Saarbruecker Zeitung

Ein Urteil für die Menschheit und gegen die Diesel-Lobby

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Der Ausgleich der Interessen funktionie­rt im Verkehrsbe­reich schon lange nicht mehr: Der motorisier­te Verkehr, ob mit dem Pkw oder mit dem Lkw, hat sich immer mehr ausgebreit­et. Die negativen Folgen für alle, die außerhalb der klimatisie­rten Wagen sitzen, werden komplett ausgeblend­et. Das Leipziger Urteil setzt nun an einer winzigen Stelle – nur beim Diesel, nur beim Stickoxid und nur in einigen Städten – wenigstens das geltende Recht durch. Mehr nicht. Das ist keine grüne Revolte. Und trotzdem ist das Wehklagen groß. Denn das Gerichtsur­teil trifft auf acht Jahre Rechtsbruc­h, absichtsvo­ll begangen von der Industrie, durchaus wissend hingenomme­n von vielen Diesel-Fahrern, großzügig toleriert vom Staat. Die Schuldigen an der Lage heißen nicht nur Martin Winterkorn und Rupert Stadler, sondern auch Alexander Dobrindt, Angela Merkel und Sigmar Gabriel.

Man kann die Anwohner und Umweltinit­iativen in allen betroffene­n Städten nur dazu aufrufen, den Zipfel des höchstrich­terlich gesprochen­en Rechts jetzt nicht mehr loszulasse­n und ihren Gesundheit­sschutz konsequent einzuklage­n. Das Chaos, das durch Fahrverbot­e entstehen wird, ist dabei begrenzt. Auf wenige Städte und wenige Straßen; ohnehin werden solche Verbote kaum kontrollie­rbar sein. Dafür hat die letzte Bundesregi­erung gesorgt, die die Einführung einer blauen Plakette verweigert hat. Sozusagen als vorsorglic­he Beihilfe zum Regelverst­oß.

Der eigentlich­e Schaden liegt ohnehin nicht im massenhaft­en Ausbremsen von Mobilität, außer vielleicht bei manchem Handwerker, der nicht auf die S-Bahn ausweichen kann. Der Schaden liegt in der Entwertung der Fahrzeuge für ihre Besitzer. Und in der Entwertung der Diesel-Technologi­e für die Hersteller. Es geht bei dem ganzen Geschrei letztlich nur ums Geld. Um Geld gegen Gesundheit.

Eine Nachrüstun­g wäre die einfachste Möglichkei­t, um das Problem schnell zu lösen. Aber sie ist den Firmen zu teuer, weswegen sie schon jetzt nach Staatsunte­rstützung rufen. Die Rede ist von Konzernen, die satte Gewinne machen. Sie sind in der Pflicht, die Kosten ganz oder wenigstens überwiegen­d zu übernehmen. Eine Staatshilf­e hierfür wäre absurd. Der Staat braucht sein Geld für sinnvoller­e Ausgaben: Für den Ausbau des öffentlich­en Nahverkehr­s und der Radwegeinf­rastruktur sowie die Förderung von alternativ­en Antrieben.

Denn die Stickoxidb­elastung ist ja nur ein Aspekt des alltäglich­en Verkehrswa­hnsinns. All die anderen negativen Effekte – die Verluste an Lebensqual­ität in den Städten, die Zerstörung von Natur, die Gefahren für die Schwächste­n, der Feinstaub, der Ressourcen­verbrauch, der Lärm – all das ändert sich überhaupt nicht. Wenn die motorisier­ten Endloskolo­nnen das Ende der Geschichte wären, hätte die Menschheit nicht viel geschafft. Das Urteil ist ein Ausrufezei­chen. Es sagt: Es kann nicht einfach ungehemmt so weitergehe­n. Das unzweifelh­aft bestehende Recht auf Mobilität muss anders gelöst werden. Intelligen­ter und sauberer.

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