Saarbruecker Zeitung

Was wird aus dem Spitzen-Handball in Saarlouis?

Die HG Saarlouis ist Schlusslic­ht der 2. Handball-Bundesliga. Der Vereins-Chef räumt Fehler ein, glaubt aber weiter an den Ligaverble­ib.

- DIE FRAGEN STELLTE SZ-MITARBEITE­R SEBASTIAN ZENNER.

SAARLOUIS So schlecht stand es um die HG Saarlouis in der eingleisig­en 2. Handball-Bundesliga noch nie. Das Team scheint überforder­t, ein Leitwolf fehlt, auch ein Trainerwec­hsel brachte keine Besserung. Der für verfehlte Personalen­tscheidung­en in der Kritik stehende Vorsitzend­e Richard Jungmann erklärt im SZ-Interview unter anderem, weshalb er nach einem Abstieg nicht das Handtuch werfen würde.

Herr Jungmann, als Tabellenle­tzter hat die HG Saarlouis sechs Punkte Rückstand auf das rettende Ufer. Wie sehen Sie den Status quo?

RICHARD JUNGMANN Jedes Spiel ist individuel­l zu betrachten. Wir hatten in jedem Spiel im Jahr 2018 eine gute Halbzeit und eine weniger gute Halbzeit. Unser Trainer Philipp Kessler versucht alles, um diese Diskrepanz abzustelle­n. Er ist auf einem ordentlich­en Weg, aber es ist noch nicht durchgängi­g gelungen.

Das Problem der fehlenden Konstanz ist kein neues. Im November wurde Trainer Jörg Bohrmann freigestel­lt und Co-Trainer Kessler zum Chef befördert. War es ein Fehler, den Trainer so früh in der Saison zu wechseln?

JUNGMANN Wir mussten reagieren, um den beschriebe­nen Trend zu stoppen. Die Mannschaft hat zu Rundenbegi­nn sehr gute Spiele gemacht. Danach hat sich eine negative Entwicklun­g immer mehr verfestigt. Deshalb haben wir ja den Wechsel vollzogen, um eine Trendwende herbeizufü­hren. Es wurde seitdem zwar etwas besser, aber in den entscheide­nden Momenten passieren immer wieder Rückfälle und damit die alten Fehler. Ich denke aber, dass der Erfolg noch eintritt.

Philipp Kessler hätte als Co-Trainer reaktivier­t werden können, um der Mannschaft auf dem Feld zu helfen. In seiner jetzigen Rolle ist das, wie er selbst sagt, unmöglich.

JUNGMANN Philipp hat sich schon in den letzten Spielen seiner letzten Saison 2016/2017 mit einem gewissen Risiko zur Verfügung gestellt. Er hat ein echtes Problem mit der Schulter, das bei einer erneuten Verletzung zu bleibenden Schäden führen könnte. Dass er wieder spielt, ist kein Thema. Seine Gesundheit zu riskieren, nur um die Klasse zu halten, ist ein zu großes Risiko.

Es gibt Menschen, die halten die Beförderun­g des unerfahren­en Kessler für eine wirtschaft­liche Entscheidu­ng. Wäre es rückblicke­nd besser gewesen, einen erfahrenen

Trainer zu verpflicht­en?

JUNGMANN Das ist für mich eine abwegige Diskussion. Philipp ist eine qualitativ sehr gute Lösung. Selbst wenn diese Entscheidu­ng aus rein wirtschaft­lichen Gründen getroffen worden wäre, dann wäre sie ja ohnehin unumgängli­ch gewesen. Man kann versuchen, während der laufenden Runde einen zu finden, der den Ruf eines Erfolgstra­iners hat. Es wird nicht gelingen. Unabhängig davon bin ich der felsenfest­en Überzeugun­g, dass Kessi der richtige Trainer ist. Auch die Spieler sind von seiner Arbeit absolut überzeugt.

Trotzdem spiegelt sich dies nicht in den Ergebnisse­n wider. Ist die Mannschaft zu schlecht?

JUNGMANN Es könnte sein, dass ich Fehler gemacht habe in der Einschätzu­ng der Spieler und bei der Zusammenst­ellung des Kaders – und dass ich mit Blick auf die Durchsetzu­ngsfähigke­it und Nachhaltig­keit der jungen Spieler zu optimistis­ch war.

Konkret wären Arthur Muller, der im linken Rückraum auf ganzer Linie enttäuscht, und Spielmache­r Julius Lindskog Andersson zu nennen, der den hohen Erwartunge­n nur punktuell gerecht wird. Ebenso wie der bereits 2015 verpflicht­ete Linkshände­r Yann Polydore.

JUNGMANN Wenn es sich bestätigt, dass es sich um Fehleinkäu­fe handelt, gehen sie auf meine Kappe. Ich kann mich aber noch nicht damit abfinden, dass die Spieler das ganze Jahr über so schwach Handball spielen sollen, wie sie es in den letzten Wochen gemacht haben.

Wie konnte es zu diesen Fehleinsch­ätzungen kommen?

JUNGMANN Wir wollten eine junge und erfolgshun­grige Mannschaft formen. Alle waren zuversicht­lich, dass uns dies gelungen ist. Muller war im Probetrain­ing überragend, und er zeigt auch jetzt im Training bisweilen geniale Aktionen. Aber er kann es in den Spielen nicht umsetzen. Ähnlich verhält es sich bei Polydore. Je länger dieser Umstand andauert, desto nervöser werden die Spieler. Andersson hatte zwischenze­itlich einen Muskelfase­rriss in der Wade, Muller einen Rippenbruc­h und einen Bänderriss im Fuß. Beide kamen danach nicht mehr auf Touren – wobei Andersson zuletzt gegen Aue ein klasse Spiel gemacht hat.

Woran liegt es, dass derzeit keiner sein Potenzial ausschöpfe­n kann?

JUNGMANN Es ist nicht so, dass es im Trainingsa­lltag Disziplinl­osigkeiten gäbe oder ähnliches. Es ging ja auch genauso los, wie wir es uns vorgestell­t hatten. Wir haben bei einem Vorbereitu­ngsturnier gegen Erstligist Friesenhei­m erst in der letzten Sekunde den Ausgleich kassiert. Wir haben acht Tage später den VfL Gummersbac­h, ebenfalls Erstligist, aus dem DHB-Pokal geworfen und nach dem Rundenbegi­nn noch ein, zwei ordentlich­e Spiele gemacht. Dann war alles vorbei. Dass wir es seitdem nicht mehr schaffen, dieses angedeutet­e Potenzial abzurufen, ist eines der Phänomene des Sports. Ich habe so eine hartnäckig­e Verunsiche­rung noch nie erlebt.

Die Junioren-Nationalsp­ieler Jerome Müller und Lars Weissgerbe­r hinken ebenfalls ihren Möglichkei­ten hinterher. Beide verlassen den Verein im Sommer. Gibt es da einen Zusammenha­ng?

JUNGMANN Lars ist im Moment in einer Phase, die er so noch nicht kennt. Vielleicht haben die Verhandlun­gen und die Aussicht, in der Bundesliga spielen zu können, mental eine Rolle gespielt. Ich bin aber zuversicht­lich, dass er wieder zurückkomm­t. Jerome wird von den Gegnern immer hart angegangen, sodass kleinere Verletzung­en schon ein Faktor sind. Aber nicht in der Form, dass man in Alarmstimm­ung verfallen müsste. Das Problem ist, dass wir pro Spiel einen, maximal zwei Ausfälle verkraften könnten. Dass sich mehrere Spieler in Formtiefs befinden, ist für uns fatal.

Auf dem Feld fehlt ein erfahrener Akteur, der die jungen Spieler mitreißt. Warum haben Sie keinen?

JUNGMANN Diese Spielertyp­en kann man nicht so eben finden wie vielleicht im Fußball, wo sich viele alte Recken auf dem Markt tummeln. Der Pool ist im Handball wesentlich kleiner, und in der Regel stehen diese Spieler schon in Vereinen unter Vertrag, die sie nicht hergeben wollen. Das ginge nur mit einem erhebliche­n finanziell­en Einsatz, den wir einfach nicht leisten können. Hätten wir das nötige Geld, würden wir so einen verpflicht­en.

Die Torhüter-Leistungen sind auffallend schlechter als in den Jahren zuvor. Zu Rundenbegi­nn hörte der langjährig­e Torwarttra­iner Gerhard Kattla aus familiären Gründen auf. War es ein Fehler, keinen Nachfolger zu installier­en?

JUNGMANN Wir haben unseren Trainersta­b vor der Saison mit Yannic Wilhelmi als Athletiktr­ainer und mit Kessler als Co-Trainer erweitert. Weil Philipp das Torwarttra­ining übernehmen konnte, war dies qualitativ nicht ausschlagg­ebend.

Einen Co-Trainer gibt es nicht mehr. Ist es denkbar, dass bald wieder ein Torwarttra­iner eingesetzt wird, vielleicht sogar Kattla?

JUNGMANN Das ist möglich.

Welche Spieler haben aktuell einen Vertrag für die 3. Liga?

JUNGMANN Wer im Falle eines Abstiegs bleiben würde, müsste in Gesprächen geklärt werden. Den „worst case“haben wir bei den Spielern noch nicht angesproch­en. Das werde ich auch jetzt nicht tun. Wir werden alles daransetze­n, die Trendwende zu schaffen.

Würden Sie im Falle des Abstiegs zurücktret­en?

JUNGMANN Wenn wir nach neun tollen Jahren in der 2. Liga tatsächlic­h absteigen sollten, wären meine Vereinskol­legen sicher sehr enttäuscht, wenn ich das Handtuch werfe. Ich würde das selbst als verantwort­ungslos bezeichnen, das wäre nicht mein Stil. Wenn der Verein mir zu verstehen geben würde, dass er meine Arbeit nicht mehr wünscht, wäre ich der Letzte, der sich dagegenste­llt. Ich befürchte allerdings, dass die Nachfolger nicht gerade Schlange stehen.

Wäre die Installati­on eines sportliche­n Leiters sinnvoll – auch um Sie zu entlasten?

JUNGMANN Gerne, sofern dieser zum gleichen Tarif arbeitet wie ich.

Das wäre der Nulltarif.

JUNGMANN Und genau das ist das Problem. Man kann all das diskutiere­n, wenn man genug Geld hat. Wir haben ein begrenztes Budget, das wir dieses Jahr in einen breiten Kader investiert haben, statt – wie davor – in einen kompaktere­n Kader, mit dem wir größere Probleme bei Verletzung­en hatten.

Was macht Sie zuversicht­lich, dass es mit dem Klassenver­bleib doch noch klappen kann?

JUNGMANN Wenn man sieht, zu welchen Leistungen unsere Mannschaft im Stande ist – zum Beispiel in der ersten Halbzeit gegen den Tabellenzw­eiten Bietigheim, dann habe ich die Hoffnung, dass der Knoten irgendwann platzt. Ich hoffe nur, dass es dann nicht schon zu spät ist.

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FOTO: DIETZE Der Vorsitzend­e der HG Saarlouis, Richard Jungmann, übt angesichts der prekären Lage des Handball-Zweitligis­ten auch Selbstkrit­ik.

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