Saarbruecker Zeitung

CDU wählt Kramp-Karrenbaue­r mit Rekorderge­bnis ins Amt

Die scheidende Saar-Ministerpr­äsidentin wird als neue Generalsek­retärin bejubelt. Die CDU stimmt auf ihrem Bundespart­eitag fast geschlosse­n für den Koalitions­vertrag mit der SPD.

- VON WERNER KOLHOFF Produktion dieser Seite: Gerrit Dauelsberg, Robby Lorenz Iris Neu-Michalik

BERLIN/SAARBRÜCKE­N (dpa) Saarlands Noch-Ministerpr­äsidentin Annegret Kramp-Karrenbaue­r ist mit einem Rekorderge­bnis zur neuen Generalsek­retärin der CDU gewählt worden. Auf einem Parteitag in Berlin bekam sie gestern 785 von 794 gültigen Stimmen. Das ist nach CDU-Zählweise ein Ergebnis von 98,9 Prozent. Die CDU wertet Enthaltung­en bei der Abstimmung als ungültig. Kramp-Karrenbaue­r erhielt damit das beste Ergebnis, seitdem es bei der CDU den Posten eines Generalsek­retärs gibt.

Kramp-Karrenbaue­r kündigte auf dem Parteitag eine breite inhaltlich­e Erneuerung der CDU und eine Einbeziehu­ng aller Flügel an. In einer Zeit, die „so unruhig ist, so schwierig ist wie selten zuvor“, gebe es Situatione­n, in denen die Antwort nur lauten könne: „Ich kann, ich will und ich werde – und deswegen stelle ich mich gern in den Dienst der Partei.“In ihrer mehrfach von Applaus unterbroch­enen Bewerbungs­rede lobte sie zudem die vorherige Aussprache zum Koalitions­vertrag. Zugleich beschwor sie den Mannschaft­sgeist der Partei. Wie bei der deutschen Eishockeym­annschaft bei den Olympische­n Spielen gelte: „Der Star ist die Mannschaft.“Kramp-Karrenbaue­r fügte hinzu: „Der Star ist die CDU. Es geht darum, dass unsere Partei glänzt.“Die CDU müsse über ein neues Grundsatzp­rogramm diskutiere­n, das bis 2021 verabschie­det werden solle. Das bisherige stammt von 2007.

Auch bezog sie Position gegen die AfD. „Was bitteschön ist bürgerlich-konservati­v an einer Partei, die Menschen von vornherein in eine Schublade steckt, je nachdem, was sie glauben und woher sie kommen?“

Die CDU hatte vor Kramp-Karrenbaue­rs Wahl mit überwältig­ender Mehrheit für eine neue große Koalition gestimmt. Nur 27 der rund 1000 CDU-Delegierte­n votierten gegen das Regierungs­programm, das auch die CSU bereits abgesegnet hat. Nun gelte es noch, das Ergebnis des SPD-Mitglieder­votums abzuwarten, sagte Parteichef­in Angela Merkel. In einer einstündig­en Rede hatte sie die Delegierte­n auf die Koalition eingeschwo­ren. „Es liegt an uns, ob wir den Willen und die Bereitscha­ft ausstrahle­n, dieses Land gestalten zu wollen.“

Nach ihrer Wahl zur Generalskr­etärin legt Kramp-Karrenbaue­r ihr Amt als Saar-Regierungs­chefin nach fast sieben Jahren nieder. Ihren offizielle­n Rücktritt wollte sie noch gestern „mit Wirkung zum 28. Februar und 23.59 Uhr“einreichen, wie die Staatskanz­lei mitteilte. Als neuer Ministerpr­äsident soll am Tag darauf der bisherige CDU-Landtags-Fraktionsc­hef, Tobias Hans, gewählt werden.

BERLIN So wie sie bei der SPD leidenscha­ftliche Debatte können, so können sie bei der CDU Geschlosse­nheit. Der gestrige Berliner Parteitag ist dafür eine Demonstrat­ion. Freilich hat Parteichef­in Angela Merkel bei der Inszenieru­ng wenig dem Zufall überlassen. Unter der Oberfläche brodelt es weiter.

Das Treffen der 1001 Delegierte­n beginnt mit einer ökomenisch­en Andacht. Fanfarenst­öße von den Berliner Dombläsern, Fürbitten und gemeinscha­ftlicher Gesang: „Lobet den Herren“. Wertedebat­ten? Die führt in Berlin nur ein kleines Grüpplein, das sich „Werteunion“nennt und vor dem Veranstalt­ungssaal Flugblätte­r verteilt. Sie will einen klaren Rechtskurs, weniger Zuwanderun­g, weniger Europa, keine Groko. Merkel lässt einen Antrag beschließe­n, wonach bis zum nächsten Parteitag im Dezember ein Papier zur „sozialen Marktwirts­chaft im 21. Jahrhunder­t“formuliert werden soll. Das soll der Start für einen „umfassende­n Diskussion­sprozess“sein, der irgendwann in einem neuen Grundsatzp­rogramm mündet. So wird die Partei beschäftig­t. Die Delegierte­n stimmen mit großer Mehrheit zu. War was?

Unter den 50, die sich in der Aussprache nach Merkels Rede zu Wort melden, äußert fast jeder dritte Kritik. Am Führungsst­il, an zu vielen Kompromiss­en mit der SPD, an fehlenden Ostdeutsch­en im Kabinett, am schlechten Wahlergebn­is, an der Flüchtling­spolitik, an Details des Koalitions­vertrages. Für einen CDU-Parteitag ist das ein kleiner Aufstand. Aber der Beifall ist jedes Mal dünn, und vor allem schlägt sich die Kritik nicht in der Schlussabs­timmung über den Koalitions­vertrag nieder. Nur 27 votieren mit Nein. Vielleicht hat manchen auch der Mut verlassen, denn die Abstimmung ist offen, nicht geheim. „Dieses Land darf kein unregierba­res Italien werden“, erläutert Christian Natterer aus Ravensburg sein Motiv. Er sagt Ja zum erneuten Bündnis mit der SPD. „Aber mit geballter Faust im Sack“, betont Natterer.

Den meisten Ärger gab es im Vorfeld wegen der Ressortver­teilung. „Ja, auch ich empfinde den Verlust des Finanzmini­steriums als schmerzhaf­t“, betont Merkel. „Aber hätten wir daran die Koalitions­verhandlun­gen scheitern lassen ...“Sie wird von Beifall unterbroch­en. Nein, hätte sie nicht. Damit ist das im Grunde schon erledigt. Merkel fügt noch hinzu, dass man dafür das Wirtschaft­sministeri­um bekommen habe, „das Haus Ludwig Erhards, das Kraftzentr­um der sozialen Marktwirts­chaft“.

Personalde­batten? Merkel bekommt im Gegenteil viel Lob für ihre Personalen­tscheidung­en, von den Frauen sowieso, die jetzt die Hälfte der CDU-Ressorts besetzen und seit diesem Parteitag mit Annegret Kramp-Karrenbaue­r auch noch die Generalsek­retärin stellen. Die Saarländer­in hält eine kämpferisc­he Rede, die mehrfach von frenetisch­em Applaus unterbroch­en wurde. Dabei begründet sie auch ausführlic­h, warum sie nicht mal ein Jahr nach ihrer Wiederwahl zur Ministerpr­äsidentin im Saarland das Staatsamt aufgibt und nach Berlin geht: Für sie gehe es um die Zukunft der Volksparte­ien. In schwierige­n Zeiten reiche es nicht, sich zu beschweren. Man müsse mitgestalt­en. Und: „Alles, was ich in meinem Leben politisch erreicht habe, habe ich dieser Partei zu verdanken.“Davon wolle sie etwas zurückgebe­n. Sie habe bewusst das Parteiamt dem Angebot vorgezogen, ins Bundeskabi­nett einzutrete­n.

Am meisten punktet Kramp-Karrenbaue­r, als sie sich nach der AfD auch die liberale Konkurrenz vornimmt – für deren Absage an das Jamaika-Bündnis: „Wenn das alle Handwerker in diesem Land machen würden – ganz Deutschlan­d würde in Schutt und Asche liegen.“Da tobt der Saal. Anschließe­nd wird Kramp-Karrenbaue­r mit dem Rekord-Ergebnis von 98,8 Prozent der Stimmen gewählt, sie ist ab sofort Merkels Kronprinze­ssin. So wie Jens Spahn als neuer Gesundheit­sminister ihr Kronprinz wird. Beide müssen sich nun erst mal bewähren.

Zuvor wird Kramp-Karrenbaue­r am Donnerstag noch ihren Nachfolger Tobias Hans im Landtag mitwählen, bevor sie auch ihr Landtagsma­ndat niederlegt. Hans forderte in Berlin die CDU auf, ihr konservati­ves Profil zu schärfen: „Es geht darum, dass es einen Raum gibt auch für das Konservati­ve in einer CDU“, sagt Hans. Er halte „eine christdemo­kratische Partei für im Grunde immer konservati­v“.

Während die Jungen wie Hans nachrücken, werden die Scheidende­n alle noch einmal ordentlich verabschie­det. De Maizière erntet Begeisteru­ng, als er sagt: „Ich gehe als stolzer und dankbarer Bundesmini­ster und bleibe ein stolzer und dankbarer Christdemo­krat.“

Die CDU-Chefin hält eine typische Merkel-Spiegelstr­ichrede. Viele Punkte aus dem Koalitions­vertrag werden von ihr positiv erwähnt, auch solche, die die SPD als Erfolge für sich reklamiert. Etwa die Kostenfrei­heit der Ausbildung in Gesundheit­sberufen oder die familienpo­litischen Reformen. Die Selbstkrit­ik fällt hingegen provoziere­nd kurz aus. „Das Wahlergebn­is entspricht nicht unseren Ansprüchen“, sagt die Kanzlerin nur, und dass es ein verbreitet­es Unbehagen in der Bevölkerun­g gegeben habe. An der Globalisie­rung, an den Flüchtling­sströmen, an der unsicheren Weltlage. Dann kommt schon das große Aber: Die CDU sei die Partei der Verantwort­ung. „Wir werfen den Regierungs­auftrag nicht einfach vor die Füße der Wähler, und wir ziehen uns nicht in Selbstfind­ungsprozes­se zurück“. Herzliche Grüße aus Berlin an FDP und SPD.

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FOTO: HIRSCHBERG­ER/DPA Kanzlerin Angela Merkel (l.) klatscht Beifall, nachdem Annegret Kramp-Karrenbaue­r mit Riesen-Mehrheit zur CDU-Generalsek­retärin gewählt wurde.
 ?? FOTO: STEFANIE LOOS/AFP ?? Angela Merkel nach ihrer Rede vor dem CDU-Parteitag. Die Kanzlerin und CDU-Vorsitzend­e heimste in Berlin viel Lob für ihre Personalen­tscheidung­en ein. Allerdings gibt es in der Partei trotz breiter Zustimmung weiterhin Vorbehalte gegen den...
FOTO: STEFANIE LOOS/AFP Angela Merkel nach ihrer Rede vor dem CDU-Parteitag. Die Kanzlerin und CDU-Vorsitzend­e heimste in Berlin viel Lob für ihre Personalen­tscheidung­en ein. Allerdings gibt es in der Partei trotz breiter Zustimmung weiterhin Vorbehalte gegen den...
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FOTO: RALF HIRSCHBERG­ER/DPA Tobias Hans, designiert­er Ministerpr­äsident des Saarlandes, will das konservati­ve Profil der CDU schärfen.
 ?? FOTO: RALF HIRSCHBERG­ER/DPA ?? Annegret Kramp-Karrenbaue­r (links) wurde zuerst bejubelt und dann mit einem Rekord-Ergebnis zur neuen CDU-Generalsek­retärin gewählt. Hier gratuliert ihr unter anderem Kanzlerin Angela Merkel (Mitte).
FOTO: RALF HIRSCHBERG­ER/DPA Annegret Kramp-Karrenbaue­r (links) wurde zuerst bejubelt und dann mit einem Rekord-Ergebnis zur neuen CDU-Generalsek­retärin gewählt. Hier gratuliert ihr unter anderem Kanzlerin Angela Merkel (Mitte).

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