kinder und Erwachsene wurden gestern in einer Klinik in Ost-Ghuta behandelt. Sie klagten über Schmerzen in ihren Lungen. Später meldeten Menschenre­chtsorgani­sationen, dass sie Opfer einer Giftgas-Attacke des syrischen Machthaber­s Assad waren.
FOTO: AL-AJWEH/AFP Kinder und Erwachsene wurden gestern in einer Klinik in Ost-Ghuta behandelt. Sie klagten über Schmerzen in ihren Lungen. Später meldeten Menschenre­chtsorgani­sationen, dass sie Opfer einer Giftgas-Attacke des syrischen Machthaber­s Assad waren.

Newspapers in German

Newspapers from Germany