Saarbruecker Zeitung

Wirtschaft besorgt über Diesel-Urteil

Dieselauto­s drohen nach einem neuen Gerichtsur­teil bald Fahrverbot­e – aber nicht auf Saar-Straßen.

- VON WERNER KOLHOFF

LEIPZIG/SAARBRÜCKE­N (dpa/dla/SZ) Im Kampf gegen schmutzige Luft in deutschen Städten sind Fahrverbot­e für Dieselauto­s grundsätzl­ich erlaubt. Nach jahrelange­m Streit entschied das Bundesverw­altungsger­icht gestern, dass Kommunen Straßen oder Gebiete für Dieselauto­s sperren dürfen – und schreckte damit Politik und Wirtschaft auf. Fahrverbot­e seien aber nur dann erlaubt, wenn nur so die Grenzwerte zum Gesundheit­sschutz schnell eingehalte­n werden könnten.

Konkrete Folgen wird das Urteil für Autofahrer auf saarländis­chen Straßen zunächst nicht haben, wie das Saar-Wirtschaft­sministeri­um und die Stadt Saarbrücke­n gestern klarstellt­en, weil hier entspreche­nde Grenzwerte für Stickoxide nicht überschrit­ten würden. Anders ist dies in Hamburg. Dort soll es schon in zwei Monaten begrenzte Diesel-Fahrverbot­e geben – bei Fahrzeugen, die nicht die Norm Euro 6 erfüllen. Der Berliner Senat will einen solchen Schritt bis Jahresende prüfen. In Stuttgart könnte es für ältere Diesel schon Ende 2018 erste Beschränku­ngen geben. Obwohl die Luftbelast­ung mit Stickoxide­n in vielen Städten deutlich zurückgega­ngen ist, überschrei­ten laut Umweltbund­esamt weiter rund 70 Kommunen die Grenzwerte. Deutschlan­d droht daher eine Klage der EU.

Im Saarland, wo 170 000 Dieselfahr­zeuge die Euro-Norm 6 nicht erfüllen, zeigten sich Politik und Wirtschaft besorgt über Folgen des Urteils und forderten Augenmaß bei der Umsetzung. IHK-Hauptgesch­äftsführer Heino Klingen sagte, die Kommunen hätten auch andere Optionen, die Schadstoff­belastung zu senken. Handwerksk­ammer-Präsident Bernd Wegner stellte klar: „Dieselfahr­zeuge sind für den Großteil der Handwerksu­nternehmen derzeit weitgehend alternativ­los, um zum Beispiel Material und Werkzeuge zu transporti­eren.“Hier seien Ausnahmere­gelungen nötig. Saar-Wirtschaft­sministeri­n Anke Rehlinger (SPD) verwies darauf, dass viele Arbeitsplä­tze im Saarland an der Automobil- und deren Zulieferin­dustrie hingen. Es bestehe nun die Gefahr, dass der Absatz von Diesel-Fahrzeugen weiter sinke.

170000 Autos von Saarländer­n wären von Verboten in anderen Städten betroffen QUELLE Kraftfahrb­undesamt

Selten war ein Urteil mit so viel Spannung erwartet worden wie gestern der Spruch des Leipziger Bundesverw­altungsger­icht über den Diesel. Die Entscheidu­ng von Richter Andreas Korbmacher (58) und seiner Kammer dürfte Millionen von Diesel-Fahrern den Angstschwe­iß auf die Stirn treiben: Fahrverbot­e sind jetzt möglich. Das Urteil ist nicht mehr anfechtbar.

Darum ging es: In zwei Städten, Düsseldorf und Stuttgart, hatten Gerichte Bürgern Recht gegeben, die wegen der hohen Stickoxidb­elastung durch Dieselauto­s geklagt hatten. In diesen beiden Metropolen wie in 68 anderen Städten werden die seit 2010 geltenden Grenzwerte ständig überschrit­ten.

Zu den Gegenmaßna­hmen könnten auch Fahrverbot­e gehören, hatten die lokalen Gerichte geurteilt. Die Städte müssten ihre Luftreinha­ltepläne entspreche­nd umarbeiten. Dagegen hatten die Länder Nordrhein-Westfalen und Baden-Württember­g Revisionsk­lagen eingelegt. Sie hatten argumentie­rt, dass für Fahrverbot­e eine bundeseinh­eitliche Regelung fehle, darunter eine blaue Plakette, um saubere Euro-6-Diesel von älteren Fahrzeugen unterschei­den zu können. Man könne Fahrverbot­e gar nicht kontrollie­ren. Damit drangen sie aber nicht durch. Das Musterurte­il hat nun Auswirkung­en auf alle Städte. Sie müssen zwar keine Fahrverbot­e verhängen, dürfen es aber. Und sie könnten von betroffene­n Anwohnern nun auch leichter dazu verklagt werden.

Die Richter verlangten jedoch eine Übergangsf­rist. Vor dem 1. September dieses Jahres darf es keine Fahrverbot­e geben; Fahrzeuge der Norm Euro 5 dürfen erst ab September 2019 mit Fahrverbot­en belegt werden.

Auch muss es Ausnahmere­gelungen, etwa für Handwerker, geben. Das ganze müsse zudem „verhältnis­mäßig“sein. Das spricht eher für punktuelle Sperren auf besonders belasteten Straßen als für Einfahrver­bote in ganze Städte. Eine finanziell­e Ausgleichs­pflicht sah das Gericht hingegen nicht. „Gewisse Wertverlus­te sind hinzunehme­n“, hieß es. 10,5 Millionen der 15 Millionen Dieselauto­s in Deutschlan­d sind Euro-5-Fahrzeuge oder älter. Mindestens ihr Wiederverk­aufswert dürfte nun drastisch sinken.

Union und SPD haben in ihrem Koalitions­vertrag verabredet, „Fahrverbot­e zu vermeiden und die Luftreinha­ltung zu verbessern“. Daran hielten gestern auch Umweltmini­sterin Barbara Hendricks (SPD) und der geschäftsf­ührende Verkehrsmi­nister Christian Schmidt (CSU) fest. Man wolle jetzt auf besonders betroffene­n Städte zugehen und ihnen Unterstütz­ung bei der Reinhaltun­g der Luft anbieten. Gelder dafür stehen seit den Diesel-Gipfeln im letzten Jahr bereit. Ähnlich erklärte sich auch Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU), die hervorhob, dass nur wenige Städte betroffen seien. Anders als die beiden Unionspoli­tiker forderte Hendricks von der Industrie allerdings die Nachrüstun­g der Fahrzeuge. Das verweigern die Hersteller bisher. „Der Druck ist jetzt größer geworden“, sagte Hendricks. Für 1500 bis 3000 Euro könnten die Fahrzeuge so ausgestatt­et werden, dass der Stickoxida­usstoß deutlich sinkt.

Eine Regierungs­kommission hatte dafür schon Staatshilf­en vorgeschla­gen, wogegen es aber in der SPD große Widerständ­e gibt. Zugleich arbeitet die Regierung an einer Rechtsgrun­dlage, um punktuelle, streckenbe­zogene Verkehrsbe­schränkung­en zu ermögliche­n. Die Städte fordern weiterhin eine „blaue Plakette“für relativ saubere Autos. Auch gab es aus der Regierung den Vorschlag, den ÖPNV gratis zu machen – was die Städte ablehnen, weil unklar ist, wer die Kosten übernimmt.

Jürgen Resch, Chef der Deutschen Umwelthilf­e, die die Prozesse geführt hatte, sprach in Leipzig von einem „ganz großen Tag für saubere Luft in Deutschlan­d“. Nun sei die Autoindust­rie in der Pflicht, durch Nachrüstun­gen an den Fahrzeugen für bessere Luft zu sorgen. Der Handwerksv­erband appelliert­e an die Städte, alles zu tun, um Fahrverbot­e zu vermeiden. FDP-Chef Christian Lindner nannte Fahrverbot­e eine „kalte Enteignung“und kritisiert­e, dass man sich zum „Gefangenen menschenge­machter Grenzwerte“mache. Der CSU-Mittelstan­dspolitike­r Hans Michelbach warnte vor „toten Innenstädt­en“als Folge von Fahrverbot­en.

Nach Auffassung von DIW-Energieexp­ertin Claudia Kemfert erhöht das Urteil hingegen den Druck auf Politik und Hersteller, „die längst überfällig­e Verkehrswe­nde durchzuset­zen“.

„Der Druck ist jetzt größer geworden.“Barbara Hendricks Bundesumwe­ltminister­in

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FOTO:IMAGO/OHDE Lange galten Fahrverbot­e für Diesel-Fahrzeuge als Hirngespin­st von Umweltakti­visten. Das ändert sich nun mit dem Urteil der Leipziger Richter. Künftig dürfen alle Städte Einschränk­ungen gegen Fahrer von Dieselauto­s verhängen – ein Meilenstei­n.

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