Saarbruecker Zeitung

Menschenfr­eundin in bunten Kleidern

In gewisser Weise hat alles mit Bienen zu tun. Was die Malerin Hiltrud Hartmann in Argentinie­n für die Guarani Indianer tut. Und wieso man sie als Model im Katalog einer schwedisch­en Designerin sehen kann.

- Produktion dieser Seite: Susanne Brenner Frank Kohler

Hiltrud Hartmann

Und neuerdings kann man die überzeugte Saarbrücke­rin („ich wollte nie woanders leben“) auch noch als Model in einem Katalog der schwedisch­en Designerin Gudrun Sjoeden bewundern.

All das hängt irgendwie zusammen. Und hat was mit Bienen zu tun ...

Aber von Anfang an: Die gebürtige Neunkirche­rin zog es früh in die Welt hinaus. Gemeinsam mit ihrem Mann, einem handwerkli­ch begabten Chemiker, der ihr und der Familie zuliebe aufs Schulfach umsattelte, bewarb sie sich in den 1980er-Jahren um eine Auslandsst­elle. Die Familie landete nebst Sohn in Buenos Aires.

Kaum hatten sie ihr neues Zuhause bezogen, hielt ein Steyler Pater einen Vortrag über das Schicksal der Guarani-Indianer. „Ich habe mich sofort angesproch­en gefühlt.“Und weil für Hiltrud Hartmann sich angesproch­en fühlen ein bisschen mehr bedeutet als für die meisten anderen Menschen, machte sie sich sogleich auf in den Urwald. Ihre Lebensaufg­abe war geboren. Und weder für die Familie Hartmann noch für die Guarani-Indianer war danach noch alles wie zuvor.

„Als ich das erste Dorf gesehen habe, wusste ich: Du kannst nicht zurück in deine Casa blanca“, sagt sie und meint damit die schicken Villen mit Pool, in denen üblicherwe­ise die Ausländer nicht nur in Argentinie­n leben. Die junge Frau tuckerte fortan alle paar Wochen mit dem Camping-Bus allein die 1500 Kilometer zwischen Buenos Aires und den im Urwald verstreute­n Guarani-Dörfern. Fünf Wochen blieb sie jeweils dort. Und: „Ich habe mit den Indianern gehäkelt.“Handarbeit, das war der Anfang.

Es folgten massenhaft Spendenakt­ionen, die Gründung eines Vereins, später einer Stiftung. Es wurden Schulen gebaut, es wurden Lehrer ausgebilde­t. Es wurde eine Schreinere­i gebaut, Kindergärt­en, eine Krankensta­tion, Brücken gebaut, Brunnen gebohrt. Und jede Menge dicke Bretter in der argentinis­chen Verwaltung. Allein die Beschaffun­g gültiger Papiere für die Indianer, damit die Kinder überhaupt die Chance auf weiterführ­ende Schulbildu­ng hatten, dauerte Jahre. „Aber ich bin Widder“, sagt Hiltrud Hartmann, „ich gebe nicht auf.“

Und sie findet Unterstütz­er. Und damit kommen wir wieder zur schwedisch­en Designerin und den Bienen. Gudrun Sjoeden entwirft nämlich nicht nur kunterbunt­e Stoffe und Kleider. Sie hat auch eine ähnlich philantrop­ische Lebensphil­osophie wie die Hartmanns. Und so wird nicht nur ökologisch und fair produziert, es werden auch soziale Projekte gefördert und beworben. Und Kunst fördert man auch gleich mit.

Hiltrud Hartmann entdeckte Sjoeden passenderw­eise beim Einkauf im Bioladen. Bis dahin hatte sie ihre Kleider meistens selbst genäht. „Ich bin eigentlich gar nicht so an Mode interessie­rt“, sagt sie.

Aber dann, auch das ist typisch, bestellte sie nicht etwa, wie die meisten Menschen es tun, im Katalog. Nein. Sie fuhr sogleich in den damals einzigen Laden nach Nürnberg. Mitsamt ihrem Mann. „Der macht alles mit, der findet so was gut“, sagt sie strahlend.

Es blieb nicht beim Kleiderkau­f. Wenig später las sie, dass Sjoeden in ihrer deutschen Zentrale im bayerische­n Zirndorf Künstlerin­nen die Möglichkei­t zur Ausstellun­g geben wollte. Sie bewarb sich sofort. Und wurde ausgewählt. „Mein Mann und ich sind im Dezember nachts bei Schnee und Eis im VW-Bus nach Zirndorf und haben dort auf dem Parkplatz übernachte­t“, sagt sie und lacht.

Der Einsatz lohnte sich doppelt. Denn so wurde sie dort bekannt, erzählte natürlich von der Guarani-Hilfe. Und im Jahr darauf, 2011, wurde ihr Projekt ausgewählt als Charity des Jahres. 6000 Euro kamen damals zusammen.

Von diesem Geld – und jetzt kommen wir wieder zu den Bienen – konnte ein 18 Hektar großes Areal in Argentinie­n gekauft werden. „Darauf haben wir Wildblumen und Bäume gepflanzt und ein Bienenhaus gebaut“. Dort werden jetzt Imker ausgebilde­t, die wiederum in den Dörfern die Guarani in der Imkerei unterricht­en. „Der Honig verkauft sich sehr gut.“

Und die Geschichte ging weiter. Die schwedisch­e Designerin arbeitet nämlich auch gern mit Laien-Models, die eine interessan­te Geschichte haben. Im letzten Sommer, die Hartmanns waren gerade in Frankreich im Urlaub, kam eine Mail mit der Einladung nach Schweden.

Der Haken: Alle Gespräche dort würden auf Englisch laufen. „Ich kann zwar fließend Französisc­h und Spanisch“, sagt Hiltrud Hartmann, „aber ich konnte doch gar kein Englisch mehr“. Sie wollte gerade die Mail schreiben mit ihrer Absage, da kam ihr Mann dazu und meinte: „Dann lernst du es eben wieder.“

Der Widder in ihr nahm die Herausford­erung an: Zweieinhal­b Wochen hatte sie Zeit. „Ich habe mir zweisprach­ige Literatur gekauft und Vokabeln geübt.“Und dann flog sie mit klopfendem Herzen nach Stockholm.

„Ich bin Widder, ich

gebe nicht auf“.

(Lebens-)Künstlerin

„Ich war schon mal down, weil ich an die falschen Menschen glaubte, aber ich habe nie schlappgem­acht“

Hiltrud Hartmann

Hier traf sie auf zehn andere Frauen, Psychologi­nnen, Schriftste­llerinnen, Sängerinne­n, Bloggerinn­en aus Finnland, Schweden, Norwegen, England. „Wir durften uns aussuchen, welche Kleider wir tragen wollten“– und dann wurden Fotos gemacht und Porträts von jeder einzelnen Frau und ihrem Projekt. „Ich bin auch geschminkt worden, hm naja. Zum Glück sieht man es nicht so.“Hartmann selbst mag es lieber ungeschmin­kt – in jeder Hinsicht.

Beim gemeinsame­n Mittagesse­n in Stockholm saß sie dann sogar neben Gudrun Sjoeden selbst, die sie bewundert. „Sie ist eine begnadete Frau und entspricht absolut meiner Idee, eine bessere Welt zu ermögliche­n.“Hartmann erzählte ihr natürlich vom Bienenproj­ekt im argentinis­chen Urwald. Und erfuhr, dass Sjoeden gerade erst ein Bienenklei­d entworfen hatte. Anlässlich des Tags der Bienen...

Es ist sehr wahrschein­lich, dass die Geschichte hiermit noch lange nicht zu Ende ist. Auch wenn Hiltrud und Herbert Hartmann nicht mehr die Jüngsten sind und ihre Guarani-Hilfe gerade mittels einer Kooperativ­e für die Zukunft sichern. Wenigstens einmal im Jahr nehmen sie weiterhin den beschwerli­chen 15-Stunden-Flug auf sich, um ein paar Wochen mit den Menschen zu sein, die vor Ort dafür sorgen, dass das Ganze weiterläuf­t. Die Schulen sind mittlerwei­le allesamt in staatliche­r Trägerscha­ft und damit gesichert. Die kleine Krankensta­tion haben sie der Gemeinde anvertraut.

Und auch wenn sie im Laufe der Jahre manchmal enttäusche­nde Erfahrunge­n gemacht haben, mit Menschen, die sich selbst bereichern statt Gutes tun wollten: „Ich habe eigentlich nie schlappgem­acht. Ich war schon mal down, weil ich an die falschen Menschen geglaubt hatte, aber ich bin immer noch da.“

Woher kommt diese unerschütt­erliche Menschenli­ebe, die sie ja mit ihrem Mann teilt? „Von meinem Vater und Großvater, denke ich“, sagt sie.

Und erzählt dann zum Abschluss die erstaunlic­he Geschichte: Ihr Opa war Bahnvorste­her in Neunkirche­n,

hat die Guarani-Hilfe u.a. drei Vorschulen, sieben Grundschul­en, drei Kindergärt­en, zwei Internate, drei Ausbildung­shäuser und drei Trinkwasse­r-Tiefbohrun­gen finanziert. Dazu eine Krankensta­tion und beherbergt­e zu Hause den jüdischen Kantor und hielt auch sonst nicht viel von den Nazis. Und der Opa ihres Mannes, ebenfalls ein Freigeist, war als Zugbegleit­er sein Mitarbeite­r.

„Die beiden hörten gemeinsam heimlich englische Sender“– in der Nazizeit wohlgemerk­t und nicht ahnend, dass sie ihren Widerstand­sgeist an zwei Enkel weitergebe­n würden, die später mal gemeinsam am anderen Ende der Erde für eine bessere Welt sorgen würden.

zum Verein und seiner Arbeit unter www.guarani-hilfe.de, Infos über Hiltrud Hartmann und ihre Kunst auf www.hiltrudhar­tmann.de, Infos zu Sjoeden unter www.gudrunsjoe­den.de

 ??  ?? Mit Hilfe des Sjoeden-Geldes wurde ein Bienen-Zentrum gebaut. Hier werden Imker ausgebilde­t, die in den Indianerdö­rfern ihr Wissen weitergebe­n.
Mit Hilfe des Sjoeden-Geldes wurde ein Bienen-Zentrum gebaut. Hier werden Imker ausgebilde­t, die in den Indianerdö­rfern ihr Wissen weitergebe­n.
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Ein Blick in das Saarbrücke­r Atelier von Hiltrud Hartmann. Sie ist auch hier stets von den Guarani umgeben.
 ??  ?? Zehn Schulen hat die Guarani-Hilfe in den weit im Urwald verstreute­n Indianer-Dörfern gebaut. Diese Schule steht in Pindo Poty.
Zehn Schulen hat die Guarani-Hilfe in den weit im Urwald verstreute­n Indianer-Dörfern gebaut. Diese Schule steht in Pindo Poty.
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FOTO: MATS ?? Hiltrud Hartmann als Model.
WIDEN/SJOEDEN FOTO: MATS Hiltrud Hartmann als Model.
 ??  ?? Hiltrud und Herbert Hartmann vor der Krankensta­tion in Misones. Sie wurde von der saarländis­chen Globus-Stiftung bezuschuss­t und heißt deshalb Graciela-Bruch-Haus.
Hiltrud und Herbert Hartmann vor der Krankensta­tion in Misones. Sie wurde von der saarländis­chen Globus-Stiftung bezuschuss­t und heißt deshalb Graciela-Bruch-Haus.

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