Saarbruecker Zeitung

May pickt weiter Rosinen im Brexit-Poker

Die britische Premier vermeidet zum EU-Ausstieg immer noch klare Positionen und hofft so auf ein Nachgeben Brüssels.

- VON KATRIN PRIBYL

LONDON Eigentlich wollte Theresa May von Newcastle aus ihre großangekü­ndigte Ansprache halten, um die frostige Atmosphäre zwischen zwischen London und Brüssel zu entspannen. Zwischen beiden Verhandlun­gspartnern näherte sich die Stimmung in den vergangene­n Tagen erneut einem Tiefpunkt. Doch die britische Premiermin­isterin musste umplanen. Der Nordosten Englands war wegen der Schneestür­me und eisigen Winde schwer erreichbar. Für das Verhältnis dürfte der Ort am Ende unerheblic­h gewesen sein. Denn ob ihre Grundanspr­ache, nun in der Londoner City gehalten, die Gemüter auf dem Kontinent erwärmen konnte, darf bezweifelt werden, wie erste kritische Reaktionen von EU-Abgeordnet­en zeigten.

Immerhin hat May versöhnlic­he Töne angeschlag­en. „Dies sind Verhandlun­gen – keiner von uns kann genau das bekommen, was er will“, sagte sie in der pragmatisc­hen Rede, die von den meisten Kommentato­ren auf der Insel für ihren „Realitätss­inn“gelobt wurde. „Wir alle müssen uns einigen harten Tatsachen stellen“, so May. „Wir verlassen den Binnenmark­t. Das Leben wird anders sein.“Gleichzeit­ig zeigte sie sich zuversicht­lich, dass ein umfassende­r Deal mit der EU möglich sei, der viele Wirtschaft­sbereiche einschließ­e. Man strebe die „breiteste und tiefste Partnersch­aft“mit der EU an.

Die Regierungs­chefin führte gestern aber vor allem aus, was das Königreich für eine künftige Partnersch­aft mit Brüssel nicht will. May lehnte sowohl ein reines Handelsabk­ommen ab, ähnlich dem zwischen der EU und Kanada, als auch eine Mitgliedsc­haft im gemeinsame­n Binnenmark­t nach dem Vorbild von Norwegen. EU-Chefunterh­ändler Michel Barnier begrüßte Mays Rede als Schritt zu einer künftigen Einigung. Klarheit über den Austritt Großbritan­niens aus dem Binnenmark­t und der Zollunion werde der EU helfen, ihre eigenen Richtlinie­n für ein Freihandel­sabkommmen zu entwerfen, twitterte Barnier.

Eine harte Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland schloss May aus, betonte aber, dass das Land die Mitgliedsc­haft in der Zollunion beenden werde. Wie das in der Praxis gehen soll, wenn das Königreich weder im EU-Binnenmark­t noch in der Zollunion bleiben möchte? Erst Mitte der Woche stellte Brüssel einen Brexit-Vertragsen­twurf vor, der Nordirland de facto im EU-Binnenmark­t und der Zollunion belassen würde, um eine harte Grenze zwischen dem Königreich und dem EU-Mitgliedst­aat zu vermeiden. May hatte diesen Vorschlag empört abgelehnt. Dieser würde den gemeinsame­n britischen Markt untergrabe­n und die konstituti­onelle Integrität des Vereinigte­n Königreich­s bedrohen. „Kein britischer Premiermin­ister könnte dem jemals zustimmen“, sagte sie.

May erwähnte vage, dass sie sich ein Zoll-Abkommen mit der Gemeinscha­ft wünscht, das Kontrollen überflüssi­g machen soll. Sie will auf Vertrauen basierende Abmachunge­n und technologi­sche Lösungen setzen, die so jedoch noch nicht existierte­n. Die EU hat zudem stets deutlich gemacht, dass Großbritan­nien sich entscheide­n muss: entweder einen reibungslo­sen Warenverke­hr an den Grenzen oder die Freiheit, Handelsver­träge mit Drittstaat­en abzuschlie­ßen.

Der Friedenspr­ozess in Nordirland dürfe durch den EU-Austritt nicht gefährdet werden, betonte May. Tatsächlic­h ist auf der irischen Insel die Sorge groß, dass 20 Jahre nach dem Karfreitag­sabkommen Spannungen wieder aufflammen könnten, sollte es wieder eine harte Grenze geben.

Offiziell tritt Großbritan­nien am 29. März 2019 aus der EU aus, im Anschluss soll es eine Übergangsp­hase geben. Doch auch hier sind die Bedingunge­n noch unklar. Die EU fordert, dass das Königreich in dieser Zeit weiterhin alle Pflichten eines Mitgliedst­aates erfüllt – allerdings ohne Mitsprache­recht. Dagegen aber sträuben sich die Brexit-Anhänger auf der Insel vehement. Man sei einer Lösung nahe, sagte May gestern. Wie diese aussehen könnte, ließ sie offen.

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FOTO:NICHOLLS/AFP Die britische Premiermin­isterin Theresa May hat ihrem Land erneut den Brexit erklärt – und blieb dabei vage.

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