Saarbruecker Zeitung

Kein Spielraum für einen neuen Briten-Rabatt

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Die Brexit-Gespräche sind im bitteren Alltag der politische­n Wirklichke­it angekommen. Ab jetzt zählen nicht mehr politische Reden und Absichtser­klärungen vor ausgewählt­em Publikum. Mit seinem Vertragsen­twurf drängt der EU-Chefunterh­ändler die Briten zu verbindlic­hen Vereinbaru­ngen – nichts anderes kann letztliche die Grundlage für die künftigen Beziehunge­n sein. Zugleich aber entlarvt Brüssel damit Londons Versprechu­ngen als das, was sie sind: einen Eiertanz voller Widersprüc­he. Als Theresa May im Dezember bei Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker zusagte, die Grenze zwischen Nordirland und Irland nicht zu schließen, wenig später aber eine strikte Absage an eine Zollunion nachreicht­e, war klar: Das ist ein unauflösba­rer Widerspruc­h, der in der Wirklichke­it nie funktionie­ren kann. Und wer schon solche Grundsatzf­ragen nicht lösen kann, wird bei den vielen tausend Details, die nun besprochen werden müssen, wohl auch nicht viel zu bieten haben.

Der EU sind dennoch die Hände gebunden. Natürlich registrier­en die führenden Vertreter der Union sehr genau, wie sich Brexit-Befürworte­r und -Gegner auf der Insel gegenseiti­g zerfleisch­en und Premiermin­isterin Theresa May schwächen. Aber die Gemeinscha­ft kann sich nicht in innere Angelegenh­eiten einmischen und die amtierende Regierungs­chefin durch Großzügigk­eit oder gar Verzicht auf eigene Rechte zu stützen versuchen. Wer den mehrheitli­chen Wunsch des britischen Volkes ernst nimmt, muss diesen Schritt zu juristisch unzweifelh­aften Vertragsbe­stimmungen tun. Und es hilft auch nichts, wenn das übrige Europa ein ums andere Mal dem Vereinigte­n Königreich vorhält, dass es am Ende als der große Verlierer dastehen wird, weil schon jetzt der Facharbeit­er-Mangel wächst, weil immer mehr Banken und Firmen auf den Kontinent umsiedeln und das Wachstum zurückgeht. Der Respekt vor dem Willen des britischen Volkes verlangt, genau das zu tun, was Michel Barnier gestern getan hat: Er hält der britischen Regierung und dem ganzen Volk in einem Vertrag die Konsequenz­en dessen vor, was sie selbst gewollt haben.

Dabei haben die europäisch­en Fachleute durchaus Recht, wenn sie insbesonde­re den Schutz des Binnenmark­tes vor jeder Rosinenpic­kerei beschützen. Denn genau das hatten sich ja viele Briten gewünscht: Keine Beiträge mehr, keine EU-Zentrale mehr, die Vorgaben erlässt, aber sehr wohl der freie Zutritt zum gemeinsame­n Markt, damit sie am Kontinent mitverdien­en. Das wird nicht so kommen. Schon jetzt ist klar, dass Nordirland, sollte es tatsächlic­h eine offene Grenze zu Irland behalten, vom Tierschutz über die Landwirtsc­haft bis hin zu Lebensmitt­eln und Pflanzenge­sundheit alles übernehmen muss, was für die EU-Staaten auch gilt. Sonderrege­lungen oder Ausnahmen würden zu einem völlig verzerrten Wettbewerb führen, den die EU nicht zulassen darf, um ihrerseits Unternehme­n und Beschäftig­te zu schützen. Für eine neue Art von Briten-Rabatt gibt es keinen Spielraum.

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