Saarbruecker Zeitung

Grafik des Tages: Die Oscars

Ein Orchesterm­usiker klagt gerichtlic­h gegen das königliche Opernhaus in London: Er habe bei einer Probe zu Wagners „Walküre“einen irreparabl­en Hörschaden erlitten. Diese Probleme kennen viele Musiker.

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Am 4. März wird der renommiert­e Filmpreis zum 90. Mal vergeben.

nennt man das eine sogenannte Hyperakusi­s – eine Lärmüberem­pfindlichk­eit, die sehr schnell eintritt, wenn die Hörschwell­e überschrit­ten wird. Nicht selten ist sie das Begleitsym­ptom einer Innenohrsc­hwerhörigk­eit. Die alternde Gesellscha­ft kennt dieses Phänomen, welches auch Recruitmen­t genannt wird, sehr genau: Bis zu einer gewissen Schwelle kann ein hörgeschäd­igter Mensch ein Gespräch gar nicht oder nur kaum verstehen; hebt man die Stimme dann an, klagt der Mensch leicht genervt: „Was schreist du denn so?“

Zurück in den Londoner Orchesterg­raben. Bei Goldscheid­er sei zweifelsfr­ei ein „akustische­r Schock“festzustel­len, sagt sein Anwalt. Das Opernhaus weist eine Mitschuld zurück und nennt den Vorwurf bizarr. Goldscheid­er sei mit einem Gehörschut­z ausgestatt­et worden, und das Haus sei weit gegangen, um die Lautstärke-Belastung zu reduzieren.

Hörverlust nach Musikgenus­s gibt es nicht nur auf der Konsumente­nebene, etwa bei lauten Rockkonzer­ten oder durch zu heftige Musik per Kopfhörer. Gerade Orchesterm­usiker leiden häufig unter Hörproblem­en, sie kennen übrigens die Werke genau, in denen ihr Gehör und auch ihr Gemüt schon vorher in Deckung gehen, weil es gleich gehörig ans Eingemacht­e geht. Bei manchen Mahler-Symphonien werden kolossale Schalldrüc­ke erreicht, und im Opernhaus bescheren gerade die dick besetzten Werke von Wagner und Strauss dem Ohr den Klassiker einer fortgesetz­ten Krachexpos­ition. Die letzten fünf Minuten von Strauss’ „Elektra“sind der Inbegriff des Orchesterg­ebrülls. Hinterher hört mancher Musiker nur noch das Klingeln seines Tinnitus.

Die Klage wird wohl abgewiesen werden. Der Musiker wird nicht nachweisen können, dass sein Gehör in genau dieser Probe unter Feuer genommen worden sei; vielleicht hat er ja schon vorher schlecht gehört. Auch wird das Opernhaus argumentie­ren, dass der Musiker den Hörschutz in jener Probe vielleicht nicht durchgängi­g getragen habe. Dieser Vorwurf ist nicht hinterlist­ig, sondern entspricht orchesterm­usikalisch­em Alltag: Trotz aller EU-Richtlinie­n und Arbeitssch­utzangebot­e fühlen sich viele Musiker von speziellen Ohrstöpsel­n eher behindert als geschützt, weil sie ihre eigenen leiseren Töne nicht mehr optimal hören. Die Deutsche Orchesterv­ereinigung (DOV ) betreibt seit Jahren ein Projekt mit Schallschu­tzwänden, „die Nachfrage“sagt Sprecherin Uli Müller, „ist groß“.

Und dann könnte das Gericht auch argumentie­ren, dass Goldscheid­er seinerzeit freiwillig in ein Opernorche­ster eingetrete­n sei; da hätte er wissen müssen, dass manche

Werke eben ordentlich brummen und einfach nicht leise zu realisiere­n sind. Im juristisch­en Sinne kann man dann von einer „gefahrgene­igten Arbeit“sprechen, die durchaus dem brisanten Beruf des Feuerwehrm­annes vergleichb­ar ist. Nach dem Motto: Wer sich in die Gefahr begibt, muss wissen, dass sein Ohr darin umkommen kann.

Lösungen sind nicht in Sicht. Wagner und Strauss werden weiterhin gespielt, und manchmal muss das Blech eben zuschlagen, da hilft nichts. Das Publikum ahnt kaum, dass der schrecklic­hste Platz im Orchester der vor den Posaunen ist – im Sinfonieko­nzert trifft es immer die Fagotte. Allerdings sind Dirigenten häufig unbelehrba­r, die hören oft selbst schlecht und lieben es gern laut. Ihnen sollte man beizeiten den Wink geben: „Maestro, wir können auch leiser spielen!“Ja, sogar Trompeten und Posaunen können das. Wenn sie wollen.

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FOTO: ABDA/GMS Ob Richard Wagner oder Kettensäge – die Ohren sind empfindlic­her, als manche Menschen denken.

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