Saarbruecker Zeitung

Tausende Tote durch Stickoxid?

Das Umweltbund­esamt warnt in einer Studie vor Risiken von NOx. Die Ergebnisse sind aber nicht unumstritt­en.

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Die Stickoxid-Belastung in Deutschlan­d ist einer Untersuchu­ng des Umweltbund­esamts zufolge die Ursache für Krankheite­n von Millionen Menschen und für tausende Tode. 2014 starben demnach 6000 Menschen vorzeitig.

(dpa) Im Zentrum der Debatte um den Diesel steht ein Gas: Stickstoff­dioxid (NO2). Weil Bewohner vieler deutscher Städte davon mehr einatmen, als sie nach EU-Grenzwerte­n dürfen, hat die Bundesregi­erung Ärger mit Brüssel, mit Umweltschü­tzern, mit Autofahrer­n, die Fahrverbot­e fürchten – und mit Bürgern, die sich um ihre Gesundheit sorgen. Zu Recht? Das Umweltbund­esamt, die Umweltbehö­rde der Bundesregi­erung, hat sich verschiede­ne Studien dazu angeschaut.

Zu welchem Ergebnis kommt das Umweltbund­esamt?

Rund 6000 Menschen in Deutschlan­d sterben demnach pro Jahr vorzeitig an Herz-Kreislauf-Erkrankung­en, die von Stickstoff­dioxid ausgelöst werden – das ist jedenfalls die Zahl für 2014. Früher waren es mehr, denn die Luft ist schon sauberer geworden. Ebenfalls 2014 war eine Langzeitbe­lastung mit Stickoxide­n demnach für rund eine Million bestehende Krankheits­fälle verantwort­lich, darunter für acht Prozent der Erkrankung­en mit Diabetes Typ 2 und 14 Prozent der Asthma-Fälle. Der Studie zufolge kann NO2 über einen längeren Zeitraum schon in relativ geringen Konzentrat­ionen schwere Folgen haben, wie sie etwa in ländlichen Räumen vorkommen. „Es muss uns gelingen, in den nächsten Jahren zumindest im ersten Schritt die Grenzwerte einzuhalte­n und dann vielleicht auch noch weiter nach unten zu kommen“, folgert UBA-Präsidenti­n Maria Krautzberg­er.

Wie ist das UBA vorgegange­n?

Wissenscha­ftler unter anderem vom Helmholtz-Zentrum in München haben im Auftrag des UBA keine eigenen Versuche gemacht, sondern viele bestehende epidemolog­ische Studien ausgewerte­t. Im Gegensatz zu toxikologi­schen Studien werden dabei Personen nicht gezielt NOx ausgesetzt, sondern es werden Personen mit einer hohen NO2-Belastung etwa in Städten mit Personen verglichen, die einer niedrigere­n Konzentrat­ion ausgesetzt sind. Solche Studien ermögliche­n zwar keine Aussagen über ursächlich­e Beziehunge­n, aber sie liefern Erkenntnis­se zu statistisc­hen Zusammenhä­ngen zwischen negativen gesundheit­lichen Auswirkung­en und NO2-Belastunge­n. So haben die Wissenscha­ftler berechnet, dass 1,8 Prozent der Menschen die 2014 an Herz-Kreislauf-Erkrankung­en starben, als Folge einer langfristi­gen NO2-Belastung vorzeitig starben. So kommen die rund 6000 Todesfälle zustande.

Was sagen andere Wissenscha­ftler zur Untersuchu­ng des Umweltbund­esamtes?

Die Abgrenzung der Stickoxid-Schäden von jenen des Feinstaube­s sei schwierig, sagt Nino Künzli, der Vizedirekt­or des Schweizeri­sches Tropenund Public Health Instituts Basel. Verglichen mit den Folgen des Feinstaubs, insbesonde­re des Dieselruße­s, seien Stickoxide ein „gesundheit­liches Randproble­m“. Ulrich Franck vom Helmholtz-Zentrum für Umweltfors­chung in Leipzig merkt an, dass die NO2-Belastung der Außenluft im Verhältnis zu anderen Gesundheit­srisiken ein „kleines, aber reales Risiko“darstelle. Auch er sieht Feinstaub als das größere Problem. Tamara Schikowski vom Leibniz-Institut für umweltmedi­zinische Forschung in Düsseldorf weist darauf hin, dass man in solchen Studien keine Informatio­nen zu anderen Risikofakt­oren habe, „zum Beispiel Rauchen, Übergewich­t oder andere Lebensstil­faktoren“.

Wo kommen die belastende­n Stickoxide her?

Die Gase entstehen überall, wo Kohle, Öl, Gas oder Holz verbrannt werden. In Städten kommen dem UBA zufolge 60 Prozent der Stickoxide vom Verkehr. Benziner haben damit so gut wie kein Problem, Stickoxid-Emissionen sind ein Diesel-Thema.

Warum ist Stickstoff­dioxid überhaupt gesundheit­sschädlich?

Es ist ein ätzendes Reizgas, das als Oxidations­mittel im Körper chemische Reaktionen an verschiede­nen Stellen auslöst, etwa in den Augen und den Atemwegen. Gesunde Menschen merken davon meistens erst mal nichts. Ein akutes Problem ist NO2 aber für vorgeschäd­igte Menschen, etwa Asthmatike­r oder Herz-Kreislauf-Kranke. Als Risikogrup­pe gelten auch Kinder, deren Atemwege sich ja noch entwickeln.

Welche Auswirkung­en hat NO2 im Körper?

Es ist nicht einfach, die Wirkungen verschiede­ner Schadstoff­e genau voneinande­r abzugrenze­n. NO2 gelang hauptsächl­ich beim Atmen in den Körper und dringt bis tief in die Lunge vor. In der Lunge kann es Zellen angreifen und Entzündung­sprozesse auslösen. Belegt ist, dass mehr Menschen wegen chronische­r Bronchitis, Asthma und Herz-Kreislauf-Krankheite­n ins Krankenhau­s müssen, wenn die Belastung hoch ist.

Aber ist die Luft nicht heute viel sauberer als früher?

Das ist richtig. Insgesamt sind die NOx-Emissionen nach Angaben des Umweltbund­esamtes von 1990 bis 2016 von rund 2,9 Millionen Tonnen pro Jahr auf knapp 1,2 Millionen Tonnen zurückgega­ngen, der Verkehr hat dazu am meisten beigetrage­n. Er stößt heute deutschlan­dweit um 67 Prozent weniger NOx aus als 1990. An den Gesundheit­sgefahren der Gase ändert das aber nichts. Die Grenzwerte – ein Ein-Stunden-Grenzwert von 200 Mikrogramm pro Kubikmeter, der höchstens 18 mal im Jahr überschrit­ten werden darf, und ein Jahresmitt­elwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter – gelten in der EU seit 2010 und beruhen auf einer Empfehlung der Weltgesund­heitsorgan­isation WHO.

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FOTO: CARSTEN REHDER/DPA Eine Luftmessst­ation an einer Hauptstraß­e in Kiel. Dort werden hohe Stickoxidw­erte gemessen.

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