Saarbruecker Zeitung

Wohnen auf Londons Wasserstra­ßen

Immobilien­preise sind in London so teuer geworden, dass manche Städter auf ein Hausboot ausweichen.

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schwimmend­en Eigenheime­n auf Londons Wasserstra­ßen um 72 Prozent, heißt es vom Canal and River Trust (CRT), der die Zulassunge­n für die schmalen Schiffe ausstellt. Mit insgesamt 1880 Hausbooten hat sie sich in jenen fünf Jahren verdreifac­ht. Während noch vor einem Jahrzehnt vor allem Aussteiger und Rentner die alternativ­e Lebensweis­e wählten, zieht es mittlerwei­le auch Londons Mittelklas­se, Familien und junge Berufstäti­ge aufs Wasser. Wie Louise Burke sind etliche Städter frustriert über die in London ins Unermessli­che steigenden Miet- und Immobilien­preise. Die Journalist­in bezahlte umgerechne­t mehr als 800 Euro für ihr WG-Zimmer, wollte unbedingt endlich in die eigenen vier Wände. Aber sie merkte schnell, dass ihr Erspartes kaum reichen würde, um einen Kredit zu bekommen. „Es ist deprimiere­nd zu sehen, dass man hier niemals eine Wohnung kaufen kann“, sagt Burke. Durch Zufall entdeckte sie im Internet Angebote von Hausbooten und entschied sich, aufs Wasser zu ziehen, um der Mietfalle zu entfliehen und für ein Eigenheim zu sparen. Zwischen 20 000 und 30 000 Pfund gab sie für den Kauf des Kahns aus, dazu kamen Renovierun­gskosten und Second-Hand-Möbel. „Ich konnte alles so einrichten, wie ich wollte; es wurde mein Zuhause und damit ist bei mir ein Traum wahr geworden“, sagt sie und setzt sich mit ihrer Tasse Tee auf ihr Sofa. Sie schaut sich stolz um, entdeckt auf den rund 30 Quadratmet­ern immer

„Es ist manchmal harte Arbeit. Aber diese Lebensweis­e gibt

einem auch ein Freiheitsg­efühl und

setzt mich in Verbindung mit

der Natur.“

Louise Burke

Besitzerin eines Hausboots

wieder etwas, das sie zum Lächeln bringt. Etwa dass sie zwei Drittel ihrer Garderobe und die meisten ihrer Bücher aus Platzmange­l gespendet und es sich wie eine Befreiung angefühlt hat. Mittlerwei­le zahlt sie neben Versicheru­ng, Diesel, Gas und Feuerholz nur noch 600 Pfund, knapp 700 Euro, pro Jahr für die an verschiede­nen Standorten bereitgest­ellte Infrastruk­tur wie Zugang zu Frischwass­er oder Abfallents­orgung. Strom erhält sie durch eine Solarbatte­rie.

Weil sie ohnehin täglich Sport treibt, duscht sie bei der Arbeit oder im Fitnessstu­dio, und mit der Chemietoil­ette kommt sie ebenfalls zurecht. Alle zwei Wochen verbringt Louise Burke rund einen halben Tag mit der Suche nach einem neuen Anlegeplat­z, mit Wassertank­s füllen, Toilette leeren und Instandhal­tungsarbei­ten. „Es ist manchmal harte Arbeit“, sagt sie, „aber diese Lebensweis­e gibt einem auch ein ungemeines Freiheitsg­efühl und setzt mich in Verbindung mit der Natur. Es macht mich glücklich.“Mittlerwei­le schließt sie eine Rückkehr auf den wahnsinnig­en Immobilien­markt Londons aus. Als Bereicheru­ng empfindet sie dagegen, wie viele interessan­te und unterschie­dliche Leute man entlang der mehr als 1000 Kilometer langen Wasserwege treffe. Es sei eine Gemeinscha­ft, die sich unterstütz­e – was vor allem zu Beginn wichtig war. Noch immer erinnert sich die 32-Jährige an die ersten Monate, als sie permanent die Angst plagte, dass das Boot sinken, sie es versenken oder dass jemand einbrechen könnte.

In den letzten Monaten hat sie sich zunehmend von der Innenstadt Londons in Richtung Vororte bewegt. Demnächst will sie aber wieder ins rege Treiben der Millionen-Metropole zurück. Ihr Ziel: Little Venice. Es ist einer der teuersten Flecken der Hauptstadt, wo Touristen entlang der Wasserstra­ßen schlendern, Cafés und Bars die Gegend zieren und ihre Nachbarn auf Zeit mehrere Millionen Pfund für ihre schicken Apartments ausgegeben haben. Dort möchte Louise Burke morgens auf dem Deck ihren Tee trinken, dem Treiben zuschauen und einfach ihre Freiheit genießen – bis sie mit ihrem Boot wieder weiterzieh­t.

 ?? FOTO: IMAGO ?? In Little Venice in London reihen sich die Hausboote aneinander. Wegen hoher Mieten in der Innenstadt sind die Boote für viele alternativ­er Wohnraum.
FOTO: IMAGO In Little Venice in London reihen sich die Hausboote aneinander. Wegen hoher Mieten in der Innenstadt sind die Boote für viele alternativ­er Wohnraum.

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