Lieber für etwas sein statt nur gegen alles
Wie Rutger Bregman für ein bedingungsloses Grundeinkommen mobil macht und welche Argumente er hat.
in Dauphin zu Zeiten des gewährten Grundeinkommens um 8,5 Prozent zurückgingen. Und sich schulische Leistungen „wesentlich verbesserten“und „niemand, außer Studenten und Müttern, zu arbeiten aufhörte“– wie Bregman in einem Vortrag auf youtube näher ausführt, der die Thesen seines Buchs komprimiert.
Ein bedingungsloses Grundeinkommen versteht er als ein gesellschaftliches Risikokapital. So zitiert Bregman eine Erhebung der britischen Regierung, derzufolge diese jeder Obdachlose jährlich 30 000 Pfund koste (Sozialdienste, Polizeieinsätze, Rechtskosten inklusive). Im US-Bundesstaat Utah gelang es, die Obdachlosenquote durch das Bereitstellen kostenloser Unterkünfte um 74 Prozent zu senken – der Staat sparte pro Wohnungslosem jährlich weiterhin knapp 6000 Dollar an Sozialkosten. An anderer Stelle erwähnt Bregman eine Studie der Regierung Ugandas, die 12 000 Bürgern (alle 16 bis 35 Jahre alt) 2008 monatlich 382 Dollar zukommen ließ – fünf Jahre später hätten die Empfänger ihr Einkommen durchschnittlich um fast 50 Prozent erhöht. Nach Bregmans (auf ihre Seriösität leider schwerlich abzuklopfenden) Berechnungen ließen sich mit einer Basissicherung im Gesamtvolumen von 175 Milliarden Dollar, was 25 Prozent des US-Verteidigungshaushalts entspräche, alle Amerikaner über die Armutsschwelle heben. Weltweit, schreibt er, würden mittlerweile 110 Millionen Familien von „Direktzahlungsprogrammen als bester Waffe im Kampf gegen Armut“profitieren. Um die Jahrtausendwende setzte noch niemand auf solche Programme – eines von vielen Indizien, die laut Bregman zeigen, dass auch das 2014 noch nahezu unbekannte Thema „Grundeinkommen“in einigen Jahren Bestandteil staatlicher Daseinsvorsorge sein könnte.
Sein Konzept zielt auf viel mehr als „nur“Armutsvermeidung. Geht es ihm doch auch um die Zerschlagung eines großen gesellschaftlichen Narrativs: die Idealisierung von Arbeit. Dass nicht erst in diesen technoiden Zeiten, in denen Roboter bereits Hunderttausende von Arbeitsplätzen überflüssig gemacht haben (und weltweit Abermillionen weitere noch eliminiert und eine strukturelle Arbeitslosigkeit erzeugen werden), führende Ökonomen unseren Überfluss an Freizeit als maßgebliches Zukunftsproblem erkennen – diese Steilvorlage lässt Bregman natürlich nicht aus. Und zitiert etwa den britischen Wirtschaftswissenschaftler John Maynard Keynes (Begründer des bis heute maßgeblichen „Keynesiasmus“, neben dem Neoliberalismus Milton Friedman’scher Prägung die bis heute wichtigste Wirtschaftstheorie). Keynes prognotizierte 1930 in einem Vortrag die 15-Stunden-Woche bis 2030. Dass die Freizeitgesellschaft bis heute auf sich warten lässt, erklärt Bregman interessanterweise unter anderem mit dem durchschlagenden „Erfolg der feministischen Revolution“. Hinzu kommt, dass Vielbeschäftigtsein heute vielen als Statussymbol gilt – vor allem jenen, die ihr Job erfüllt.
Aber all die anderen? Sehr viel mehr Menschen, die (nach einem Wort des an der Londoner School of Economics lehrenden Anthropologen David Graeber und Autor des Bestsellers „Schulden. Die ersten 5000 Jahre“) „Bullshit-Jobs“verrichten müssten, fehle diese Zufriedenheit mit ihrer Arbeit, führt Bregman aus. Ein bedingungsloses Grundeinkommen könnte sie in die Lage versetzen, sich fortzubilden und ihren Talenten gemäßere Jobs zu finden. Um Keynes’ 15-Stunden-Woche zu realisieren, sei der Weg noch lang, macht sich der holländische Propagandist keine Illusionen. Finanzieren ließe es sich für ihn durch die Einführung einer Finanztransaktionssteuer sowie dadurch, dass Arbeitskosten pro Arbeitsstunde statt pro Arbeitnehmer berechnet würden.
Auch wenn Bregmans Visionen im Detail unausgreift scheinen – anregend sind seine „Utopien für Realisten“zweifellos. „Je näher die Welt zusammenrückt, desto kleiner wird die Zahl der Gewinner“, schreibt er. Weil dies bei aller Polemik nahe an der Wahrheit liegt: Wollen wir, dass dies auch so bleibt? Utopien wie die Bregmans lassen uns wieder über Auswege nachdenken. Dass radikale Vorschläge heute zu schnell abgetan werden, hat einen einfachen Grund: Politiker denken nur noch in Wahlperioden. Extrempositionen können sie sich nicht leisten. Aber wir.
Rutger Bregman: Utopien für Realisten. Rowohlt, 303 S., 18 €.
Extrakt von Bregmans Thesen auf youtube unter: www.ted.com/talks/rutger_bregman_poverty_isn_t_a_lack_of_ character_it_s_a_lack_of_cash?language=de#t-569255