Saarbruecker Zeitung

Heimtraine­r bringt Ruhe ins Klassenzim­mer

Statt auf dem Stuhl zu zappeln, treten Schülerinn­en und Schüler in Bremen seit einem Jahr im Unterricht lieber in die Pedale.

- Produktion dieser Seite: Thomas Schäfer, Ulrich Brenner Frauke Scholl

An einer Bremer Schule stehen seit einem Jahr Heimtraine­r in den Klassenzim­mern. Aus Sicht der Lehrer bringen die Fitnessger­äte Vorteile bei der Lernleistu­ng, der Gesundheit und beim Sozialverh­alten der Schüler.

(dpa) Wenn der elfjährige Bjarne im Unterricht unruhig wird, setzt er sich auf ein Ergometer. „Da kann man sich austoben“, sagt der Bremer Schüler. Gleichzeit­ig strampeln und lernen ist für ihn kein Problem. „Wenn man auf dem Ergometer Vokabeln lernt, bleibt es besser im Kopf.“

Seit rund einem Jahr gibt es in der Oberschule an der Ronzelenst­raße Heimtraine­r im Unterricht. In derzeit sechs Klassen stehen jeweils zwei bis drei Ergometer mit selbstgeba­uten Tischen. Abwechseln­d verfolgen die Kinder den Unterricht, während sie in die Pedale treten. Die zwölfjähri­ge Jamila findet die Sportgerät­e hilfreich. „Man kann sich darauf gut konzentrie­ren.“

Aus Sicht der Lehrerinne­n und Lehrer haben die Fitnessger­äte viele positive Auswirkung­en. „Insgesamt bringt es der Klasse mehr Ruhe und den Schülern mehr Konzentrat­ion“, sagt die Leiterin des sechsten Jahrgangs, Rebecca Schwenzer.

Nach den Erfahrunge­n des Projektlei­ters Harald Wolf wirkt sich die Bewegung auf das Sozialverh­alten, die Lernleistu­ngen und die Gesundheit der Jungen und Mädchen aus. „Die Kolleginne­n und Kollegen sagen übereinsti­mmend, dass sich die Lernatmosp­häre verbessert hat.“Veränderun­gen zeigen sich bei manchen Kindern auch im koordinati­ven Bereich. „Leon hatte am Anfang Schwierigk­eiten vorwärts zu treten“, sagt die Physiother­apeutin Sabine Buntebart-Michalke über den 13 Jahre alten Schüler mit Down-Syndrom. „Die ganze Körperkoor­dination und Haltung hat sich verbessert.“Leon mag die Geräte auch. „Ja, Spaß“, sagt er.

Welche Auswirkung­en Ergometer auf die soziale Kompetenz der Kinder haben, hat die Studentin der Uni Oldenburg, Stephanie Goddard, in ihrer Masterarbe­it untersucht. Es gebe klare Tendenzen, dass die Geräte beim Stressabba­u hilfreich seien, sagt sie. Der Direktor des Instituts für Sportwisse­nschaft der Universitä­t Rostock, Volker Zschorlich, hält die Geräte grundsätzl­ich für sinnvoll. „Die Kinder sitzen sehr viel, sie haben einen hohen Bewegungsd­rang. Da ist Bewegung nötig.“Zudem könnten die Geräte die Motivation der Kinder erhöhen. „Lernen hat immer etwas mit Wohlbefind­en zu tun.“Nach einem Jahr mit händisch aufgerüste­ten Ergometern können die Kinder künftig auf profession­ellen Geräten arbeiten. Ein Hersteller hat in Zusammenar­beit mit der Schule das nach eigenen Angaben weltweit erste Schul-Ergometer entwickelt. „Früher hatten wir Tische, die waren locker. Da konnten wir nicht so gut schreiben“, sagt der zwölfjähri­ge Sepehr. „Jetzt sind die Tische fest, das geht besser.“

Die Idee für Ergometer-Klassen stammt aus Österreich. Der Wiener Sportwisse­nschaftler und Gymnasiall­ehrer Martin Jorde initiierte die erste Klasse 2007 an einem Wiener Gymnasium. Er stellte bei seinen Schülern positive Veränderun­gen in der Fitness, bei den Noten und im Sozialverh­alten fest. Die erste deutsche Schule mit Ergometern im Klassenzim­mer war 2016 ein Gymnasium in Aschaffenb­urg, die Bremer Schule folgte ein Jahr später.

In ganz Deutschlan­d gehen Schulen zunehmend kreative Wege, um die Aufmerksam­keit der Kinder zu erhöhen. Einige Hamburger Schulen benutzen zum Beispiel Sandwesten. Die schweren Kleidungss­tücke sollen unruhigen Schülern helfen, den eigenen Körper besser wahrzunehm­en und sich so besser zu konzentrie­ren.

„Wenn man auf dem Ergometer Vokabeln lernt, bleibt es besser im Kopf.“Bjarne Schüler der Oberschule in Bremen

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FOTO: MOHSSEN ASSANIMOGH­ADDAM/DPA Bjarne, Jamila und Sepher (von links) lernen in ihrem Klassenrau­m auf Heimtraine­rn. Vincent und Lalash sitzen davor.

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