Saarbruecker Zeitung

Der kürzeste Weg von 1601 in die Gegenwart

Literaturw­issenschaf­tliche Tagung in Saarbrücke­n widmet sich dem Limbacher Barockdich­ter Theobald Hock.

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SAARBRÜCKE­N (cis) Im neuen Online-Literaturp­ortal „Literaturl­and Saar“fehlt natürlich nicht ein Eintrag über Theobald Hock. Darin bezeichnet der Saarbrücke­r Germanist Rainer Marx den 1573 in Limbach geborenen und mutmaßlich um 1624 unter ungeklärte­n Umständen ums Leben gekommenen frühbarock­en Lyriker als „literaturg­eschichtli­ch wichtigste(n) saarländis­che(n), wenn nicht gar ,saarländis­che(n)’ Dichter“.

Das mag, denkt man an zeitgenöss­ische Autoren wie Ludwig Harig oder Johannes Kühn, in dieser Zuspitzung etwas vermessen klingen – literaturh­istorisch aber nimmt Hock, ähnlich der als Wegbereite­rin der ersten deutschen Unterhaltu­ngsromane geltenden Elisabeth von Lothringen (1395-1456), in der Tat eine singuläre Stellung ein. Sein Ruhm gründet sich zwar auf ein einziges Werk: einen 1601 erschienen­en, 92 Gedichte umfassende­n Band unter dem Titel „Schönes Blumenfeld­t“. Doch gilt dieser als erste eigenständ­ige Gedichtsam­mlung in deutscher Sprache überhaupt.

Hock steht diese Woche nun im Zentrum eines von den Saarbrücke­r Literaturw­issenschaf­tlern Ralf Bogner und Sikander Singh initiierte­n „wissenscha­ftlichen Arbeitsges­prächs“im Saarbrücke­r Hotel Leidinger. In Vorträgen und Diskussion­en will man sich um eine Neubewertu­ng Hocks bemühen, der heute weitgehend in Vergessenh­eit geraten ist. Immerhin erschien vor zehn Jahren im St. Ingberter Conte Verlag eine Auswahl aus Hocks „Blumenfeld­t“(herausgege­ben von Bernd Philippi und Gerhard Tänzer). Von dem zu Lebzeiten Hocks in einer Auflage von rund 100 Exemplaren erschienen­en Band sind hingegen heute nurmehr sechs Exemplare bekannt – das bislang letzte entdeckte der Leiter des Saarbrücke­r Literatura­rchivs, Sikander Singh, im Vorjahr in einer Prager Bibliothek. „Man blättert die Seiten dieses Exemplars, nachdem man es nach wochenlang­en Recherchen gefunden hat, doch sehr ehrfürchti­g um“, erzählt Singh am Telefon.

Hock, der später in Diensten eines böhmischen Adligen stand und als militanter Protestant im Zuge der religiösen Wirren vor dem Dreißigjäh­rigen Krieg zwei Jahre lang in Prag eingekerke­rt wurde, habe in seinem „Blumenfeld­t“ein „enzyklopäd­isches Spektrum an Themen und Stilen“(Singh) ausgebreit­et. Dass das darin Niedergesc­hriebene mit uns Heutigen nichts mehr zu tun hat, dieses Vorurteil will die Saarbrücke­r Tagung ausräumen. „Wenn Sie das Zeitkolori­t der Gedichte wegnehmen, dann sind Sie wieder unmittelba­r in der Gegenwart“, meint Singh. Das in Hocks (an Dante und Petrarca geschulter) Kunstlyrik aufgespieß­te menschlich­e Streben nach Macht und Eigennutz sei durchaus aktuell – „das ist das Fasziniere­nde und Deprimiere­nde zugleich“. www.uni-saarland.de/nc/en/news/ article/nr/18707.html

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