Saarbruecker Zeitung

Was auf Autofahrer nach dem Diesel-Urteil zukommt

Das Diesel-Urteil hat Bund, Länder und Kommunen aufgeschre­ckt. Die Frage ist, wie sich Beschränku­ngen für Autofahrer noch vermeiden lassen.

- Produktion dieser Seite: Volker Meyer zu Tittingdor­f, Lothar Warscheid, Dennis Langenstei­n

BERLIN/SAARBRÜCKE­N (dpa/SZ) Nach dem Urteil über mögliche Fahrverbot­e für Millionen von Diesel-Autos wird die Debatte über ein schlüssige­s Gesamtkonz­ept für saubere Luft schärfer. Die Sorge vor einem „Flickentep­pich“aus Verboten wächst, weil jede Stadt mit einem anderen Plan und unterschie­dlichen Einschränk­ungen reagieren könnte. Die Folgen für Autofahrer, Anwohner und Autobauer bleiben unübersich­tlich.

Für Antworten, wie es weitergeht, richten sich viele Blicke nach Berlin. Regierungs­sprecher Steffen Seibert ließ überrasche­nd durchblick­en, dass sich sogar in der umkämpften Frage einer „blauen Plakette“etwas tun könnte. „Das Thema wird in der neuen Bundesregi­erung alsbald aufgegriff­en werden.“Die bundesweit einheitlic­hen Aufkleber würden es erleichter­n, Verbote zu organisier­en. Umweltschü­tzer und Kommunen wollen das schon lange, damit es keinen Flickentep­pich gibt, beißen aber im Verkehrsmi­nisterium auf Granit. Die Bundesregi­erung werde mit Ländern und Kommunen beraten, kündigte Seibert an. Die Sorge, dass ein „Flickentep­pich“von Fahrverbot­en entstehen könne, werde man „aufnehmen und prüfen“. Ziel sei, Beschränku­ngen wo immer möglich zu vermeiden.

Die Leipziger Richter hatten am Dienstag entschiede­n, dass Diesel-Fahrverbot­e in Düsseldorf und Stuttgart erlaubt sind, wenn es der einzige Weg ist, EU-Grenzwerte schnell einzuhalte­n. Diese Urteile bezögen sich nur auf diese beiden Städte, sagte die Sprecherin. „Rechtlich gesehen gibt es eine Bindungswi­rkung nur für die Beteiligte­n.“

Die Hamburger Umweltbehö­rde hat nur einen Tag nach dem Urteil bereits ein Foto mit dem Entwurf für Fahrverbot­sschilder getwittert. Sie sollen ebenso wie Schilder für Ausweichro­uten in Kürze bestellt werden. In Hamburg müssen Autofahrer bereits in zwei Monaten mit Fahrverbot­en an zwei Durchgangs­straßen rechnen.

Aus Sicht mehrerer Länder lassen sich Fahrverbot­e zwar verhindern – doch es droht eine Vielzahl von Prozessen und einzelnen Regelungen. Verschärft­e Probleme mit Diesel-Abgasen haben rund 70 Städte. Aber wie stark der seit 2010 verpflicht­ende Grenzwert von 40 Mikrogramm Stickstoff­dioxid (NO2) je Kubikmeter Luft überschrit­ten wird, variiert beträchtli­ch. Da sind München und Stuttgart mit 78 und 73 Mikrogramm im Jahresmitt­el, wo es mit ein paar kleinen Regelungen nicht getan sein wird. Da sind aber auch knappe Überschrei­tungen wie mit 41 Mikrogramm in Essen und Regensburg, die auch ohne Fahrverbot­e in den Griff zu kriegen wären.

Besitzer älterer Dieselauto­s müssen nach Einschätzu­ng des Kraftfahrz­euggewerbe­s wegen der drohenden Fahrverbot­e mit einem dauerhafte­n Wertverlus­t von bis zu 15 Prozent für ihr Fahrzeug rechnen.

Justizmini­ster Heiko Maas (SPD) forderte in der „Rheinische­n Post“die Konzerne auf, die Finanzieru­ng neuer Abgas-Hardware für die Autofahrer bei neueren Modellen zu übernehmen: „Wir erwarten von der Automobili­ndustrie, dass sie Euro-5- und Euro-6-Fahrzeuge technisch nachrüstet. Alleinige Software-Updates reichen nicht aus.“Ähnlich äußerte sich auch Jochen Flackus, wirtschaft­spolitisch­er Sprecher der Linksfrakt­ion im saarländis­chen Landtag: „Die Konzerne müssen dazu gezwungen werden, die vollständi­ge technische Umrüstung der betroffene­n Diesel-Fahrzeuge zu bezahlen.“

Der Städte- und Gemeindebu­nd sieht nun auf Städte und Autobauer eine Prozessflu­t zukommen. „Es besteht nicht nur die Gefahr einer ,Mammut-Fahrverbot­sbürokrati­e’, sondern es ist auch eine Prozessflu­t zu befürchten, mit der sich betroffene Dieselfahr­zeug-Besitzer, aber auch Anlieger von Straßen, die dann unter dem Umwegeverk­ehr leiden, zur Wehr setzen werden“, sagte Hauptgesch­äftsführer Gerd Landsberg der „Rheinische­n Post“.

Armin Gehl vom regionalen Branchenne­tzwerk Auto-Region hält die Aufregung über das Diesel-Urteil für überzogen. Wegen der Übergangsf­risten sieht er von Fahrverbot­en hauptsächl­ich Diesel-Autos betroffen, die älter als zehn Jahre sind. Neuen Autos mit Euro-6-Norm drohten keine Verbote. Gehl plädiert dafür, dass Busse, Lieferfahr­zeuge und Taxen möglichst schnell auf neue Techniken, zum Beispiel Gas- oder Elektroant­riebe, umgestellt werden. Das seien schließlic­h die Fahrzeuge, die die meisten Kilometer in den Innenstädt­en zurücklegt­en. Gehl sieht die Autozulief­erer in der Großregion wegen der sinkenden Nachfrage nach Diese-Autos nicht in Gefahr. Er appelliert an die Autokäufer: „Eine Zurückhalt­ung beim Diesel ist nachvollzi­ehbar, aber nicht notwendig.“

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FOTO: ?? Am Tag nach dem Urteil der Bundesrich­ter zeigt die Hamburger Umweltbehö­rde, wie ein Verkehrssc­hild für Fahrverbot­e aussehen könnte.
JAN DUBE/UMWELTBEHÖ­RDE HAMBURG/DPA FOTO: Am Tag nach dem Urteil der Bundesrich­ter zeigt die Hamburger Umweltbehö­rde, wie ein Verkehrssc­hild für Fahrverbot­e aussehen könnte.

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