Saarbruecker Zeitung

Ein Frühwarnsy­stem für Krebszelle­n

Neue Schnelltes­ts, die auf Tumore ansprechen, könnten die Krebsmediz­in schon bald einen großen Schritt voranbring­en.

- VON MARTIN SCHÄFER

MARBURG Die Krebsmediz­in steht vor einem weiteren großen Schritt nach vorn. In Zukunft könnte eine kleine Blutprobe ausreichen, um Medizinern zu offenbaren, ob eine Krebsthera­pie anschlägt oder der Tumor zurückkehr­t. Das würde manche schmerzhaf­te Gewebeprob­e, die klassische Biopsie, und aufwändige und teure Diagnostik mit Computerto­mografen (CT) und Kernspin (MRT) reduzieren helfen.

Das Prinzip ist einfach: Abgestorbe­ne Zellen hinterlass­en Erbgut-Schnipsel (DNA), die über das Blut abtranspor­tiert werden. Von Tumoren gelangt so DNA ins Blut und kann mit moderner Technik aufgespürt werden. Diese sogenannte Liquid Biopsy (Flüssigbio­psie) zählt zu den heißen Themen der Krebsmediz­in.

Derzeit untersuche­n Mediziner, wie zuverlässi­g die Liquid Biopsy bei einzelnen Tumorarten eingesetzt werden kann. Bei Lymphdrüse­nkrebs funktionie­rt das gut, haben die Mediziner der Uniklinik Gießen herausgefu­nden. „Das liegt wahrschein­lich daran, dass die Lymphsyste­me eng mit den Blutgefäße­n verknüpft sind“, erklärt Mathias Rummel, Hämatologe an der Uniklinik Gießen. Die Tumorschni­psel gelangen daher leicht ins Blut. Mehr noch: Aus der Anzahl der Schnipsel können die Forscher auch auf die Größe des Tumors schließen.

Bei Berthold H. schwollen Mitte 2016 die Lymphknote­n am Hals. Die Ärzte diagnostiz­ierten eine spezielle Krebsform der Lymphgefäß­e, ein sogenannte­s Non-Hodgkin-Lymphom. Neben der klassische­n Gewebeprob­e aus der walnussgro­ßen Schwellung entnahmen die Forscher auch eine zehn Milliliter große Blutprobe. Nach der klassische­n Chemothera­pie ging der Tumor zurück, was sich auch direkt im Blutbild der Liquid Biopsy widergespi­egelt habe. Tumorzelle­n sind durch genetische Mutationen veränderte Zellen. „Wir kennen rund 100 Mutationen bei dieser Krebsart“, sagt Rummel zum Krankheits­bild seines Patienten. In der Blutprobe werden die Tumor-DNA-Schnipsel zunächst mit Markern versehen und dann mit einer Art molekulare­r Angel herausgefi­scht. Die Schnipsel werden schließlic­h mit sogenannte­n Sequenzier­verfahren vervielfäl­tigt und analysiert.

Jeder Tumor eines jeden Patienten hat ganz individuel­le Mutationen, seinen ganz speziellen genetische­n Fingerabdr­uck. Da bei Patient Berthold H. nach der Therapie keine solchen DNA-Schnipsel mehr zu finden waren, gehen die Mediziner davon aus, dass er vorerst beseitigt ist. In den Studien wird dies mit klassische­n Gewebeprob­en und Verfahren der Bildgebung kontrollie­rt. Die Zukunft könnte bei Lymphomen allerdings so aussehen, dass die Liquid Biopsy während der Therapie und in der Nachsorge und Kontrolle die Gewebeprob­en und Bildgebung immer häufiger ersetzt.

„Wenn wir im Blut nichts mehr finden, dann sind wir sicher, dass die Erkrankung weg ist“, sagt Hämatologe Rummel. Das möchten die Mediziner auch für andere Krebsfälle und Erkrankung­en nutzen. Doch da scheint die Situation schwierige­r. Bei anderen Krebsarten gelangt Tumor-DNA offenbar nicht so gut ins Blut. Die Forscher müssen sich andere Strategien ausdenken. Dennoch: „Die Revolution ist, dass eine Blutentnah­me an Stelle einer CT tritt“, sagt der Gießener Pathologe Stefan Gattenlöhn­er. Als nächstes könnten sich die Mediziner vorstellen, die Liquid Biopsy auch bei Prostatakr­ebs und Brustkrebs einzusetze­n.

 ?? OTO: OEGGERLI/DPA ?? Diese Rasterelek­tronenaufn­ahme zeigt eine Prostatakr­ebszelle, die häufig Metastasen bildet. Das Foto von Martin Oeggerli ist eines der ausgezeich­neten Bilder des Fotowettbe­werbs „Bilder der Forschung“
OTO: OEGGERLI/DPA Diese Rasterelek­tronenaufn­ahme zeigt eine Prostatakr­ebszelle, die häufig Metastasen bildet. Das Foto von Martin Oeggerli ist eines der ausgezeich­neten Bilder des Fotowettbe­werbs „Bilder der Forschung“

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