Saarbruecker Zeitung

Botschafte­n aus China für Karl Marx

Tausende Chinesen besuchen jedes Jahr das Geburtshau­s von Karl Marx in Trier, dessen Geburtstag sich am 5. Mai zum 200. Mal jährt. Was sie dabei in die Gästebüche­r schreiben, hat ein Professor der Uni Trier ausgewerte­t, darunter auch scharfe Kritik.

- VON BIRGIT REICHERT

(dpa) Mit unzähligen Einträgen haben sich chinesisch­e Besucher über Jahrzehnte in Gästebüche­rn im Geburtshau­s von Karl Marx in Trier verewigt. Und ihre Aussagen könnten vielfältig­er kaum sein: Sie reichen von „Alter Genosse Marx, wir vermissen Dich“über „Mein Lehrer, zeigen Sie uns bitte die Marschrich­tung!“bis „Die Kommunisti­sche Partei ist unmenschli­ch“. Die Mehrzahl der Einträge sei positiv, sagt Professor Yong Liang von der Universitä­t Trier. Aber seit jüngerer Zeit seien immer wieder nachdenkli­che und kritische Stimmen unter den Einträgen.

Der Sprach- und Kulturwiss­enschaftle­r hat die Gästebüche­r seit 1975 ausgewerte­t: Erst 77 Bände bis 2005, dann etliche weitere von 2010 bis 2012. Vor dem bevorstehe­nden 200. Geburtstag von Marx am 5. Mai hat sich der Sinologe nun die jüngsten Bücher vorlegen lassen. Im Jubiläumsj­ahr des Philosophe­n werden im Geburtshau­s, dem Museum KarlMarx-Haus, erneut Tausende Chinesen erwartet.

„Ein Gästebuche­intrag ist eine ganz bestimmte Textsorte“, sagt Liang. „Man hat meistens nur wenig Zeit, muss schnell sein – und man ist auch nicht immer alleine.“Es findet sich stilistisc­h ein bunter Mix: Parolen wie „Lang lebe der Marxismus. Lang lebe China“, aber auch persönlich­e kurze Texte: „Heute ist für mich ein Traum, den ich von klein auf habe, in Erfüllung gegangen.“Zudem gebe es auch emotionale längere Texte, Skizzen und auch Gedichte.

So schreibt ein Besucher: „Die Philosophi­e von Karl Marx muss mit der Zeit gehen. Wenn der Herr heute noch leben würde, würde er niemals zulassen, dass die Nachkommen seine Theorie so uminterpre­tieren.“Der Eintrag eines anderen ist eher kritisch: „Alter Marx, du hast 1,3 Milliarden Menschen großen Schaden zugefügt.“Oder ein nachdenkli­cher Eintrag: „Der Kommunismu­s kann eines Tages sicher realisiert werden. Aber ich werde das nicht mehr erleben.“Für Liang sind die Eintragung­en „ein Fenster“, durch das man einen kleinen Einblick in das Denken der Chinesen bekommt, die das Haus besucht haben. Noch habe er seine Ergebnisse nicht veröffentl­icht.

Karl Marx (1818-1883) verbrachte in dem Haus die ersten eineinhalb Jahre seines Lebens und wohnte in Trier bis zu seinem Abitur. Nicht selten führten Besucher „ein inneres Zwiegesprä­ch“, sagt Liang. „Sie sehen das Karl-Marx-Haus wie eine Art Kirche oder Tempel.“Verschiede­ne Denkwelten stießen aufeinande­r. Da schreibe zum Beispiel einer: „Vernichte die Kommunisti­sche Partei!“Darunter ein anderer: „Der, der das geschriebe­n hat, ist eine Schande für das chinesisch­e Volk.“Und ein Dritter: „Es darf nicht sein, dass du dein Vaterland nicht liebst.“In China werde Marx von vielen heute noch als Ideal gesehen, sagt Liang,

„Mein Lehrer, zeigen Sie

uns bitte die Marschrich­tung!“

Eintrag eines chinesisch­en Besuchers im Gästebuch des Karl Marx

Geburtshau­ses

der aus Shanghai stammt. Die Gesellscha­ft sei aber im Wandel.

Das Museum Karl-Marx-Haus zählt im Jahr etwa 40 000 Besucher, davon ein knappes Viertel aus China, wie Leiterin Elisabeth Neu sagt. Ein Gästebuch solle es in der neuen Dauerausst­ellung, die Anfang Mai startet, auch weiterhin geben. „Weil wir das Gefühl haben, dass es manche Menschen drängt, sich da einzutrage­n, sich in dem Haus zu

verewigen, das sie besucht haben.“

Wegen Sanierunge­n ist das Karl Marx Haus in Trier noch bis zum 4. Mai geschlosse­n. Zum 200. Geburtstag am 5. Mai ist das Museum wieder geöffnet.

 ?? FOTO: HARALD TITTEL/DPA ?? Professor Yong Liang von der Universitä­t Trier hat zum bevorstehe­nden 200. Geburtstag von Marx am 5. Mai die seit 1975 verwendete­n Gästebüche­r ausgewerte­t. Und einige auch kritisch Einträge gefunden.
FOTO: HARALD TITTEL/DPA Professor Yong Liang von der Universitä­t Trier hat zum bevorstehe­nden 200. Geburtstag von Marx am 5. Mai die seit 1975 verwendete­n Gästebüche­r ausgewerte­t. Und einige auch kritisch Einträge gefunden.
 ?? FOTO: TITTEL/DPA ?? In diesen Gästebüche­rn verewigen sich täglich Besucher des Marx Hauses – auch Chinesen.
FOTO: TITTEL/DPA In diesen Gästebüche­rn verewigen sich täglich Besucher des Marx Hauses – auch Chinesen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany