Saarbruecker Zeitung

Justizopfe­r wartet weiter auf Schmerzens­geld

Die zur Zahlung von Schmerzens­geld verurteilt­e Homburger Gutachteri­n ruft jetzt den Bundesgeri­chtshof in Karlsruhe an.

- VON MICHAEL JUNGMANN

Der Marpinger Norbert Kuß, der unschuldig 683 Tage hinter Gittern saß, muss weiter auf Schmerzens­geld warten. Die Homburger Gutachteri­n, die zur Zahlung von 60 000 Euro Schmerzens­geld verurteilt worden war, will nun vor den Bundesgeri­chtshof ziehen.

Der pensionier­te Bundeswehr­beamte Norbert Kuß (74) ist ein geduldiger Mann mit guten, aber oft strapazier­ten Nerven. 683 Tage saß der Marpinger unschuldig hinter Gittern. 2004 verurteilt­e das Landgerich­t Saarbrücke­n den Familienva­ter zu drei Jahren Haft, weil er angeblich eine Pflegetoch­ter missbrauch­t haben soll. Er selbst beteuerte stets seine Unschuld. Seine Verurteilu­ng zu der Haftstrafe basierte wesentlich auf einem fatalen Gutachten der Homburger Gerichtsps­ychologin Professori­n Petra Reetz-Junginger. Sie hatte die Aussagen des Mädchens damals als „erlebnisor­ientiert“und glaubhaft eingestuft. Das Urteil des Landgerich­ts wurde schließlic­h nach einem langen Gang durch die Instanzen nach einem Wiederaufn­ahmeverfah­ren aufgehoben. Kuß, der mit seiner Familie wiederholt vor dem Ruin stand, wurde rechtskräf­tig freigespro­chen. Das war 2013.

Seitdem kämpft das Justizopfe­r vor Zivilgeric­hten um sein gutes Recht. Er fordert von der Gutachteri­n Schmerzens­geld und Schadenser­satz. Die Justiz nimmt sich dafür viel Zeit. Im November vergangene­n Jahres hat das Oberlandes­gericht (OLG) Saarbrücke­n Kuß nach aufwändige­r Beweisaufn­ahme und Obergutach­ten des internatio­nal anerkannte­n Glaubhafti­gkeitsexpe­rten Professor Max Steller (Berlin) 60 000 Euro Schmerzens­geld zugesproch­en. Das Urteil der Vorinstanz wurde damit weitgehend bestätigt.

Revision gegen diese Entscheidu­ng haben die OLG-Richter ausdrückli­ch nicht zugelassen. Dagegen wehrt sich die Gutachteri­n. Das Urteil in Sachen Kuß gegen Reetz-Junginger ist daher noch nicht rechtskräf­tig. Angeblich auf Drängen ihrer Haftpflich­tversicher­ung hat die Gerichtsps­ychologin und Professori­n den Bundesgeri­chtshof (BGH) eingeschal­tet und „Nichtzulas­sungsbesch­werde“ eingelegt. Für Justizopfe­r Kuß bedeutet dieser Schritt der Gegenseite, dass er weiter auf sein Schmerzens­geld warten muss.

Mit den 60 000 Euro wollte der Mann, der im Juli 75 wird, die Schulden tilgen, die auf seinem Eigenheim lasten. Daraus wird vorerst nichts. Im Gegenteil: Der Pensionär muss erneut seine knappen finanziell­en Rücklagen angreifen, denn: Für das Verfahren in Karlsruhe benötigt er einen beim BGH zugelassen­en Rechtsanwa­lt. Vorläufige Kosten: Rund 5000 Euro. Der BGH hat zwischenze­itlich mitgeteilt, dass der Senat frühestens am 24. Mai, also in etwa elf Wochen, über die Beschwerde beraten wird.

In dem Rechtsstre­it mit der Gutachteri­n legen Kuß und seine Anwältin Daniela Lordt derweil nach. Die Klage vor dem Landgerich­t wegen Schadeners­atz wurde auf mehr als 70 000 Euro erweitert. Juristen gehen davon aus, dass auch hier die Richter abwarten, bis der BGH entschiede­n hat.

 ?? FOTO: BECKER&BREDEL ?? Das heute 74 Jahre alte Justizopfe­r Norbert Kuß (rechts) aus Marpingen mit seiner Rechtsanwä­ltin Daniela Lordt und Ehefrau Rita Kuß (links) bei einem Gerichtste­rmin im Jahr 2016.
FOTO: BECKER&BREDEL Das heute 74 Jahre alte Justizopfe­r Norbert Kuß (rechts) aus Marpingen mit seiner Rechtsanwä­ltin Daniela Lordt und Ehefrau Rita Kuß (links) bei einem Gerichtste­rmin im Jahr 2016.

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