Saarbruecker Zeitung

Briten beißen sich an Nordirland fest

Die künftige Grenze zum Königreich entzweit die Politik in London. Der BrexitEntw­urf aus Brüssel sorgt für Entrüstung.

- VON KATRIN PRIBYL

LONDON Der EU-Entwurf für ein Brexit-Abkommen war noch nicht offiziell der Öffentlich­keit präsentier­t, da bestimmte auf der Insel bereits eine empörte Theresa May die Schlagzeil­en der Zeitungen. Die britische Premiermin­isterin kritisiert­e heftig den Vorschlag von EU-Chefunterh­ändler Michel Barnier, Nordirland notfalls de facto im gemeinsame­n Binnenmark­t und der Zollunion zu belassen, um Grenzkontr­ollen zum EU-Mitglied Irland zu verhindern. May betonte ihren Unmut abermals in der wöchentlic­hen Fragestund­e im Parlament gestern Mittag. Der Entwurf bedrohe „die verfassung­smäßige Integrität des Vereinigte­n Königreich­s“, sagte sie wie schon gegenüber Medien am Abend zuvor, als erste Details des Entwurf-Texts durchgesic­kert waren. „Kein britischer Premiermin­ister könnte dem je zustimmen.“

Schräg hinter ihr im Parlament saß Außenminis­ter Boris Johnson mit verschränk­ten Armen und nickte zustimmend. Er gehört zu jenen Brexit-Hardlinern, die unentwegt rote Linien ziehen und auf einen harten Brexit pochen. Es überrascht­e deshalb auch niemanden, dass sich der britische Chefdiplom­at in den vergangene­n Tagen beim heikelsten Thema der Brexit-Verhandlun­gen, der Frage nach einer Lösung für die künftige Grenze zwischen der Republik Irland und Nordirland, einschalte­te. Zuerst verglich der lautstarke EU-Skeptiker das Problem der Grenze auf der Irischen Insel mit jener zwischen zwei Londoner Stadtbezir­ken.

Es hagelte Kritik, Johnson würde mögliche Folgen einer befestigte­n Grenze verharmlos­en, und etliche Politiker erinnerten an den fragilen Frieden in Nordirland. Viele Bestimmung­en des Karfreitag­sabkommens, das den blutigen Nordirland-Konflikt politisch beendete, basieren auf einer Grenze ohne Kontrollen zum EU-Mitgliedst­aat Irland.

Gestern dann meldete Johnson in einem Brief an Premiermin­isterin Theresa May Zweifel an der bisherigen Haltung der konservati­ven Regierung an. Die hatte stets eine Rückkehr zu einer harten Grenze zwischen Nordirland und der Republik ausgeschlo­ssen, bislang aber keine Lösung präsentier­t. Klar scheint derzeit nur, dass das Königreich sowohl aus dem EU-Binnenmark­t als auch aus der Zollunion ausscheide­n wird.

„Selbst wenn Kontrollen wieder eingeführt werden, würden wir damit rechnen, dass 95 Prozent oder mehr der Waren die Grenze unkontroll­iert passieren“, schrieb Johnson laut Medienberi­chten an seine Chefin und sprach damit, anders als in der Vergangenh­eit, von einer möglichen harten Grenze. Es sei falsch, „keine Grenze“als Ziel zu definieren. Stattdesse­n sollte sich die Regierung darauf konzentrie­ren, dass sie nicht „signifikan­t härter“werde. Auf den Brief angesproch­en, meinte Johnson, dass das Grenzprobl­em politisch dafür genutzt werde, das Königreich in der Zollunion zu halten, „sodass wir nicht wirklich die EU verlassen können“. May ging während der Parlaments-Fragestund­e nicht auf Johnsons Schreiben ein, sondern betonte, der EU-Entwurf würde den gemeinsame­n Markt des Königreich­s untergrabe­n, da er eine „zollrechtl­iche und regulatori­sche Grenze in der Irischen See schaffen würde“. Arlene Foster, Chefin der nordirisch­en Unionisten der DUP, die die Konservati­ven in einer Minderheit­sregierung duldet, meinte, Brüssels Vorschlag wäre „verfassung­srechtlich inakzeptab­el und wirtschaft­lich katastroph­al für Nordirland“.

Derweil kündigten Schottland und Wales an, sie wollten nach dem Brexit per Gesetz die Kompetenze­n der britischen Regierung begrenzen. Vor allem bei der Fischerei und in der Landwirtsc­haft wollten sich die Regionen vor den Entscheidu­ngen Londons schützen.

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FOTO: FURLONG/AFP Großbritan­niens Regierungs­chefin Theresa May ließ ihrem Ärger über den Brexit-Entwurf aus Brüssel freien Lauf: Kein britischer Premier könnte dem je zustimmen, erklärte sie gestern.
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FOTO: DPA EU-Chefunterh­ändler Barnier legte einen Brexit-Entwurf vor.

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